Ein klares Nein ist ein gutes Ja für mich!


Geschrieben und geprüft von der Autorin, Illustratorin und Malerin Anja Mannhard
Wie wir denken und handeln, hängt eng mit unseren Grenzen zusammen. Da sich unsere Grenzen mit denen anderer berühren, müssen wir für Klarheit sorgen, wo unsere Leitplanken sind. Grenzen veranschaulichen, wer wir sind. Sie sind nicht starr, sondern werden sich situativ und je nach Grad an Nähe oder Distanz zu anderen Menschen verändern. Manchmal kennen wir sie gar nicht so genau und müssen sie erst erfahren, zum Beispiel wenn sie von jemandem verletzt werden. Ab und an hindern sie uns, weil wir sie zu eng gesetzt haben und sie uns davon abhalten, neue Erfahrungen zu machen.
Wer sich gut kennt, kann sich mit seinen Werten, Zielen und Grenzen klar und effektiv vermitteln. Hierhin zu kommen, ist ein Prozess. Grenzen sind nicht statisch, sondern in Bewegung und sie entwickeln sich gemeinsam mit uns. Es ist nur eine Seite der Medaille, die eigenen Grenzen zu kennen und zu schützen, auch vor uns selbst. Die Kür ist, unsere Grenzen auch in kniffligen Situationen und bei Streitigkeiten zu achten und zu schützen. Jedem Menschen gebührt sein Raum und es ist nicht seine Aufgabe, Platz zu machen und sich zu verkleinern, damit andere sich auf seine Kosten wohler fühlen. Sich schlecht zu fühlen, weil wir unsere Grenzen aufweichen oder aufweichen lassen, obwohl wir das nicht möchten, ist keine gute Basis für ein gesundes und zufriedenes Leben.

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Gesunde Grenzen sind klar und von uns gesetzt. Sie schränken niemand anderen unangemessen ein und fügen niemandem Schaden zu, auch nicht uns selbst. Wir können sie bei Bedarf an wechselnde Personen oder Umstände anpassen. Wir wissen, wo unsere rote Linie und die der anderen ist. Gute Grenzen zu setzen bedeutet, Selbstverantwortung zu übernehmen. Wir machen damit deutlich, dass wir alles gegeben haben, zu dem wir bereit sind. Unsere Klarheit zeigt anderen, wie wir arbeiten und leben wollen. Fehlt diese Klarheit, werden Grenzen schwammig. Wer seinen Selbstwert v.a. daraus bezieht, andere zufriedenzustellen, löst sich irgendwann auf und verliert sich. Man lässt sich manipulieren, ausnutzen, vergeudet Energie und schädigt die eigene Gesundheit.
Wer sich mit Abgrenzung schwertut, wo man eine rote Linie ziehen möchte, kann hinterfragen, weshalb es ein Problem darstellt, gute Grenzen zu setzen. Meist finden sich die Ursachen in der eigenen Geschichte. Vielleicht hat niemand uns beigebracht, wie das geht, oder war selbst kein gutes Vorbild? Vielleicht haben wir Angst vor Zurückweisung, oder dass wir in unserer Rolle nicht anerkannt werden? Vielleicht kommunizieren wir generell unklar? Oder andere missverstehen unsere Signale absichtlich falsch, wollen uns zu etwas anderem bewegen, und wir lassen es zu.

Selbstbehauptung oder Aggression? Tatsächlich können sich gesetzte Grenzen erst einmal wie eine Zurückweisung anfühlen. Wir hören und geben vermutlich lieber ein Ja statt ein Nein. Vor allem erlebt derjenige Grenzen schnell als Ablehnung (seiner Person), wenn er eher schwammige Grenzen hat. Dann können klar kommunizierte Leitlinien hart wirken. Wer selbst mit klaren Grenzen auftritt, kann meist auch die der anderen gut akzeptieren.
Der gelassene Umgang mit Grenzen hängt eng mit dem eigenen Selbstwertgefühl und dem Respekt für uns selbst und andere zusammen. So oder so: Wir dürfen Raum für unsere Gefühle schaffen und ihn erhalten. Damit gestatten wir uns, das zu fühlen, was wir fühlen. Im besten Fall teilen wir dies anderen auch mit und erwirken ein Verständnis für das, was wir nicht möchten. Den eigenen Raum zu verteidigen ist auch anstrengend und man kann geneigt sein, bei Interessenskonflikten zu schnell nachzugeben. Hier geht es aber nicht um rücksichtslose Durchsetzung, sondern um das Einstehen für sich selbst. Wer sich darin übt, seine Grenzen freundlich und klar zu formulieren und dem Gegenüber zugewandt zu bleiben, indem man akzeptiert, dass die Ansichten hier auseinander driften, tut eine Menge für seine Selbstfürsorge.
Grenzen am Arbeitsplatz haben eine andere Qualität als im Privatleben. Hier herrscht eine ungleiche Machtverteilung und auch eine Führungskraft übt nicht nur Macht aus, sondern sie unterliegt parallel den Machteinflüssen anderer, und erst recht jemand ohne Führungsrolle. Da gibt es die Grenzen, die wir selbst besser nicht hätten überschreiten sollen. Es gibt die Grenzen, die wir anderen setzen, die sich dagegen wehren. Und es gibt unsere eigenen Grenzen, die andere nicht ausreichend beachten und respektieren. Kurz: Es ist als normal anzusehen, dass wir ab und an gefordert sind, mit anderen Menschen über unsere Grenzen und die der anderen zu sprechen.

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Wo liegen meine roten Linien? Eine rote Linie markiert, was ich zu tun bereit bin und was nicht. In vielen Bereichen unseres Lebens stehen rote Linien nicht für sich alleine, sondern sie kommen in Berührung mit dem, was andere von uns erwarten. So dürfen wir täglich kleinere und größere Entscheidungen treffen. Es lohnt sich, immer wieder eine Art Bestandsaufnahme der eigenen roten Linien zu machen, v.a. in einer Zeit, in der man nicht unter Druck steht.
Unter Stress neigen wir dazu, unsere Grenzen zu übergehen oder von anderen überschreiten zu lassen. Ganz praktisch heißt das, eine Liste mit den nicht verhandelbaren Dingen zu erstellen und diese immer wieder einmal zu überprüfen und ggf. anzupassen. Diese Liste hilft zu erfahren, wer wir sind und was uns wirklich am Herzen liegt. Mit diesem Wissen lassen sich die eigenen Grenzen festlegen und klar an andere kommunizieren.
Weshalb sind klare Grenzen gesunde Grenzen? Meist wird eine Grenzziehung erforderlich, wenn wir uns mit zu vielen Dingen überlastet fühlen. Demnach besteht eine enge Beziehung zwischen der persönlich, subjektiv erlebten (psychischen) Belastung und unserer Abgrenzungsfähigkeit. Möglicherweise verstärkt sich unser Stresserleben als emotionale Reaktion auf misslungene Abgrenzungsprozesse. Wir sagen Dinge zu, die unsere Kapazitäten überschreiten, kurz: Unser Nein-Sagen ist fehlgeschlagen. Hier zeigt sich ein Ansatzpunkt besserer Selbstwirksamkeit: Wenn wir unsere Abgrenzungsfähigkeit bewusst schulen, führt dies zu einem erfolgreichen Abgrenzungsprozess, zu einer Kongruenz mit uns selbst und zur Vermeidung von verstärktem Stress.
Menschen mit gesunden Grenzen leben zufriedener, und sie sind resistenter gegenüber (negativen) Einflüssen aus ihrer Umwelt. Sie steigern positive Affekte und mindern negative bzw. kompensieren sie. Sie leben freier und bewusster im Umgang mit ihren persönlichen Ressourcen. Sie grenzen sich von Problemen anderer bewusst ab, wenn diese einen schädlichen Einfluss auf das eigene Leben haben. So erhöht sich das subjektive Wohlbefinden in den beruflichen und privaten Beziehungen und die eigene Lebenszufriedenheit.
Möglicherweise haben gelungene Abgrenzungsprozesse auch Einfluss auf die Selbstfürsorge und den Selbstrespekt wie umgekehrt. Menschen, die bewusst auf ihre Selbstfürsorge achten und den Selbstrespekt schützen, verfügen meist auch über eine gesunde Abgrenzungsfähigkeit. Damit könnten gute Grenzen als ein möglicher Resilienzfaktor gelten, der neben der Arbeit auch im Privatleben und den sozialen Beziehungen Anwendung findet.

Gesunde Grenzen lassen sich wie ein „Mutmuskel“ trainieren. Es dürfte sich hierbei nicht um eine persönliche Disposition handeln, die man hat oder nicht. Vielmehr könnte es sich hierbei um eine individuelle Fähigkeit handeln, die auf bestimmten persönlichen Glaubenssätzen basiert und die von Bewusstheit, Selbstreflexion und Selbstwirksamkeit gespeist wird. Es lohnt sich, seine Abgrenzungsfähigkeit zu trainieren und sich dabei mit den eigenen Bedürfnissen und seinem Wohlbefinden auseinanderzusetzen. Denn ein klares Nein zur rechten Zeit schützt mein Ja zu mir!
Anmerkung: Dieser Beitrag ist ein abgewandelter Auszug aus dem neuen Buch von Anja Mannhard „Mit fünf Fragen zur erfolgreichen Führung einer Non-Profit-Organisation (NPO). Handbuch für die Führung im Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- und Vereinswesen“.
Das Buch erscheint im ersten Halbjahr 2025 im Diplomica Verlag Hamburg. (ISBN 978-3-96146-997-0)

Literaturtipp: Mannhard, A. (2022) Mit Selbstrespekt durchs Leben! Wie Sie durch Selbstachtung und Selbstrespekt berufliche und persönliche Chancen ergreifen. Parodos Verlag Berlin. (ISBN 978-3-96824-014-5)
Titelbild: © Anja Mannhard
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