Die Zeit der Antipsychiatrie

Die Zeit der Antipsychiatrie
Sergio De Dios González

Geprüft und freigegeben von dem Psychologen Sergio De Dios González.

Geschrieben von Edith Sánchez

Letzte Aktualisierung: 12. Juli 2023

Antipsychiatrie ist eine umstrittene Bewegung, die in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren entstand. Einer ihrer Inspiratoren war der ungarische Psychiater Tomas Szasz, der auch Professor an der Syracuse University (New York, USA) war. Die Person, die den Begriff geprägt hat, war jedoch David Cooper im Jahre 1967.

Die antipsychiatrische Bewegung hat sich, wie der Name schon sagt, gegen die Theorie und Praxis der Psychiatrie ausgesprochen. Oder zumindest gegen die Methoden jener Tage. Die Befürworter dieser Bewegung behaupteten, die Psychiatrie wäre eine Pseudowissenschaft mit einer sehr schwachen Basis. Sie behaupteten auch, dass sie statt einer medizinische Disziplin mehr eine Ideologie wäre, in der man versuchte, die Kontrolle über den menschlichen Geist zu erlangen, indem Zuordnungen zu “Normalität” und “Abnormalität” erfolgten.

“Psychische Gesundheit braucht viel Aufmerksamkeit. Es ist das letzte Tabu und es muss gebrochen werden.”

Adam Ant

Diese Bewegung ist aufgrund der revolutionären Natur ihrer Ansätze auf große Resonanz gestoßen. Es wurde endlich eine Stimme laut gegen umstrittene Behandlungen wie die Lobotomie und den Elektroschock. Mit der Zeit verlor die Bewegung an Einfluss, aber sie ist nie untergegangen. Jetzt scheint es, als würde uns Dr. Bonnie Burstow bei ihrer Wiedergeburt assistieren. Sie ist Professorin an der University of Toronto (Kanada) und hat kürzlich den Studiengang Antipsychiatrie eröffnet.

Gehirn mit der Lupe untersuchen

Die Begründung der Antipsychiatrie

Antipsychiatrie ist eine von Psychiatern, Psychologen, Ärzten, Philosophen und vielen “psychisch kranken” Menschen, die besser als “Überlebende” bezeichnet werden sollten, getragene Bewegung. Ihrer Meinung nach existierte die psychische Erkrankung nicht als solche. Eines ihrer Hauptargumente ist die Tatsache, dass bis heute keine klinischen Beweise dafür vorliegen, dass der Geist erkranken könnte. Weder Tomografien noch andere Tests haben Belege geliefert, die uns erlauben würden, den Begriff “Geisteskrankheit” auf eine solide Basis zu stellen.

Die Mitglieder der antipsychiatrischen Bewegung äußerten sich auch gegen die Art und Weise, in der angebliche psychische Leiden definiert und klassifiziert werden. Ihrer Meinung nach gäbe es keine wissenschaftliche Methode, die in der psychiatrischen Praxis fände und die gegebene Klassifizierung rechtfertigte. Die “Geisteskranken” würden dank der Entscheidung von etwa 3.000 amerikanischen Psychiatern, die ein entsprechendes Handbuch erarbeitet haben, als solche bezeichnet.

Man kritisierte besonders stark, dass die Lobotomie als eine Methode zur Behandlung von “Geisteskrankheiten” eingeführt und verteidigt wurde. Sein Erfinder, Egas Moniz, führte sie erstmals an einem Affen durch. Der Primat zeigte danach ein friedlicheres Verhalten und so setzte er die Methode auch beim Menschen ein. Moniz bekam den Nobelpreis für diese “Erfindung”, die nur auf einem Experiment basierte, welches mit einem einzigen Schimpansen durchgeführt wurde.

Die Antipsychiatrie behauptete, dass Pharmaka gegen “Geisteskrankheiten” in der Tat eine Art chemischer Lobotomie wären. Anstatt den Patienten zu heilen, führten sie nur allmählich zu Verschlechterung und Tod. Sie waren überzeugt, dass die Psychotherapie als Werkzeug viel nützlicher wäre, da eine “Geisteskrankheit” nicht biologischer, sondern kultureller Natur wäre.

Bonnie Burstow und Antipsychiatrie

Es gibt viele Stimmen auf der Welt, die die Psychiatrie weiterhin infrage stellen. Und doch ist sie in fast jedem Gesundheitssystem der Welt als eigenständige Disziplin anerkannt. Laut den Antipsychiatern wäre das so, weil es viel billiger und profitabler wäre, Menschen mit Medikamenten zu behandeln als sich mit ihren Problemen zu beschäftigen. Hinter all dem steckte die Pharmaindustrie. Während eine Pille in der Lage wäre, die Angst in nur einer halben Stunde zu lindern, bedürfte eine Therapie vieler Stunden Arbeit.

Die Wirkung von Psychopharmaka wurde zudem in mehreren Studien in Frage gestellt. Den Antipsychiatern zufolge gäbe es sehr wenige Fälle, in denen eine echte Verbesserung beobachtet worden wäre. Eher wäre das Gegenteil der Fall: Die Nebenwirkungen dieser Drogen schadeten Körper und Geist der Patienten.

Bonnie Burstow

Professor Bonnie Burstow hat all diese Behauptungen wieder aufgegriffen. Ihr Engagement für ein Stipendium in der Antipsychiatrie ist also der erste Schritt, um diese Meinung wieder zu verbreiten. Ein echter Meilenstein also. Aber es gibt Meilensteine, die besser nicht erreicht werden.

Die meisten Psychiater verurteilen die antipsychiatrische Bewegung jedoch als reine Verschwörungstheorie, die jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehrt und Fakten ignoriert. Sie wissen, dass sie ein unsinniger Angriff ist, der viel mehr mit Politik als mit Wissenschaft zu tun hat. Es geht nicht darum, sämtliche Behauptungen als falsch abzutun – einige Tests und Behandlungsmethoden, die eingesetzt wurden, sind ganz bestimmt mehr als fragwürdig – aber die Realität zeigt uns, dass psychische Erkrankungen existieren und behandelt werden müssen. Und dass dazu am besten mehrere Ansätze verfolgt werden, wobei einer von ihnen die Psychotherapie ist. Zumindest da stimmen wir Bonnie Burstow zu.

Bonnie Burstow fördert die Behandlung von problematischen Geisteszuständen durch konversationsbasierte Psychotherapie. Bei Menschen, die an Schizophrenie litten, wurde diese Methode angewendet, und in einigen Fällen konnten gute Ergebnisse erzielt werden.

Es ist eine Tatsache, dass einige schwarze Schafe Medikamente missbrauchen, aber es ist auch wahr, dass diese Medikamente vielen Menschen in extremen Situationen helfen. In diesem Sinne ist eine Medikation eine positive Sache, um die Symptome des Patienten zu lindern. Sie verschafft Zeit, um eine wirksame Therapie zu finden, die den Bedürfnissen des Patienten angepasst ist.

Vielleicht ist das die beste Möglichkeit, einen konstruktiven Dialog zwischen Psychiatrie und Antipsychiatrie zu fördern. Auf diese Weise können wir in diesem schwierigen Bereich für Menschen, die Hilfe brauchen, eine humanere und effektivere Behandlung finden.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.