Mitgefühl ist die neue Therapie: sei sanft zu dir selbst

Die Therapie des Mitgefühls ist ein Aufruf, um die Freundlichkeit als größten Wert der Menschheit zurückzugewinnen.
Mitgefühl ist die neue Therapie: sei sanft zu dir selbst
Sergio De Dios González

Geprüft und freigegeben von dem Psychologen Sergio De Dios González.

Geschrieben von Edith Sánchez

Letzte Aktualisierung: 05. Februar 2024

Die Bedeutung des Begriffes “Mitgefühl” wird unterschätzt. Derzeitig wird es mit Nächstenliebe und Mitleid assoziiert. Dasselbe passiert beim Wort „Selbstmitleid“, welches Gedanken des Viktimismus in uns hervorruft. Nichts liegt dem Kern dieser Konzepte ferner, denn statt eine eingeschränkte Sicht zu fördern, erweitert Mitleid anderen und sich selbst gegenüber die Perspektive.

So sehr, dass gerade ein Therapiestil in Mode ist, der sich auf das Mitgefühl konzentriert. Wie der Name bereits andeutet, handelt es sich um eine Form der therapeutischen Intervention, die im Mitgefühl einen Weg sieht, die Situation leidender Menschen zu verbessern. Sie ist vor allem bei Menschen indiziert, die sich und andere häufig und heftig kritisieren.

Das Interessante an dieser neuen Therapie ist, dass man ihre Wirksamkeit in einem Labor wissenschaftlich messen konnte. Man konnte beweisen, dass man Mitgefühl erlernen und trainieren kann. Ebenso konnte man belegen, dass sich das Gehirn dabei verändert. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass das Mitgefühl die Gelassenheit, Freude und Motivation in verschiedenen Lebensbereichen steigert.

„Alle wahre und reine Liebe ist Mitleid, und jede Liebe, die nicht Mitleid ist, ist Selbstsucht.“

Arthur Schopenhauer

Ein Experiment, das auf Mitleid basiert

Das Experiment wurde im Center for Healthy Minds durchgeführt, welches sich an der University of Wisconsin-Madison (Wisconsin, USA) befindet. Die Resultate wurden in der Zeitschrift Psychological Science  veröffentlicht. Die Leiter der Studie vereinten eine Gruppe Freiwilliger und brachten denen eine Form der Meditation bei, die „Meditation des Mitgefühls“ oder „Tonglen“ genannt wird.

Diese Form der Meditation nutzt eine Technik, die auf der Identifikation und dem Verständnis des Schmerzes anderer Menschen basiert. Sie wird mit Atemübungen kombiniert. Beim Einatmen visualisiert und verinnerlicht man das Leid anderer, aber während des Ausatmens visualisiert und stahlt man das Wohlbefinden derer aus.

Vogel, der auf der Hand eines Menschen sitzt

Im Experiment wurden die Teilnehmer darum gebeten, sich einen Moment vorzustellen, in dem jemand gelitten hat. Einen Moment, in dem sie sich gewünscht haben, diesen Schmerz beseitigen zu können. Sie konnten diesen Prozess für sich selbst unterstützen, indem sie Sätze sagten wie „Ich wünsche mir für dich, dass du frei von Schmerzen sein kannst“  oder „Ich wünsche mir für dich, dass du glücklich sein kannst“.

Als sie diese Übung zum ersten Mal durchführten, wurden sie gebeten, an einen Nahestehenden zu denken. Anschließend sollten sie an Fremde denken. Und schließlich wurden sie darum gebeten, diese Übung durchzuführen, während sie an jemanden dachten, mit dem sie im Streit lagen.

Vor und nach dem Training untersuchten die Forscher die Gehirne der Teilnehmer mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie. So hat man bewiesen, dass in den Gehirnen der Freiwilligen Veränderungen stattgefunden haben. Insbesondere gab es eine verstärkte Aktivität im anterioren parietalen Kortex und in anderen Bereichen. Diese Ergebnisse wurden dahin interpretiert, dass man das Mitgefühl und die Freundlichkeit wie ein Muskel trainieren kann.

Das Mitgefühl und das individuelle Wohlbefinden

Für jemanden, der gegenüber anderen oft Kritik äußert, ist es üblich, auch sich selbst gegenüber sehr kritisch zu sein. Das gilt übrigens auch im umgekehrten Fall. Da gibt es Menschen, die sich übermäßig auf ihr Ego konzentrieren, was sie davon abhält, anderen und sich selbst gegenüber Mitgefühl zu zeigen. Das kann viel Leid auslösen. Es ist der unermessliche Stolz, welcher diese Personen davon abhält, das Leben aus einer entspannten und positiven Perspektive zu betrachten. Jedes Ereignis wird tatsächlich zum Kampf, wobei es für sie am wichtigsten ist, die Oberhand zu behalten.

Die Therapie mit dem Fokus auf das Mitgefühl trainiert die Fähigkeit, das Leiden anderer zu fühlen und ihnen eine Besserung zu wünschen. Ebenfalls lehrt sie, dass man Mitleid auch sich selbst gegenüber anwenden muss. Mitgefühl mit sich selbst zu haben bedeutet nicht, sich selbst zu bemitleiden oder sich selbst leid zu tun. Es bedeutet auch nicht, aufgrund des Gefühls, minderwertig oder unfähig zu sein, zu weinen oder zu jammern. Es geht darum, zu lernen, sich nicht für seine Fehler oder schlechten Entscheidungen schuldig zu fühlen. Zu lernen, sich selbst nicht zu hart zu verurteilen.

Meditierende Person

Die vielen Vorteile des Mitgefühls

Östliche Kulturen haben diese Kunst des Mitgefühls gegenüber anderen und sich selbst seit tausenden Jahren praktiziert. Die Therapie des Mitgefühls nimmt buddhistische Prinzipien sowie neurowissenschaftliche Elemente auf. Das Experiment, welches wir vorhin erwähnt haben, zeigt, dass das Training des Mitgefühls die Oxytocinausschüttung im Gehirn aktiviert, wobei Oxytocin das „Glückshormon“ ist.

Veränderungen finden nicht nur im anterioren parietalen Kortex, sondern auch in der Inselrinde, im Hippocampus und in der Hypophyse statt. Diese steigern den Grad der Gelassenheit, der Sicherheit und des Wohlbefindens.

Momentan besteht die Tendenz, uns dazu anzutreiben, uns an Kompetenz und Erfolg zu orientieren. Dies wurde vielen bereits zum Verhängnis. Dieses Streben nach Erfolg ist etwas, was sie schließlich überwältigt und zur Angststörung und Depression führt. Die Therapie des Mitgefühls ist ein Aufruf, um die Freundlichkeit als den größten Wert der Menschheit zurückzugewinnen. Sie versteht, dass diese Freundlichkeit damit beginnen sollte, dass sich jeder selbst freundlich behandelt.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.