Körperdysmorphe Störung: Angst vor dem Blick in den Spiegel

Die körperdysmorphe Störung führt zu einer verzerrten Wahrnehmung körperlicher Makel und Angst vor Hässlichkeit.
Körperdysmorphe Störung: Angst vor dem Blick in den Spiegel
José Padilla

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen José Padilla.

Letzte Aktualisierung: 20. Dezember 2022

Die körperdysmorphe Störung (KDS), oder “Body Dysmorphic Disorder“ (BDD) in englischer Sprache, äußert sich durch die verzerrte Selbstwahrnehmung: Betroffene haben Angst vor körperlichen Makeln oder Hässlichkeit. Sie beschäftigen sich übermäßig mit eingebildeten Defekten und befürchten, deshalb von anderen negativ beurteilt zu werden.

Es handelt sich um eine häufige auftretende, ernst zu nehmende Krankheit, denn das ganze Leben der Patienten dreht sich um ihre Unvollkommenheiten, die von ihren Mitmenschen nicht wahrgenommen werden. Ihre Lebensqualität ist deshalb in vielen Fällen stark eingeschränkt. 

Die Prävalenz liegt zwischen 0,7 und 2,5 % und erreicht bei Zwangspatienten 12 %. Beide Geschlechter sind gleichermaßen betroffen, doch es gibt leichte Unterschiede bei den Körperteilen, die Anlass zur Sorge geben. Bei Männern konzentriert sich die häufigste Fehlerwahrnehmung auf die Genitalien, die Körperstruktur und die Haare, während sich bei Frauen die Sorgen eher auf die Haut, den Bauch und das Gewicht beziehen (Rincon, 2022).

In diesem Artikel befassen wir uns mit den neurobiologischen Grundlagen dieser Störung und überprüfen die Resultate verschiedener Forschungen über die Ätiologie auf kortikaler Ebene.

Körperdysmorphe Störung: Angst vor dem Blick in den Spiegel
Menschen mit KDS beschäftigen sich übermäßig viel mit ihrem Körperbild.

Körperdysmorphe Störung: die linke Gehirnhemisphäre

In einer Studie wurden keine signifikanten Veränderungen im Gehirn von Menschen mit KDS festgestellt, wohl aber, dass Störungen bei der Verarbeitung visueller Details vorliegen. Diese Erkenntnis war eine der ersten, die die Idee unterstützt, dass es ein neurobiologisches Korrelat zu dem verzerrten Körperbild von Patienten mit dieser Störung gibt.

“Unsere Entdeckung deutet darauf hin, dass die Hardware des KDS-Gehirns in Ordnung ist, aber es gibt einen Fehler in der Software, der die Patienten daran hindert, sich selbst so zu sehen, wie andere es tun”, erklärt die leitende Forscherin Dr. Jamie Feusner.

Bei dieser Untersuchung wurde mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) beobachtet, wie die Gehirne der Teilnehmer visuelle Informationen verarbeiten. Dazu setzten die Forscher 12 KDS-Patienten eine Spezialbrille auf, mit der sie digitale Fotos von verschiedenen Gesichtern betrachten konnten, während sie sich einem Gehirnscan unterzogen.

Jeder Teilnehmer betrachtete drei Arten von Bildern: unbearbeitete Fotos, bearbeitete Fotos, auf denen Details wie Sommersprossen, Falten oder Narben entfernt wurden, und Fotos mit stark veränderten Gesichtern.

Ein überraschendes Ergebnis

Die Forscher verglichen die Antworten der KDS-Patienten mit denen von zwölf Kontrollpersonen und waren von den Ergebnissen überrascht.

Wir sahen einen deutlichen Unterschied in der Funktionsweise der rechten und linken Gehirnhälfte bei Menschen mit KDS im Vergleich zu Menschen ohne körperdysmorphe Störung“, erklärte Feusner.

KDS-Patienten nutzten häufiger die linke Seite ihres Gehirns, die analytische Seite, die auf komplexe Details eingestellt ist, selbst wenn sie weniger komplexe, niederfrequente Bilder verarbeiteten. Ihre linke Gehirnhälfte war unabhängig von der Art des Bildes aktiv. Im Gegensatz dazu wurde bei gesunden Menschen die linke Seite nur aktiviert, um Informationen aus Bildern zu interpretieren, die am stärksten verändert worden waren.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Gehirne mit KDS darauf programmiert sind, Details zu extrahieren oder Details zu ergänzen, wo sie nicht existieren. Sie denken vielleicht an ihr eigenes Gesicht, auch wenn sie andere anschauen”, so Feusner.

Diese Studie ergab auch, dass die Anzahl und Schwere der Einschränkungen positiv mit der Intensität zusammenhängen, mit der die linke Hemisphäre bei der visuellen Verarbeitung aktiviert wurde.

Körperdysmorphe Störung und neurokognitive Funktionen

1998 stellte Hanes fest, dass Menschen mit KDS und Zwangsstörungen (OCD) bei Tests zur Exekutivfunktion, einschließlich Hemmung und Reaktionsplanung, im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen schlecht abschnitten. Andererseits ergab eine Studie aus dem Jahr 2010, dass Teilnehmer mit KDS deutlich mehr Fehler bei Aufgaben zum räumlichen Arbeitsgedächtnis machten. Bei der Durchführung des Stockings of Cambridge-Tests, der Planungsdefizite untersucht, waren sie langsamer.

Andere neuropsychologische Studien bei Menschen mit körperdysmorpher Störung haben gezeigt, dass diese Patienten offenbar Defizite bei der Erkennung von Emotionen im Gesicht haben. Tatsächlich wurde festgestellt, dass KDS-Patienten in selbstbezogenen Situationen neutrale Gesichter eher als wütend oder verächtlich fehlinterpretieren.

Die Neurochemie eines KDS-Gehirns

Bei Zwangsstörungen, zu denen auch KDS gehört, wurde eine Verringerung des Serotonintransporters festgestellt. Außerdem deuten die Ergebnisse mehrerer Studien darauf hin, dass Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) bei der Behandlung von KDS wirksam sind (Ipser, 2010; Phillips & Hollander, 2008).

Darüber hinaus verringert die Behandlung mit SSRI die Häufigkeit und Intensität der Sorgen. Außerdem verbessert sich dadurch die Kontrolle über die Impulsivität und verringert den mit BDD verbundenen Leidensdruck (Allen et al., 2008; Phillips & Hollander, 2008).

Andere Studien über die Beteiligung von Serotonin an KDS zeigen, dass sich die Symptome verstärken, wenn Tryptophan (eine Vorstufe von Serotonin) in der Ernährung reduziert wird. Sie zeigen auch, dass Psilocybin, ein Serotonin-Agonist, die Symptomatik der körperdysmorphen Störung abschwächt.

Körperdysmorphe Störung und Gehirnaktivität
Die KDS-Symptome verstärken sich, wenn die Tryptophanwerte abnehmen.

Neuroanatomie der körperdysmorphen Störung

Untersuchungen von Grace (2017 und 2019) haben gezeigt, dass KDS-Patienten eine Hypoaktivität im lateralen okzipitalen Kortex (der mit der visuellen Verarbeitung zusammenhängt) und im Precuneus (der mit der Gesichtserkennung zusammenhängt) aufweisen, insbesondere in der linken Hemisphäre. Dies beeinträchtigt die visuelle Verarbeitung von Informationen, die mit Gesichtern und Figuren verbunden sind. Andere Ergebnisse weisen auf eine mögliche Beeinträchtigung der fronto-striatalen und temporo-parieto-occipitalen Schaltkreise hin (wo Gesichtsbilder und emotionale Informationen verarbeitet werden).

Vor diesem Hintergrund gehen Li et al. (2013) davon aus, dass visuelle Wahrnehmungsstörungen zusammen mit Dysfunktionen des limbischen und frontostriatalen Systems zu KDS-Symptomen wie Wahrnehmungsstörungen, Zwangsgedanken und Zwängen beitragen können.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die körperdysmorphe Störung eine komplexe psychiatrische Krankehit ist, bei der verschiedene umweltbedingte und biologische Faktoren zusammenkommen. Die neurobiologischen Grundlagen sind noch nicht eindeutig geklärt, aber die Forschungsergebnisse geben einen Einblick in die Funktionsweise des Gehirns von Patienten mit dieser Störung.


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