Nebel, eine mehrdimensionale Nivola von Unamuno

Miguel de Unamuno brach mit allen Schemata des Romans mit einer Kühnheit, die er "Nivola" nannte. Das Experiment sollte den Titel Niebla (Nebel) tragen und brachte den Autor schließlich dazu, unsere eigene Realität in Frage zu stellen.
Nebel, eine mehrdimensionale Nivola von Unamuno
Leah Padalino

Geschrieben und geprüft von der Filmkritikerin Leah Padalino.

Letzte Aktualisierung: 09. Februar 2023

Miguel de Unamuno ist einer der wichtigsten Autoren der spanischen Literatur. Er wurde im Jahr 1864 in Bilbao geboren und starb 1936 in Salamanca. Bis heute gilt er als einer der Größen der hispanischen Literatur und als einer der Vertreter der Generation 98. Im Jahr 1914 veröffentlichte er einen ziemlich eigenartigen Roman mit dem Titel Nebel (Originaltitel: Niebla), den er lieber als “Nivola” bezeichnete, um Kritiker daran zu hindern, ihn mit anderen Werken zu vergleichen. Dieses Buch werden wir in unserem heutigen Artikel genauer betrachten.

In dieser Arbeit greift er viele der Ideen wieder auf, die er bereits in vorherigen Werken präsentierte. Allerdings tut er dies durch das Leben der Hauptfigur Augusto Pérez, den er als wohlhabenden Mann mit einem Abschluss in Rechtswissenschaften darstellt. Obwohl die Geschichte selbst nicht viele Wendungen nimmt, versuchte der Autor, ihr dennoch eine weitere Dimension zu verleihen.

Es handelt sich um ein neues Werk, das er selber als “Nivola” und nicht als Roman bezeichnete, wie das die meisten Menschen vermutlich tun würden. In unserem heutigen Artikel werden wir dir einige Schlüsselaspekte dieses Buches aufzeigen.

Die Handlung von Nebel

Etwas, das die Aufmerksamkeit des Lesers schon sehr frühzeitig auf sich ziehen wird, ist die Tatsache, dass der Prolog von Victor Goti unterzeichnet wurde. Er ist gleichzeitig auch einer der Charaktere des Werkes. Darüber hinaus hat der Autor auch einen Post-Prolog verfasst, in welchem er darauf hinweist, dass der Leser keinen Roman, sondern eine “Nivola” mit dem Titel Nebel lesen wird.

Um die Verwirrung noch weiter zu steigern, erzählt der Epilog die Ereignisse des Stücks. Allerdings aus der Sicht von Orpheus, dem Hund des eben erwähnten Protagonisten Augusto Pérez.

Die Geschichte beginnt damit, dass Augusto eine Frau sieht und sich augenblicklich unsterblich in sie verliebt. Er wird versuchen, mit seinen begrenzten Ressourcen ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aber sie wird ihn zurückweisen, weil sie bereits einen anderen Partner hat. Dennoch erklärt sie sich irgendwann dazu bereit, ihn zu treffen. Allerdings tut sie das nur, um ihn auszunutzen. Schließlich schreibt sie ihm an ihrem Hochzeitstag und erklärt ihm, dass alles nur ein Scherz gewesen sei.

Von diesem Moment an erlebt der Leser aus narrativer Sicht eine authentische Revolution. Augusto ist so unglücklich, dass er Selbstmord begehen will. Allerdings ist er lediglich ein Charakter in einem Stück und daher fehlt ihm letztendlich der freie Wille. Einzig Unamuno, der Autor, kann die endgültige Entscheidung treffen.

und dann …

In diesem Moment bricht das zusammen, was wir im Kino als “vierte Wand” bezeichnen würden. Denn Augusto beschließt, mit dem Autor zu sprechen. Das bedeutet, er spricht direkt mit Unamuno.

Letztendlich rebelliert der Charakter gegen den Autor und enthüllt seine Absichten. Das veranlasst den Autor dazu, sich selbst die Frage zu stellen, ob er vielleicht auch nur eine Figur in einer anderen fiktionalen Geschichte sei. Bis zu welchem Grad hat er selber einen freien Willen? Das Ziel ist, dass der Leser genau in dem Moment, in dem Unamuno seine eigene Freiheit und Realität infrage stellt, ebenfalls seine eigene Existenz anzweifelt oder hinterfragt. Daher stellt sich die Frage: Was wäre, wenn Menschen nur in einem Traum existieren würden? Was wäre, wenn wir nur Teil eines Traumes wären?

Die Größe des Romans liegt nicht nur in der Handlung, sondern vielmehr in seiner Fähigkeit, einen Dialog zwischen der Realität des Autors und der des Lesers herzustellen. Daher hat Unamuno sich auch dazu entschieden, dieses Werk einem anderen Genre zuzuordnen. Und zwar einer neuen Kategorie voller Paratexte. Indem er Nebel als “Nivola” bezeichnet, macht er es den Kritikern unmöglich, das Werk zu vergleichen oder zu klassifizieren.

Realität und Fiktion in Unamunos “Nivola” Nebel

Unamunos Werk hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Das Leben ist ein Traum von Pedro Calderón de la Barca. In gewisser Weise ist die Fiktion realer als die Autoren selbst und bei Unamuno führen die Charaktere außerdem noch ein Eigenleben. Daher erweckt der Leser sie zum Leben. Worauf es ankommt, ist, wie man die Literatur wiederbelebt.

Außerdem ist all das eng mit dem Problem der Unsterblichkeit verknüpft. Wenn du das bist, wovon du träumst und alle Träume lediglich eine gemeinsame Realität sind, dann können wir nicht mehr sagen, ob und was real ist.

Unamuno hat auch die Werke von Descartes und Calderón de la Barca gelesen. Und genau dort hat er auch die Inspiration für seine “Nivola” erhalten. Wir sehen ein Spiegelbild von Descartes Rationalismus, denn letztendlich gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass das, was die Menschen umgibt, mehr als nur ein Traum ist.

Obwohl Unamuno gläubig war, konnte er die Existenz Gottes nicht auf rationale Weise ableiten, wie Descartes dies getan hat. Daher hatte er auch keinen Grund zu der Annahme, dass das, was ihn umgibt, ein Traum oder eine Täuschung ist. Woher würdest du dann aber wissen, wann dich deine Sinne täuschen?

Unamuno fasst all diese Komplexität in Nebel zusammen und bedient sich dabei verschiedener Ebenen. Zum einen gibt es die Fiktion, in der die Charaktere leben. Wenn wir die Fiktion einrahmen, finden wir die Realität der Fiktion, in der sich der fiktive Autor befindet. Und schließlich finden wir außerhalb des Buches eine weitere Realität: die Realität des Lesers.

In seiner “Nivola” Nebel beschreibt der Autor verschiedene Ebenen, die sich miteinander verflechten. In dem Moment, in dem er Augusto begegnet, nimmt der Autor selbst die Rolle eines Charakters an. Mit anderen Worten, wir sind mit einer Realität konfrontiert, die jene der Welt um uns herum sein würde, und wiederum mit einer Realität der Fiktion, in der sich Unamuno befindet. Schließlich eine Fiktion der Fiktion, in der sich die Charaktere befinden.

Nebel - von Unamuno

Weitere philosophische Aspekte der “Nivola” Nebel

Wie du vermutlich erwartet hast, beschäftigt sich eine andere fundamentale Frage von Nebel mit dem freien Willen. Dabei wird sie von zwei Perspektiven beleuchtet: Die erste findet sich in der fiktionalen Entität, aus der der Charakter fragt, ob er frei ist.

Da ist Augusto, der Selbstmord begehen will, aber dann feststellen muss, dass Unamuno ihm das nicht erlauben wird. Daher kann er diesen Plan auch nicht in die Tat umsetzen, weil er nur eine Romanfigur ist. Und genau zu diesem Zeitpunkt entsteht der gleiche Zweifel auch im Geist des Lesers.

Die Charaktere werden aus einer Sprache geboren, aus einem Erbe. Genau aus diesem Grund bist du auch nicht frei, zu denken, was du denkst und die beiden Möglichkeiten eröffnen sich erneut: Gott existiert nicht und die Realität ist nichts weiter als ein Traum, den Menschen träumen. Oder aber Gott existiert und die Menschen sind nur ein göttlicher Traum.

Augusto kämpft um sein Leben. Obwohl es nur ein fiktionales ist, ist es dennoch sein eigenes. In seiner Verzweiflung eröffnet der Charakter Augusto den Lesern, dass auch sie sterben werden und dass das Buch letztendlich eine Metapher für die menschliche Existenz selbst sei.

Nebel - Foto von Miguel Unamuno

Abschließende Gedanken

Abschließend wollen wir uns noch der Frage widmen: Was ist eigentlich eine “Nivola”? Nun, es handelt sich um einen Roman, in dem die Figuren nicht vorab definiert wurden, sondern sich im Laufe der Handlung entwickeln. Der Schöpfer hat keinen vorgefassten Plan, was genau passieren wird, genau wie das im Leben auch geschieht.

Das Ziel einer “Nivola” ist kein anderes, als die Kritiker in ihrem Hang, alles mit vorherigen Werken vergleichen zu wollen, zu verwirren. In diesem Sinne bietet sie ein neues Genre, in dem es keine Vorläufer gibt. Und daher gibt es auch nichts, womit die Kritiker Nebel vergleichen könnten.

Für Unamuno birgt ein realistischer Roman etwas Trügerisches. Denn er lässt den Leser glauben, dass er real sei. Und genau das ist nach Unamunos Ansicht das Genre jener Menschen, die nicht erkennen, dass ihre Realität nur ein Traum ist.

Dennoch ist die “Nivola” eine Möglichkeit, jeden Roman zu verstehen. Ein Roman, der nur existiert, während du denkst, aktivierst und liest. Nebel ist ein sehr unbequemer Roman, in dem der Prolog ebenfalls ein Roman ist, in dem sich Realität und Metafiktion im Text miteinander vermischen.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.