Hermann Ebbinghaus: Pionier der Kognitionspsychologie
Der Psychologe Herrmann Ebbinghaus (1850-1909) stellte gemeinsam mit anderen Forschern die Vorstellung infrage, dass geistige Prozesse nicht experimentell untersucht werden könnten. Trotz erheblicher Kritik erforschte der deutsche Intellektuelle das Gedächtnis mit experimentellen Techniken der positivistischen Wissenschaften. Mit seiner Gedächtnisforschung trug er maßgeblich zur Geschichte und Entwicklung der Psychologie bei.
Hermann Ebbinghaus: Kurzbiographie
Am 24. Januar 1850 wurde Hermann Ebbinghaus in Barmen (heute ein Stadtteil von Wuppertal) in eine lutherische Kaufmannsfamilie geboren. Mit 17 Jahren schrieb er sich an der Universität Bonn ein und setzte sein Studium später in Berlin und Halle fort. Ursprünglich interessierte er sich für Geschichte und Philologie, wechselte dann aber zur Philosophie.
Während des Deutsch-Französischen Krieges unterbrach er seine Studien und diente in der preußischen Armee, kehrte jedoch nach Kriegsende nach Bonn zurück, um sein Studium abzuschließen. 1873 promovierte Ebbinghaus mit einer Dissertation über die Philosophie des Unbewussten. Von 1873 bis 1880 verdiente sich Ebbinghaus seinen Lebensunterhalt als Nachhilfelehrer in England und Frankreich. Er habilitierte schließlich an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin und wurde dort später Professor.
1884 lernte Hermann Ebbinghaus Adelheid Julia Amalia Görlitz kennen, die er heiratete. Mit ihr hatte er zwei Töchter und zwei Söhne. Sein Sohn Julius wurde zu einem bekannten Philosophen, der mit Martin Heidegger befreundet war.
1902 veröffentlichte Ebbinghaus sein erfolgreiches Werk Die Grundzüge der Psychologie. Ab 1905 zog er nach Halle, wo er 1909 im Alter von nur 59 Jahren an einer Lungenentzündung verstarb.
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Entwicklung des Intelligenztests
Im Sommer des Jahres 1893 wurde Ebbinghaus die erwartete Beförderung zum Leiter der philosophischen Abteilung an der Universität Berlin verwehrt. Daher nahm er im Jahr 1894 eine Professur an der Universität Breslau an.
Während dieser neuen Phase setzte er seine unermüdliche wissenschaftliche Tätigkeit fort. 1895 arbeitete er in einer Kommission, die beauftragt wurde, die schulische Leistung von Kindern zu untersuchen. Zu diesem Zweck entwickelte der Psychologe eine Kombinationsmethode, um die Intelligenz der Schüler zu testen. Die Ergebnisse dienten als Grundlage für zukünftige Intelligenztests. Ebbinghaus gründete daraufhin in Breslau ein psychologisches Testlabor.
Hermann Ebbinghaus und die experimentelle Gedächtnisforschung
Die ersten empirischen Untersuchungen zu Gedächtnis und Vergessen wurden von Hermann Ebbinghaus durchgeführt. Er benutzte sich selbst als Versuchsperson und lernte Nonsens-Silben aus drei Buchstaben – bestehend aus zwei Konsonanten und einem Vokal (wie POB, VAS, WIZ) – auswendig. Als er seine Fortschritte analysierte und feststellte, wie leicht es war, Nonsens-Silben nach einem langen Zeitraum seit dem ersten Auswendiglernen erneut aufzufrischen, entdeckte er, dass das Vergessen systematisch abläuft. Dies wird in der von Robert Feldman illustrierten Abbildung deutlich.
Mit fortschreitender Zeit nimmt die Intensität und Qualität des Erinnerns ab. Diese Grafik zeigt laut Feldman (2010) Folgendes: “Das schnellste Vergessen tritt in den ersten neun Stunden auf, vor allem in der ersten Stunde. Nach neun Stunden verlangsamt sich die Vergessensrate und nimmt auch nach mehreren Tagen kaum noch ab.”
Obwohl die Methoden von Ebbinghaus sehr grundlegend waren, hatten seine Untersuchungen einen enormen Einfluss auf die Forschung zur Gedächtnistheorie und zum Vergessen. Dank seiner Arbeit wissen wir heute, dass das anfängliche Gedächtnis mit der Zeit abnimmt, wenn Informationen nicht wiederholt werden. Allerdings lässt sich bereits Erlerntes im Vergleich zum Lernen eines völlig neuen Themas leicht wieder auffrischen.
Ebbinghaus’ innovative Methoden und Erkenntnisse haben die wissenschaftliche Untersuchung des Gedächtnisses maßgeblich beeinflusst und eröffnen bis heute neue Forschungsansätze in der Kognitionspsychologie und den Neurowissenschaften.
Hermann Ebbinghaus und seine Beiträge zur Psychologie
Wir skizzieren kurz einige der wichtigsten Beiträge dieses deutschen Philosophen zur Psychologie:
- Lernkurve: Sie zeigt, dass die Lerngeschwindigkeit zu Beginn höher ist, dann aber abnimmt und sich mit der Zeit stabilisiert.
- Abgestufte Wiederholung: Ebbinghaus beschrieb den Spacing-Effekt, ein Phänomen, das beschreibt, wie die Verteilung von Lerninhalten über einen längeren Zeitraum hinweg die langfristige Speicherung und das Abrufen von Informationen verbessert.
- Vergessenskurve: Dieser Prozess beschreibt, wie Informationen in den ersten Minuten oder Tagen nach dem Lernen vergessen werden, sich dann aber stabilisieren und auf einem konstanten Niveau halten.
- Speichermethode: Diese Methode ist nützlich, um zu berechnen, wie lange eine Person braucht, um etwas Neues zu lernen. Auf diese Weise ist es möglich, die Wirkung oder Stärke des Gedächtnisses zu messen, indem man die Leistung beim ersten Mal mit der beim zweiten Mal vergleicht.
- Wissenschaftliche Untersuchung des Gedächtnisses: Ebbinghaus eröffnete einen Forschungsweg, der bis heute andauert. In der heutigen Zeit analysieren Neurowissenschaftler, Kognitionspsychologen und andere Fachleute diesen erstaunlichen kognitiven Prozess weiter.
- Ebbinghaus-Täuschung: Diese Täuschung zeigt, wie sich die Wahrnehmung von Größe je nach dem umgebenden Kontext verändert. Wenn ein zentraler Kreis von größeren Kreisen umgeben ist, wirkt er kleiner. Wenn er von kleineren Kreisen umgeben ist, erscheint er größer.
Werke von Hermann Ebbinghaus
Hermann Ebbinghaus wurde nicht nur durch seine Experimente berühmt, sondern auch durch seine Bücher, die wesentlich zum Wachstum der Psychologie als wissenschaftliche Disziplin beitrugen. Zu seinen bekanntesten Werken gehören die folgenden:
- Die Grundzüge der Psychologie (1881): In diesem für die Psychologie als Wissenschaft bedeutenden Werk analysiert Ebbinghaus verschiedene Themen wie Lernen, Wahrnehmung, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Empfindung und Emotion.
- Über das Gedächtnis: Untersuchungen zur experimentellen Psychologie (1885): Darin stellt Ebbinghaus die Ergebnisse seiner Forschungen zum Gedächtnis und Vergessen vor, die die Grundlage für viele spätere Studien bildeten.
- Abriss der Psychologie (1908): In diesem Buch bietet Ebbinghaus eine prägnante allgemeine Einführung in die Psychologie. Die Erklärungen sind kurz gefasst und nicht so tiefgründig wie in seinen anderen Werken.
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Hermann Ebbinghaus, Pionier in der Geschichte der Psychologie
Hermann Ebbinghaus revolutionierte die Psychologie mit seiner experimentellen Erforschung des Gedächtnisses. Seine Entwicklung der Vergessenskurve, der Spacing-Effekt und die Ebbinghaus-Täuschung sind grundlegende Entdeckungen, die die kognitiven Wissenschaften nachhaltig geprägt haben. Die Arbeiten dieses herausragenden Philosophen bilden bis heute eine unverzichtbare Grundlage für die Erforschung und das Verständnis kognitiver Prozesse.
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- Encyclopedia Britannica. (29 de febrero de 2024). Hermann Ebbinghaus. https://www.britannica.com/biography/Hermann-Ebbinghaus
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