Fünf magische Grundsätze für Großeltern
Die meisten Menschen wünschen sich eine Familie, in der sie sich respektiert und akzeptiert fühlen. Wir wollen verstanden, gesehen und geliebt werden.
Meine persönliche Erkenntnis, aus meiner Arbeit der letzten 35 Jahren ist, dass wir immer zwischen den Polen der Liebe und des Dazugehörens und der Abgrenzung, jeder möchte seine individuellen Lösungen einbringen, balancieren müssen. Das erfordert Konfliktfähigkeit, eine Portion Selbstreflexion und Vertrauen in einen inneren und äußeren kooperativen Prozess. Die Lösung eines Problems bedingt das nächste – das ist Leben.
Nachdem ich eine begeisterte Großmutter bin, habe ich diese Erkenntnisse aus der Perspektive der Großelterngeneration in einem Buch zusammengefasst:
Das Buch „Oma werden, Oma sein “, ist im September 2021 im Beltz Verlag erschienen. Carina Manutscheri hat mit ihrem Mama-, Tochter- und Schwiegertochter-Blick auf die Großelterngeneration das Buch ergänzt.
Es gibt jede Menge Elternratgeber, aber wenig für Großeltern, obwohl diese eine wichtige Rolle in vielen Familien spielen. Kommt das erste Enkelkind, gibt es neue Aufgaben zu bewältigen. Was erwarten Kinder und Schwiegerkinder von Großeltern, was sind Großeltern bereit zu geben?
In diesem Buch möchte ich allen Beteiligten näherbringen, dass andere Menschen nie oder selten unseren Vorstellungen entsprechen. Könnten wir doch lernen, die uns nächsten Menschen vorbehaltlos anzunehmen: Sie werden uns immer erfreuen und enttäuschen. Freuen wir uns gerade vorbehaltlos aneinander, brauchen wir nicht weiter über uns und die anderen nachzudenken. Missverständnisse und Konflikte jedoch lösen unangenehme Gefühle aus, sozusagen als Signal: Hier gibt es etwas zu lernen! Ärger, Frustration, Schmerz, Angst oder Kränkung, all diese Gefühle gehören genauso zu unserem sozialen Leben, wie Freude, Zufriedenheit oder Glücksgefühle.
Der erste und wichtigste Schritt zu einer kooperativen Haltung ist, dass wir unsere unangenehmen Gefühle nicht mehr anderen in die Schuhe schieben. Fühle ich Ärger, ist es in erster Linie mein eigener, und niemand ist schuld daran. Andere sind Auslöser, aber nie die Ursache. Das ist ein schwieriger Gedanke, aber es lohnt sich, so zu denken, kann ich doch aktiv zu Lösungen beitragen.
Die fünf magischen Grundsätze für Großeltern
1. Sich selbst und jedem am Konflikt beteiligten Familienmitglied aktiv zuhören
Jede Generation hat eigene Ideen, wie das Leben gut zu leben ist. Konflikte lösen, heißt in erster Linie, einmal richtig zuhören. Ich helfe meinen Klient:innen, die eigenen Bedürfnisse gut wahrzunehmen, um dann fähig zu sein, die Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen der anderen zu hören. Einfühlung steht immer an erster Stelle, das heißt nicht, diese erfüllen zu müssen. Egal, wie der Konflikt sich darstellt, gelingt es allen Beteiligten zuzuhören, werden die Konflikte lösbar. Jeder der Beteiligten kann sich bewegen, weil wir uns nicht mehr persönlich angegriffen fühlen.
2. Die Energie fließt immer zum schwächsten Glied, das sind die Kinder
Ich erlebe es oft, dass Menschen, Frauen wie Männer, meiner Generation sagen – wir haben doch so viel für dich getan, jetzt muss es zurückkommen! Aber das ist ein großer Irrtum, unsere Kinder gehen ins Leben und alles, was sie von uns empfangen haben, geben sie an die nächste Generation weiter, die Energie fließt immer zum schwächsten Glied. Wenn wir das verstanden haben, bekommen wir unendlich viel zurück, nämlich, geben ohne Erwartungen macht glücklich. Wenn ich allerdings meinen Kindern und Enkelkindern gebe und gleichzeitig erwarte, dass etwas zurückkommt, auf eigenes verzichte in der Erwartung, dass die nächste Generation ausgleicht, werde ich enttäuscht, und das ist gut so. Ich möchte allen Eltern und Großeltern Mut machen, neben der Pflege für ihre Kinder und Enkelkinder sich nicht zu vergessen, nach dem Motto, tu für die nächste Generation mit Freude, oder tu es nicht.
3. Schluss mit der Männerschonung
2000 Jahre Patriachat haben Spuren hinterlassen. In den meisten Familien übernehmen nach wie vor die Frauen die meiste Care-Arbeit. Vieles hat sich verbessert und wenn ich meinen eigenen Sohn anschaue, wie er mit seinen kleinen Kindern umgeht, wie er seinen vier Wochen alten Sohn versorgt, denke ich vieles ist gelungen. Ich erlebe aber auch, dass Männer, die Care-Arbeit leisten viel Anerkennung und Lob erhalten, während es bei uns Frauen einfach selbstverständlich ist, dass wir nach wie vor den Löwenanteil bewältigen.
Da einen Ausgleich zu schaffen ist mein Anliegen, Care-Arbeit ist wundervoll, anstrengend und manchmal einfach zum Verzweifeln. Würdigung für Frauen und Männer und das Einfordern von gerechter Arbeitsverteilung ist das Anliegen in diesem Kapitel, auch Opas sind gefordert.
4. Großeltern bauen die Basis für die Beziehungen der nächsten Generationen
Ganz schön kompliziert: einerseits sollen Großeltern die Basis für gelingende Beziehungen aufbauen, sich aber mit Ratschlägen zurückhalten.
Die Basis ist immer eine Haltung von Liebe, Respekt, Vertrauen, Zuhören und niemals konkrete Ratschläge, die nicht erbeten sind. Das ist nicht gerade einfach, es betrifft Kinder, Schwiegerkinder, Enkelkinder und alle Patchwork-Konstellationen. Wir „Älteren“, die schon ein Gutteil des Lebens gelebt haben, könnten es vormachen: Probleme können auf vielfache Weise gelöst werden – unsere Kinder haben alles, was sie dazu brauchen – Engagierte Gelassenheit seitens der Großeltern, eine fragende und keine ansagende Haltung.
5. Die eigenen Bedürfnisse nicht vernachlässigen
Frauen werden heute Großmütter, wenn sie oft noch mitten im Leben stehen, aktiv sind, Sport und Hobbys nachgehen und beruflich sehr eingespannt sind.
Frauen sollten, egal ob sie Mutter oder Großmutter werden, ihre eigenen Bedürfnisse nie vernachlässigen. Es geht immer um Balance, ich kann nicht Kraftspender für andere sein, wenn ich es nicht für mich selbst bin. Kinder können von vielen Menschen betreut werden, es ist immer eine Frage, wie viel Großmutter will ich sein, wie viel Zeit und Energie bin ich bereit meinen Enkeln zu schenken? Die Antworten werden so unterschiedlich sein, wie es Familien gibt.
Es lohnt sich immer, einen liebevollen Blick auf sich selbst zu lenken und mit Humor eigene Vorstellungen zu reflektieren. Häufig stecken hinter kritischen Blicken, eigene tiefe Ängste, es nicht richtig gemacht zu haben, oder die nächste Generation macht es nicht richtig. Die eigene Angst vor Bindungsverlust, oder davor, dass die nächste Generation scheitern könnte, behindern oft liebevolle, anerkennende Haltungen. Ich helfe meinen Klientinnen diese Ängste auszugraben und zu reflektieren.
Und zum Abschluss, es gibt keine perfekte Oma, keine perfekte Mutter, das Gleiche gilt für Väter und Großväter. Sie können aber gut genug sein im täglichen Bemühen, sich aneinander zu freuen. Ist es nicht schön, dass es die anderen gibt? Konflikte gehören einfach dazu, wir könnten sie lieben lernen.