Freigeister: Herausforderung und Notwendigkeit in einer angepassten Gesellschaft

Freie Seelen gehen ihren eigenen Weg, in ihrem Gesicht spiegelt sich ihr Wille wider. Sie lassen sich nicht von gesellschaftlichen Konventionen eingrenzen.
Freigeister: Herausforderung und Notwendigkeit in einer angepassten Gesellschaft
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 08. Juni 2023

Ein Freigeist zu sein, ist eine Herausforderung. Denn wir leben mitten in einer Gesellschaft, die uns in Muster und Konventionen  pressen will. Freigeistige Persönlichkeiten haben etwas Heroisches, ja, vielleicht gar Exzentrisches an sich. Wir stellen uns naturverbundene Menschen vor, die in einem Wohnmobil leben, Boho-Kleider tragen und die Welt bereisen. Es gibt jedoch viele Freigeister, die keine Nomaden sind – Nachbarn, die unsere Gesellschaft täglich bereichern.

Freigeister leben nach ihren eigenen Idealen und lassen sich von ihren Herzen leiten. Sie lassen sich nicht von Mustern, Szenarien oder Dynamiken gefangennehmen, die nicht ihren eigenen Werten und Vorstellungen entsprechen. Sie bewegen sich in ihrer eigenen Komfortzone und nennen ihre Werte ihr Zuhause – das ist ihr wichtigstes Merkmal.

Freigeister lassen sich bei ihren Entscheidungen nicht von der Gesellschaft beeinflussen. Dies kann schwierig sein, doch nur freie Seelen sind in der Lage, Konventionen zu überschreiten und ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu führen. 

Freigeister lieben die Natur und leben nach ihren eigenen Vorstellungen
Freie Seelen setzen sich über Konventionen und ungeschriebene gesellschaftliche Normen hinweg.

Freigeister in unserer Gesellschaft

Friedrich Nietzsche war selbst ein von ihm definierter Freigeist: In seinem Buch “Jenseits von Gut und Böse” bestimmt er einen Freigeist als Person, die ihre eigenen Kriterien über das Zusammenspiel von sozialen Anforderungen und Verstärkern stellt. Sie denkt eingenständig nach und übernimmt die Verantwortung für ihre Entscheidungen, damit sie sich gut fühlt und anderen als Vorbild dienen kann.

Die Tatsache, dass wir unser Urteilsvermögen vor den vorherrschenden Gedanken bewahren, gewährt uns wahre Freiheit; denn ohne Gedankenfreiheit wird es auch schwierig, frei zu handeln. Doch wir erhalten dadurch nicht nur gefühlte Freiheit: Auch das psychologische Wohlbefinden profitiert davon.

Denn stell dir einmal vor, wie viele Ängste du loswerden könntest, wenn du dich nicht von äußerem Druck leiten ließest. Stell dir vor, wie es wäre, nicht von Erwartungen und sozialen Konventionen abzuhängen – wie würde sich das anfühlen? Wahrscheinlich erleichternd. Vielleicht sogar befreiend.

Doch ein solcher Lebenstil erfordert auch viel Ausdauer und Kraft. Denn ein freier Geist zu sein, ist ein Akt der Rebellion in einer Welt, die versucht, uns zurückzuhalten und zu konditionieren. Es stimmt, dass alltägliche Dinge wie das Bezahlen einer Hypothek, der Stromrechnung oder anderer Ausgaben sowie das Einhalten von Fristen notwendige Zwänge einer Gesellschaft sind. Doch sie provozieren nun mal auch viel Stress. Freigeister versuchen dagegen, diese und andere traditionelle Dynamiken zu vermeiden – und nehmen dafür ihre Andersartigkeit in Kauf. Sie schwimmen gegen den Strom, aber ihr Ansatz ist durchdacht, tiefgründig und sinnvoll.

Einsamkeit als sicherer und geborgener Raum

Menschen, die die Freiheit großschreiben, schätzen die Einsamkeit, denn sie bietet ihnen ein zweites Zuhause, einen sicheren Raum, in dem sie ihre Batterien aufladen und in sich hineinhören können. Die Welt ist ein sehr lauter, widersprüchlicher und oft chaotischer Ort. Freie Seelen benötigen eine gewählte Einsamkeit, um einen Sinn in ihrem Leben zu finden, aber auch, um psychologische Distanz zu üben.

Diese Oase der Ruhe ist der unerlässliche tägliche Raum zum Nachdenken, um sich mit ihrem wahren Wesen zu verbinden.

Die ständige Suche nach Sinn und Tiefe

Wenn es etwas gibt, das diese Persönlichkeiten verabscheuen, dann ist es oberflächliches Verhalten. Wenn sie mit jemandem ein Gespräch führen, sprechen sie über philosophische, existenzielle und tiefgreifende psychologische und emotionale Themen. Freigeister verabscheuen Smalltalk und leere Menschen, die andere nur blind imitieren und das eigene Denken nicht aktivieren.

Das Wichtigste für sie: in jedem gelebten Moment Sinn und Transzendenz finden.

Dynamik, Aufgeschlossenheit und vielfältige Leidenschaften

Wir erleben oft eine gewisse Ablehnung gegenüber denen, die ihre Meinung von einem Tag auf den anderen ändern. Doch Freigeister besitzen die ausgeprägte Fähigkeit, ihre Überzeugungen zu überdenken und ihre Ideen zu ändern. Und das ist zweifellos nützlich. Denn Lernen, Verlernen und das Überdenken von Ideen und Überzeugungen ist grundlegend für persönliches Wachstum, da diese kognitive Flexibilität neue Perspektiven und Möglichkeiten eröffnet.

Freie Seelen schwimmen gegen den Strom und stoßen deshalb oft auf Widerstand. Es ist nicht einfach in einer Gesellschaft, die Gleichgesinnte bevorzugt. 

Freigeister wissen, dass sie nicht in die heutige Gesellschaft passen

Freigeister passen sich nicht an die konventionellen sozialen Strukturen an. Sie gehen ihr ganzes Leben nicht nur einer einzigen Berufung nach, stimmen geläufigen politischen Ideologien nicht zu und verstehen oft die moderne Welt nicht, die derzeit so sehr von sozialen Netzwerken und Unmittelbarkeit dominiert wird.

Sie sind sich bewusst, dass sie nicht in die heutige Gesellschaft passen und dass dies oft mehr Probleme als Vorteile bringt. Trotzdem geben sie nicht auf, denn ihre Ideale sind ihr Zuhause und die Freiheit ihr täglicher Treibstoff.

Die Philosophieprofessorin Christa Davis Acampora, die am  Hunter College lehrt, zeigte dies bereits in einer Studie auf. Das Konzept des Freigeistes hat positive Aspekte, ist jedoch auch komplex, was die Einzigartigkeit einer solchen Persönlichkeit offenbart.

Freigeister lieben Reisen
Freigeister bleiben meistens nicht lange an einem Ort.

Freigeister halten nicht an Materiellem fest

Viele klammern sich an ein Haus, an einen Raum, an einen Ort oder sogar an eine Reihe von Gegenständen. Dies führt oft zu Leid, denn wir haben nie genug und opfern unser Leben, um materielle Güter zu erlangen. Wir vergessen dabei, dass Emotionen, Zuneigung und Beziehungen viel wichtiger sind – auch wenn man sie nicht festhalten kann. Freie Seelen entscheiden sich für ihre Ideale, Träume und Werte, anstatt an Materiellem festzuhalten. Unabhängigkeit erfordert den Mut, Wurzeln zu schlagen und gleichzeitig auch Bewegung, die Kraft des Wandels, die gesunde Distanz, die nicht zu sehr an bestimmte Realitäten festhält.


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  • Acampora, C. (2014) “In What Senses are Free Spirits Free?” Pli: The Warwick Journal of Philosophy; 25: 13-33.
  • Nietzsche, F. (2007) Más allá del bien y del mal. Gradifco: Buenos Aires.
  • van den Toren, S.J., van Grieken, A., de Kroon, M.L.A. et al. Young adults’ self-sufficiency in daily life: the relationship with contextual factors and health indicators. BMC Psychol 8, 89 (2020). https://doi.org/10.1186/s40359-020-00434-0

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