Höre auf mit dem Nägelkauen, es ist nicht gut für dich
Eine Prüfung, ein Familientreffen, ein Termin, die Wartezeit beim Arzt. All diese Situationen haben etwas gemeinsam: In allen von ihnen können wir unter Angst, Sorge oder Schüchternheit leiden. Diese Emotionen oder Gedanken können mit unseren Worten, unserem Körper oder durch Gesten wie das Nägelkauen externalisiert werden.
Unsere Hände spielen eine sehr wichtige Rolle in der Kommunikation. Mit ihnen können wir uns begrüßen, berühren und ausdrücken. Sie können auch Gefühle wie Unruhe, Langeweile, den Wunsch, ein Treffen zu beenden, oder sogar schlechte Manieren übertragen. Hände können so viel ausdrücken, und ohne dass uns das immer bewusst wäre, können sie zu einer Reflexion unserer Emotionen und Gedanken werden. Nägel zu beißen, ist für viele Menschen eine Möglichkeit, Empfindungen zu kanalisieren, auch wenn das unbewusst geschieht. Der Fachbegriff für das Nägelkauen ist Onychophagie. Es stammt von zwei griechischen Worten ab, von Onyx für Nagel und Phao für essen.
Generell gilt Onychophagie als Zwang. Wir kauen an unseren Nägeln, um unsere Gefühle von Unruhe, Angst und unseren aufdringlichen Gedanken zu handhaben. Es hat negative Auswirkungen auf unsere Mundgesundheit, unser Sozialbild und in schweren Fällen auf unser Selbstwertgefühl.
Doch wie können wir mit dem Nägelkauen aufhören? Obwohl die Gewohnheit schwer zu brechen ist, ist noch nicht alles verloren. Wenn es sich nicht um einen schweren Fall handelt, braucht es nur ein bisschen Willenskraft, Gewissenhaftigkeit und Motivation.
Nägelbeißen – ein ungelöstes Problem
Die Wahrheit ist, dass das Beißen der Nägel oder die Onychophagie auch für Experten der Psychologie und Medizin nach wie vor ein Geheimnis ist. Im Jahr 2015 veröffentlichte das Journal of Behavior Therapy and Experimental Psychiatry einen Artikel, in dem die Autoren argumentierten, dass Onychophagie kein Zeichen von Nervösität oder Angst sei, wie wir generell annehmen, sondern eher eines von Perfektionismus. Durch das Nägelkauen können Menschen mit ihrer Unzufriedenheit oder Irritation umgehen.
Es gibt auch Studien, die zeigen, dass ein Drittel der Menschen, die an Onychophagie leiden, sich in einem familiären Umfeld befinden, in dem ein anderes Familienmitglied ebenfalls betroffen ist. Hier handelt es sich scheinbar um Fälle der Nachahmung. Andere Studien vereinfachen die Gleichung und verbinden Onychophagie mit Vergnügen: Die Aktion des Beißens der Nägel erzeuge angenehme Empfindungen, meinen diese Wissenschaftler.
Diese Studien weisen auch darauf hin, dass es eine Frage der Willenskraft sei, das Ziel zu erreichen, mit dem Nägelkauen aufzuhören. Aber ist das nicht nur ein Klischee? “Wenn du es nicht schaffst, liegt das daran, dass du es nicht wirklich willst”, hören Betroffene allerorts. Die Wahrheit ist, dass das Klischee eine solide Basis hat, aber Besonderheiten einzelner Fälle nicht berücksichtigt. So ist es wahr, dass Wille und Motivation die treibenden Kräfte zum Erfolg sind. Ohne sie wären wir nicht einmal in der Lage, den Startblock zu verlassen. Aber etwas zu wollen, ist noch nicht alles.
“Wenn du versprichst, was du noch nicht hast, wirst du deinen Willen verlieren, es zu erreichen.”
Paulo Coelho
Die Bedeutung der Willenskraft
Willenskraft bewegt keine Berge, aber sie ist ein sehr wichtiger Ausgangspunkt. Es spielt keine Rolle, ob du versagst, Fehler machst, ob du einen ganzen Sommer lang aushältst, ohne deine Nägel zu beißen, und sobald du wieder zur Arbeit gehst, wieder damit anfängst. Alle Enden sind Neuanfänge. Wenn eine Formel nicht funktioniert, versuche eine andere. Wenn du nicht ändern möchtest, was du tust, ändere, wie du es tust.
Was hast du das letzte Mal falsch gemacht? Welchen Fehler hast du gemacht? Erinnere dich, wie du dich gefühlt hast, als du es richtig gemacht hast und fange wieder von vorn an. Immer, wenn du dich entscheidest, von vorn zu beginnen, schreibe eine positive Nachricht an dich selbst, etwas, das für dich eine Bedeutung hat, und lege es irgendwo sichtbar hin. Es wird dir helfen, Versuchungen zu widerstehen, wenn diese aufkommen.
“Zu erkennen, was getan werden muss, und es dann nicht zu tun, ist feige.”
Konfuzius
3, 2, 1, los!
Der wichtigste Schritt, um deine Fehler zu korrigieren, besteht darin, sie zunächst zu erkennen. Bei der Arbeit, in deinen Beziehungen, in der Art und Weise, wie du kommunizierst und bei jeder Aktivität, in der du besser sein möchtest. Die Überwindung der Onychophagie ist ein Langstreckenrennen, kein Sprint.
Für den Anfang ist es eine gute Idee, dir Notizen zu machen und zu notieren, wann du an deinen Nägeln kaust. Wo tust du es? Wann, bei welcher Beschäftigung? Die Notizen sind eine Möglichkeit, dir der Aktivitäten bewusst zu werden, denen du nachgehst, oder der Menschen, mit denen du zusammen bis, wenn du an deinen Nägeln kaust. Jede Information ist wichtig, weil sie dir eine Vorstellung von den Reizen gibt, die mit dem Nägelkauen verbunden sind.
Zuerst musst du die Zeiten notieren, in denen du tatsächlich an deinen Nägeln kaust. Wenn du das erledigt hast, fange an, auch die Zeiten aufzuschreiben, in denen du deine Hände zu deinem Mund bringst, ohne tatsächlich zu kauen. Das wird dir helfen, zu erkennen, wann du anfängst, über das Kauen deiner Nägel nachzudenken. Diese Taktik bereitet dein Gehirn vor und trainiert es darauf, jene Momente zu erkennen, in denen du gefährdet bist.
Kleine Schritte auf dem Weg zum Ziel
Kleine Schritte führen zu großen Erfolgen. Die größten Feinde der Motivation sind unmögliche Ziele. Vielleicht hast du ein besonderes Ereignis oder ein Vorstellungsgespräch vor dir und du beschließt, deine Nägel nicht zu beißen. Das ist paradox, weil du für die Zeit des Kampfes deine “Waffe” zur Seite stellst, mit welcher du deinen Gegner – deine Angst – üblicherweise bekämpfst.
Irgendwann wirst du über deiner Angst das Ziel vergessen. Du fängst dann wieder an, deine Nägel zu kauen und sofort fühlst du dich wie ein Versager. Setze dich nicht zu sehr unter Druck, um eine Gewohnheit wie die Onychophagie loszuwerden, die du vielleicht schon seit Jahren hast. Es mag Leute geben, die beim ersten Versuch erfolgreich sind. Es gibt ja auch immer Leute, die über ihre letzte Zigarette reden. Aber was ist mit denen, die nicht so funktionieren?
Nicht zu hart mit sich selbst umzugehen, ist eine gute Idee, wenn die Versuchung mal stärker als deine Willenskraft war. Versuche, dich auf einen oder zwei Finger zu beschränken oder setze dir ein Wochenendziel. Die Kombination von einfachen Zielen wird dir langfristig die größeren Erfolge bringen. Jeder Schritt zählt, und genauso müssen wir das Verhalten, das wir ändern wollen, Schritt für Schritt modulieren. Es ist so wichtig dabei, deine Erfolge schriftlich festzuhalten.
“Ziele werden nur erreicht, wenn man den Fortschritt misst.”
Guy Kawasaki
Bereite dich auf die Versuchung vor
Kenne die Situationen, Menschen oder Zeiten des Tages, in denen du anfängst, deine Nägel zu kauen. Der nächste Schritt ist es, die Versuchung zu vermeiden. Aber wir können diesen Situationen oder Menschen nicht immer aus dem Weg gehen. Wie sollst du dann jemals mit dem Nägelkauen aufhören? Eine der besten Strategien besteht darin, die Kraft deines Geistes zu nutzen, um die auslösende Situation anzugehen. Erwarte die Situation und visualisiere schon zuvor, wie du sie meisterst, ohne deine Nägel zu kauen. Das kann dazu beitragen, dich für schwierige Zeiten zu stärken. Achte auf alternative Gedanken und denke über positive Botschaften nach, die dich unterstützen können. Ein weiteres Mittel ist es, deinen Körper zu trainieren, tief zu atmen und zu entspannen, um deine Angst zu überwinden.
“Wer der Versuchung entgeht, vermeidet die Sünde.”
Ignacio de Loyola
So wie wir Körper und Geist trainieren können, können wir auch unser Verhalten üben. Eine einfache Übung besteht darin, die Hand in Richtung Mund zu bewegen, sie dann 5 cm vom Mund entfernt zu halten und dem Wunsch zu widerstehen, die Nägel zu kauen. Die Hand bleibt für 20 Sekunden in dieser Position. Wenn wir diese Übung ausführen, werden wir uns allmählich daran gewöhnen, der Versuchung zu widerstehen. Es wird dann auch einfacher, die Empfindungen zu identifizieren, die der Handlung vorausgehen, die wir vermeiden wollen – die Nägel zu kauen.
Suche nach Alternativen für das Nägelkauen
Menschen, die mit einer schlechten Gewohnheit gekämpft haben, wissen, wie schwer es ist, sie abzulegen. Vielleicht zeigen deine Mitmenschen einen Mangel an Verständnis und sagen dir, wie schwach du doch bist, dass du die Onychophagie einfach nicht loswirst. Manchmal sind Visualisierung, Willenskraft und Mentalisierung einfach nicht genug. Möglicherweise musst du Alternativen finden. Aber vergiss nicht, dass jeder anders tickt. Einige werden mit einer Option erfolgreich sein, andere mit einer anderen.
Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass wir uns sowohl auf den Mund als auch auf die Hände konzentrieren müssen. Wir können den Wunsch verspüren, etwas in unserem Mund zu haben, um unsere Nerven, Unruhe oder Langeweile zu beruhigen. In diesem Fall können wir Kaugummi, Ingwer oder Lakritze verwenden. Etwas im Mund zu haben, macht es überflüssig, diesen Raum mit den Fingern zu besetzen!
Was die Finger betrifft, wasche deine Hände, trage Handschuhe oder Nagellack, klebe Pflaster auf deine Finger. Zumindest können diese als Erinnerung an das Ziel dienen, das du dir gesetzt hast. Du könntest auch andere Gegenstände zur Ablenkung benutzen, wie einen Schlüsselring, einen Anti-Stress-Ball, einen Stift – etwas, das deine Hände beschäftigt.
Wenn du suchst, wirst du finden
Wenn du aufstehst, balle deine Fäuste. Suche dir jemanden, mit dem du eine Unterhaltung beginnen kannst. Stecke deine Hände in deine Taschen oder unter deine Oberschenkel, wenn du sitzt. Dadurch vermeidest du ebenfalls die Versuchung, deine Nägel zu kauen.
Wenn du durchhältst, wirst du feststellen, dass die Zeit kommen wird, in der deine Nägel anfangen zu wachsen, und es wird sicherlich ein seltsames Gefühl sein. Dann willst du deine Finger berühren, sie anschauen oder deine Nägel streicheln. Eine andere häufige Gewohnheit in der Entwöhnung nach Onychophagie ist es, die Kleidung mit den neuen Nägeln zu putzen. Diese Gesten zu vermeiden, ist von grundlegender Bedeutung, um einen Zwang nicht durch einen anderen zu ersetzen. Für den Fall, dass es mal Unebenheiten oder Kratzer auf einem Nagel gibt, ist es sinnvoll, eine Feile dabei zu haben.
Wenn es dir gut geht, erkenne es an
Es ist oft schwer für uns, zu erkennen, wenn es uns gut geht. Wegen der Art, wie wir erzogen wurden, oder wegen der Angst vor dem, was andere sagen könnten – wir schätzen unsere kleinen Errungenschaften oft nicht. Das schadet langfristig unserem Selbstbild. Wenn wir ein Ziel erreicht haben, sollten wir uns selbst belohnen. Wir werden nicht weniger demütig sein oder zu viel von uns selbst denken, wenn wir das tun.
Gönne dir auch dann eine Belohnung, wenn du zum Beispiel eine Woche lang nicht an deinen Nägeln gekaut hast. Wenn die Menschen um dich herum mitziehen, kann das eine große Hilfe sein. Falls das nicht der Fall ist, belohne dich trotzdem. Für deine Mitmenschen mögen es unbedeutende Errungenschaften sein, was dich aber nicht davon abhalten sollte, dich für das, was du erreicht hast, zu belohnen. Es wird in der Tat eine sehr positive Sache für dein Leben und deine weiteren Ziele sein.
Andererseits musst du dir auch bewusst machen, ob du vielleicht ein ernstes, gesundheitliches Problem hast. Wenn du blutende oder deformierte Finger hast oder wenn du an einer obsessiven oder depressiven Störung leidest, ist es wichtig, dir professionelle Hilfe zu suchen.