Festgefahrene Beziehungsmuster: Mutmaßungen und das telepathische Ego
Wir erwarten uns von unseren Gesprächspartnern nicht nur, dass sie uns zuhören, sondern auch, dass sie antworten, was wir hören wollen. Wir betrachten ihre Gesten, Worte und Handlungen durch den Filter unserer eigenen Mutmaßungen, Überzeugungen und Vorurteile. Schließlich erfüllt sich die Prophezeiung, da wir nur wahrnehmen, was wir sehen wollen.
Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl machen sich oft besonders große Sorgen: Die Frage “Was werden die anderen wohl denken?” steht im Mittelpunkt ihrer Gespräche. Sie entwickeln selbstdisqualifizierende Überzeugungen, die sie unsicher und schwach machen, während sie Zuneigung und Anerkennung suchen. Können wir von anderen erwarten, wertgeschätzt zu werden, wenn wir uns selbst nicht achten?
In einer Beziehung ist dieser Mechanismus paradox und führt vermehrt zu Abhängigkeit und Unsicherheit. Die unsichere Person, die sich selbst geringschätzt, stärkt ihre Rolle, anstatt ihr Selbstwertgefühl zu fördern.
Mutmaßungen und Überzeugungen
Festgefahrene Überzeugungen und Mutmaßungen halten viele davon ab, den Gesprächspartner direkt nach seiner Meinung zu fragen. Du hast bereits eine Idee und versuchst diese Betrachtungsweise im Gespräch zu bekräftigen. Du erfährst nicht, was dein Gegenüber tatsächlich denkt, da du dich nur auf deinen eigenen Standpunkt und deine Vermutungen konzentrierst und Bestätigung suchst.
Die Kommunikation ist schwierig, solange du nicht in der Lage bist, objektiv zuzuhören und dich zu fragen, was du selbst dazu beiträgst, dass die andere Person in der einen oder anderen Weise reagiert. Mutmaßungen haben in zwischenmenschlichen Beziehungen negative Folgen, eine offene Haltung ist weitaus effizienter:
- Stelle deine Überzeugungen hinten an und höre der anderen Person aktiv zu. Lasse sie ihren Standpunkt erklären und versuche, dich in ihre Lage zu versetzen. Betrachte dein Gegenüber so, als ob du die Person noch nie gesehen hättest, und versuche, ihre Worte und Gesten vorurteilsfrei zu interpretieren. Frage sie direkt, was sie mit einer Geste oder mit ihren Kommentaren aussagen möchte und ob du sie richtig verstanden hast. Akzeptiere die Antwort, anstatt sie durch deine Vorurteile ungültig zu machen.
- Verwandle deine Mutmaßungen in Fragen: Anstatt sofort zu urteilen, frage dein Gegenüber, um deine Vermutungen zu bestätigen oder zu widerlegen. Wenn du siehst, dass die Person die Augenbrauen hebt, frage sie, ob sie das Gesprächsthema wütend macht. Gähnt die Person, frage sie, ob sie müde oder gelangweilt ist. Anstatt sich selbst erfüllende Prophezeiungen zu machen, solltest du deinem Gesprächspartner die Chance geben, sich zu erklären.
- Hinterfrage deine Mutmaßungen: Verstecken sich dahinter Vorurteile oder Überzeugungen, die schon längst nicht mehr gültig sind? Sind deine Annahmen, die du im Gespräch bekräftigen möchtest, tatsächlich berechtigt?
Das telepathisches Ego
Mutmaßungen führen oft so weit, dass du glaubst, nichts erklären zu müssen, da dein Gesprächspartner bereits weiß, was du sagen wirst: “Ich kenne deine Antwort schon.” Du setzt voraus, dass die Person, mit der du sprichst, entsprechend reagieren und handeln wird, da sie ja bereits weiß, was du willst.
Du selbst lässt dein Gegenüber auch nicht zu Wort kommen, da du dir sicher bist, seine Gedanken lesen zu können: “Ich weiß schon, was du mir sagen wirst.” Du machst, was du glaubst, dass dein Gegenüber von dir erwartet. Das Ergebnis: Frust und Verwirrung.
Das telepathische Ego ist kein guter Zuhörer: Du nimmst nicht wahr, was dein Gegenüber sagt, da du ja glaubst, die Antwort schon zu kennen. Du ignorierst die Worte deines Gesprächspartners, um auf deinen eigenen Mutmaßungen und Überzeugungen zu beharren. Mit diesem Verhalten hältst du dich selbst in gefangen und gibst der anderen Person nicht die Chance, sich zu verändern.
Wenn du jedoch deine Mutmaßungen und Überzeugungen hinterfragst und beginnst, daran zu zweifeln, kannst du festgefahrene und starre Strukturen brechen und Gespräche nutzen, um dich persönlich zu entwickeln. Die Kommunikation wird so zu einem bereichernden Lernprozess.