Dysfunktionale Gedanken sind nicht gleichbedeutend mit negativen Gedanken

Auch positive Gedanken können dysfunktionale Gedanken sein und dabei ebenso kontraproduktiv wirken, wie negative Gedanken. In diesem Artikel erklären wir den großen Nutzen, den eine gezielte kognitive Umstrukturierung bietet und zeigen dir die Gefahren von fehlerhaftem positiven Denken auf.
Dysfunktionale Gedanken sind nicht gleichbedeutend mit negativen Gedanken

Letzte Aktualisierung: 04. Juli 2020

Der Sokratische Dialog über dysfunktionale Gedanken und die durch den Dialog beabsichtigte kognitive Umstrukturierung dieser Gedanken ist ein häufig genutztes Instrument in psychologischen Therapien. Er kann in einem sehr breiten Spektrum eingesetzt werden, angefangen bei Störungen wie sozialen Ängsten bis hin zu Gewaltsituationen in Beziehungen und sogar bei der Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen.

Die kognitive Umstrukturierung ist eine Analogie zur psychologischen Behandlung. Dabei scheint sie die festgeschriebenen Grenzen der einzelnen Modelle und psychologischen Strömungen überschritten zu haben. Wir versuchen letztendlich, stets die legitimste, hilfreichste und effektivste Methode zu finden.

Die kognitive Umstrukturierung kann während des gesamten Therapieprozesses, von der Evaluation bis zum Ende der Therapie, wirkungsvoll eingesetzt werden. Die Methode zielt darauf ab, dysfunktionale Gedanken des Patienten zu identifizieren und ihn dann alternative Ideen zum gleichen Thema entwickeln zu lassen.

Außerdem lernt der Patient, welch großen Einfluss dysfunktionale Gedanken auf seine Stimmung haben können. Darüber hinaus wird er erkennen, wie sie sich auf sein Bewusstsein und Verhalten auswirken.

Je häufiger die kognitive Umstrukturierung in Therapien eingesetzt wird, desto mehr verstehen wir, dass jeder Mensch dazu fähig ist, seine eigenen dysfunktionalen Gedanken zu erkennen. Außerdem wird der Patient im Laufe der Behandlung immer geeignetere alternative Gedanken entwickeln können.

Dennoch verwechseln viele Menschen diese alternativen Gedanken oftmals mit positiven Gedanken. Diese unterscheiden sich jedoch von den hier beabsichtigen rationalen Gedanken.

Dysfunktionale Gedanken und rationale Gedanken, welche Unterschiede bestehen?

dysfunktionale Gedanken - Frau

Irrationale oder dysfunktionale Gedanken erzeugen in uns höchst unangenehme Gefühle. Wut, Bitterkeit oder auch Panik können entstehen und für lange Zeit bestehen bleiben. Außerdem sind diese Empfindungen meist mit Adverbien wie “immer” oder “nie” verbunden.

Diese absolutistische Betrachtungsweise hat mit dem zu tun, was du brauchst, um glücklich zu sein. Oder mit dem, was du sein, tun oder haben solltest, also mit selbst auferlegten Ansprüchen.

Darüber hinaus sind diese Gedanken nicht verifizierbar. Im Gegensatz dazu sind rationale Gedanken logisch nachvollziehbar und belegbar. Daher sind auch die durch sie hervorgerufenen Emotionen weitaus weniger intensiv als dies bei dysfunktionalen Gedanken der Fall ist.

Wenn wir die erzeugten Gefühle gegenüberstellen, dann entstehen bei rationalen Gedanken im Vergleich zu dysfunktionalen Gedanken beispielsweise folgende Gefühle: Ekel oder Abneigung anstelle von Wut; Resignation anstelle von Bitterkeit; Angst anstelle von Panik.

Allerdings ist es sehr wichtig, dass du bei der Umstrukturierung darauf achtest, die rationalen Gedanken nicht zu positiv zu formulieren. Wut wird nicht durch Glück ersetzt. Bitterkeit wird auch nicht in Zufriedenheit und Panik gleichfalls nicht in Mut umformuliert. Rationale Gedanken müssen realistisch und an die Situation angepasst sein. Wenn du sie zu positiv formulierst, dann könnten auch sie wieder zu irrationalen Gedanken werden.

Außerdem wird es mit großer Wahrscheinlichkeit sehr schwer sein, rationale Gedanken zu formulieren, die alternative und rationale Gedanken als positives Denken verstehen. Vermutlich wird das Gegenteil der Fall sein. Wenn das rationale Denkvermögen eingeschränkt ist und der Fokus mit einem Tunnelblick nur auf die negativen Aspekte gelegt wird, dann kann die Umstrukturierung eine schier unüberwindbare Aufgabe darstellen.

Beispiel: Patrizia verliert ihren Job

Wir wollen dies an einem Beispiel verdeutlichen. Stell dir Patrizia vor, sie ist 40 Jahre alt und verliert ihren Job als Angestellte einer Bank. Folgende dysfunktionalen Gedanken könnte Patrizia haben: “Ich werde nie mehr einen Job finden”, “Ich bin nutzlos” oder “Ich hätte noch mehr arbeiten müssen”. Du kannst an diesen Gedanken erkennen, dass diese unter anderem sehr absolut formuliert sind. Und diese Annahmen sind in keiner Weise verifizierbar.

Mit etwas Übung könnte es Patrizia gelingen, alternative rationale Gedanken zu formulieren, welche in ihrer Situation weitaus hilfreicher für sie wären: “Ich weiß nicht, ob ich wieder einen Job finden werde, aber ich bemühe mich nach Kräften, einen zu bekommen”, “Ich habe meinen Job verloren, aber das bedeutet nicht, dass ich nutzlos bin. Sie haben meine Arbeitsleistung nur einfach nicht mehr gebraucht, aber das hat nichts mit mir persönlich zu tun. Ich bin nach wie vor ein wertvoller Mensch” oder “Ich hätte noch mehr arbeiten können, aber ich weiß gar nicht, ob das überhaupt etwas an der Kündigung geändert hätte.”

Wie du erkennen kannst, enthalten die alternativen Gedanken keine absoluten Aussagen oder Begriffe. Die Schlussfolgerungen wurden nicht aufgrund persönlicher Vorverurteilungen und Schuldzuweisungen getroffen. Genauso wenig wurden sie von externen Ereignissen abhängig gemacht.

Fehlerhaftes positives Denken und die Folgen

dysfunktionale Gedanken - besorgte Frau

Es ist möglich, dass Patrizia nicht weiß, wie sie dysfunktionale Gedanken in hilfreiche rationale Gedanken umwandeln kann. Außerdem kann es sein, dass die Erklärungen und Regeln, die ihr zur Umstrukturierung gegeben wurden, nicht verständlich für sie waren.

Aus diesen Gründen könnte sie folgende Gedanken formuliert haben, von denen sie glaubt, dass sie für sie hilfreich seien: “Morgen werde ich einen neuen Job finden und ich werde das gleiche Gehalt erhalten, das ich in der Bank verdient habe”, “Ich bin die beste Kandidatin am Arbeitsmarkt und daher bin ich allen anderen gegenüber im Vorteil” oder “Ich bin sicher, dass die Tatsache, dass ich nicht noch mehr gearbeitet habe, nicht zu meiner Kündigung geführt hat. Der einzige Grund, dass ich meinen Job verloren habe, ist der, dass mein Chef mich nicht leiden konnte”.

Im Gegensatz zu der weit verbreiteten Annahme, bedeutet positives Denken nicht, dass alles sich genau so entwickeln wird, wie du dir das wünschst und du es erwartest. Daher birgt diese Art des Denkens zahlreiche Fallstricke.

Verschiedene Autoren, wie beispielsweise Barbara Ehrenreich oder Derren Brown, thematisierten bereits die negativen Auswirkungen, die übertrieben positives Denken verursachen kann. Sie erklären, dass diese Art des Denkens sehr täuschend ist und dich zu unangemessenen und unrealistischen Schlussfolgerungen verleiten kann. Diese Schlussfolgerungen basieren auf fehlerhaften Attribuierungen und Einflüssen, die keinerlei empirische Validität haben.

Dysfunktionale Gedanken versus positive Gedanken

Daher ist es wichtig, ausgewogene und angemessen Urteile und Entscheidungen zu treffen. Irrationale oder dysfunktionale Gedanken können negative Gedanken sein. Tatsächlich ist die überwiegende Mehrheit dieser Gedanken negativ, dennoch gibt es auch positive irrationale Gedanken.

Während die negativen zu extremen emotionalen Reaktionen führen können, kann dies ebenso bei den positiven Gedanken der Fall sein. Besonders dann, wenn sie so unrealistisch sind, dass du diese Ziele nie erreichen kannst. Oder auch dann, wenn sie dich zu extrem hohen Erwartungen an dich selbst und an deine Umwelt führen, weil sie schlichtweg nicht auf Fakten und realistischen Tatsachen beruhen. Außerdem können diese extremen Emotionen auftreten, wenn die Gedanken sehr absolut formuliert sind.

Darüber hinaus ist es sehr wichtig, die individuelle Wahrnehmung des Patienten zu beachten. Es muss sichergestellt werden, dass er die Parameter und Bedingungen versteht, aufgrund derer rationales Denken entsteht. Daher ist es empfehlenswert, diese zunächst an Beispielen und Metaphern zu erklären. Wenn der Patient die Mechanismen verstanden hat, kann die Umstrukturierung der dysfunktionalen Gedanken des Patienten beginnen.

Weiterhin ist es sehr hilfreich, diese Umstrukturierung zu trainieren. Wenn du genügend Übung darin hast, dann wird es dir wesentlich leichter fallen, alternative Gedanken zu entwickeln, die effektiv und nützlich sind, wenn der Bedarf dafür tatsächlich besteht.


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  • Ehrenreich, B. (2009). Sonríe o muere. La trampa del pensamiento positivo. Madrid: Turner.

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