Die Tapferkeit und das Leiden
Das Leben ist nicht immer leicht. Es ist fast niemals einfach, oder zumindest fühlt es sich so an. Die Sache hierbei ist, dass wir meistens unser Leiden vor anderen Menschen verstecken. Nur wir kennen die genaue Stelle unserer Wunden, und wie verletzlich wir durch sie sind. Nur wir können sie heilen, indem wir jedes der zerbrochenen Stücke wieder aufsammeln und stärker werden. Tapferkeit und Leiden gehören zusammen. Obwohl es eines der schwierigsten Dinge ist, die wir erleben müssen, wenn wir eine Erfahrung machen, die uns innerlich zerbricht, ist es auch eine Gelegenheit. Sie gibt uns die Möglichkeit, einen Schritt zurück zu treten und neu zu bewerten, wie wir die Welt verstehen, damit wir dann mit der Zeit uns wieder selbst aufbauen können. Die Frage hierbei ist, wie wir das tun können?
„Wenn wir die Situation nicht verändern können, mit der wir konfrontiert sind, ist die Herausforderung, dass wir uns selbst verändern.”
Viktor Frankl
Das Gewicht des Leidens
Niemand ist vor dem Leiden sicher. Es ist der fremde Gast, der uns von Zeit zu Zeit in unserem Leben unterbricht, ohne Warnung oder Einladung. Und obwohl wir normalerweise versuchen, davor wegzulaufen oder es im tiefsten Keller zu verstecken und so zu tun, als ob es nicht da wäre, können wir doch es nicht davor stoppen, seine Wirkung auf uns zu haben. Es übt seine Macht selbst aus dem dunklen Keller heraus aus, in den wir es verbannt haben. Und wir nehmen vielleicht gar nicht seinen Einfluss wahr, weil die Dunkelheit es schwierig macht, dass wir es voraussehen können oder seinen Bewegungen folgen können.
Je mehr Zeit das Leiden im Schatten bleibt, desto mehr Macht hat es über uns.
Manche Menschen verstecken ihre negativen Gefühle hinter einem aufgesetzten Lächeln. Andere Menschen stopfen ihre Tage mit Aktivitäten voll, damit sie keine freie Zeit haben, in der sie zu viel nachdenken müssen. Anderen lügen sich selbst an, indem sie versuchen, ein Pflaster auf ihr Unwohlsein zu kleben. Wir alle haben schon so etwas getan, ob es sich dabei um etwas handelt, was nur selten vorkommt, oder ob es schon zu einer Gewohnheit geworden ist.
Das Problem dabei ist, dass das Leiden doch früher oder später an die Oberfläche kommen wird, egal, welche Schranken wir dagegen aufbauen. Die Folgen können körperlicher Schmerz oder auch emotionaler Schmerz sein.
Leiden als Teil des Lebens
Das Leiden ist ein Teil des Lebens, ob wir es mögen oder nicht. Die Gefahr ist, wenn es so schwer und lang andauernd wird und wenn es so viele Gestalten annimmt, dass es zum Lebensstil wird. Es vernebelt alles um uns herum und lässt es dunkelgrau, sogar fast schwarz erscheinen.
In der Tat kommt das meiste Leiden, das wir fühlen (nicht alles) von schmerzhaften Erfahrungen. Es ensteht zum Beispiel, wenn wir nicht den Verlust von etwas oder jemandem, den wir lieben, verwinden können. Wir akzeptieren den Verlust nicht. Anstatt dessen wehren wir uns dagegen und versuchen unser Bestes, um die Dinge zu verändern. Wenn wir dies tun, dann fügen wir uns selbst Leid zu, ohne dass wir es bemerken. Dieses Leiden ist Schmerz aber gleichzeitig ist es ein Schutz vor dem Regen, der inmitten unserer Trauer anfängt zu fallen und der uns bis auf die Knochen mit Traurigkeit durchnässt.
Der Tod einer geliebten Person, das Ende einer Beziehung, der Verrat eines Freundes, oder seine Arbeitsstelle zu verlieren sind Beispiele für einen Verlust, der Schmerzen und Leiden verursacht. Es fühlt sich so an, als ob uns jemand direkt ins Herz gestochen hätte. Es handelt sich hierbei um Wunden, die niemals aufhören, zu bluten, wenn wir uns nicht um sie kümmern. Sie können zu zerbrochenen Scherben werden, die man schwer wieder zusammen fügen kann.
Eine widerstandsfähige Dämmerung
Obwohl es stimmt, dass sich bei manchen Menschen Störungen oder wirkliche Probleme herausbilden, die durch ihr Leiden enstehen, ist es nicht an der Tagesordnung, das dies passiert. Manche Menschen sind sogar in der Lage, stärker als zuvor aus ihren traumatischen Erfahrungen heraus zu kommen. Es sind Erfahrungen, die ihnen Schmerz verursachen, die ihnen aber auch dabei helfen, zu wachsen. Auf irgend eine Weise sind sie in der Lage, einen Nutzen aus ihrer Erfahrung zu ziehen.
Eine Studie von Wortman und Silver bestätigt, dass es Menschen gibt, die den Schlägen des Lebens mit einer unerwarteten Stärke widerstehen. Der Grund hierfür ist ihre Widerstandsfähigkeit. Durch die Widerstandsfähigkeit sind sie in der Lage, das Gleichgewicht zu behalten und zu vermeiden, dass sie zu sehr von den Traumata und Schmerzen in ihrem täglichen Leben erschüttert werden. Das lässt uns glauben, dass wir stärker sind, als wir denken. Dass sogar, wenn uns unsere Stärke verlässt, es noch einen winzigen Lichtstrahl gibt. Er erleuchtet unseren Weg, so dass wir die zerbrochenen Stücke wieder aufsammeln können und uns selbst wieder aufbauen können. Das ist die Dämmerung unserer Widerstandsfähigkeit. Es ist genau der Moment, wenn unsere Sorgen und das Gewicht unseres Leidens der heilenden Kraft unserer Stärke Platz machen. Es macht uns dazu fähig, Widerstand zu leisten und uns selbst wieder aufzubauen.
„Obwohl die Welt voller Leiden ist, ist sie auch voll der Überwindung dieses Leidens.”
Helen Keller
Anstatt zu ignorieren, was wir fühlen, sollten wir es als eine Lektion des Lebens akzeptieren und mit offenen Augen durch es hindurch gehen. Es kann sein, dass wir uns erst daran gewöhnen müssen, genau so, wie man versucht, in der Dunkelheit zu sehen. Selbst wenn uns das Leben niederschlägt und uns fast zerbricht, hilft uns die Fähigkeit, sich stark zu fühlen, dabei, das zu überwinden, was wir durchmachen. Mit dieser Fähigkeit können wir unser Selbst wieder zusammen fügen, indem wir unsere zerbrochenen Scherben eine nach der anderen wieder aufsammeln.
Die Scherben aufsammeln, um uns selbst wieder aufzubauen
Das ist Widerstandsfähigkeit, eine der schönsten Fähigkeiten und etwas, was sie uns in der Schule beibringen sollten. Wir sollten lernen, wie wir unsere Wunden heilen, sie mit Liebe behandeln und die best mögliche Lektion aus ihnen lernen. Aber wie können wir dies tun?
Wie wir gesehen haben, ist es möglich, nach einem Sturm wieder aufzublühen, aber es ist nicht leicht. Es ist ein komplexer und dynamischer Prozess, der laut dem Psychiater Boris Cyrulniks nicht nur die persönliche Entwicklung beinhaltet, sonder auch den Prozess, die Lebensgeschichte einer Person zu strukturieren. Es gibt einige Faktoren, die wir entwickeln können, um unsere Widerstandsfähigkeit zu vergrößern und die uns dabei helfen, unsere Scherben wieder aufzusammeln.
Einige dieser Faktoren sind die folgenden:
- Selbstbewusstsein und unsere Fähigkeit, mit Konfrontationen umzugehen
- Unsere Emotionen und Gefühle zu akzeptieren.
- Einen sinnvollen Zweck für unser Leben zu haben.
- Zu glauben, dass wir sowohl aus negativen, als auch aus positiven Erfahrungen lernen können.
- Ein Netzwerk zu haben, das einen unterstützt.
Leiden und Schmerzen verändern uns
Darüber hinaus betonen Calhoun und Tedeschi, zwei der Autoren, die am meisten über post-traumatisches Wachstum geforscht haben, dass Leiden und Schmerzen uns verändern, nicht nur auf einer individuellen Ebene, sondern auch in unseren Beziehungen und in unserer Lebensphilosophie.
Unsere schmerzvollen Erfahrungen zu konfrontieren macht Angst, aber wenn wir vor ihnen davon laufen, dann verlängert dies unser Leiden. Wenn wir sie vermeiden, dann kann es dazu führen, dass sie auf eine gefährliche Art mutieren. Echter Mut bedeutet, dass man weiter macht, obwohl man Angst hat. Man geht weiter nach vorne, obwohl der Körper zittert und innerlich in Stücke zerfällt.
Wir brauchen im Leben Zeit, um unsere Erfahrungen zu verarbeiten und um mit unserem Leiden alleine zu sein. In diesen einsamen Momenten sind wir in der Lage, es zu verstehen. Wir lernen, dass das Wichtige hierbei ist, weiter zu gehen, egal, ob wir große oder kleine Schritte machen. Die stärkste Person ist nicht die, die niemals hinfällt, sondern die, die wieder aufstehen und weiter gehen kann, und dabei wegen des Falls sogar stärker ist.