Die Igel-Metapher: Wenn Ängste zu Stacheln werden

Menschliche Beziehungen sind kompliziert. Es gibt Menschen, die Zuneigung brauchen, aber gleichzeitig Angst vor Verrat und Enttäuschung haben. Deshalb ziehen sie es vor, allein zu leben. Sie sind wie Igel - mit einem Rücken voller Stacheln.
Die Igel-Metapher: Wenn Ängste zu Stacheln werden
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 12. Januar 2023

Die Liebe ist wunderbar, aber für viele ist es auch eine angstbesetzte Erfahrung: Angst vor dem Verlassenwerden, vor Verrat oder davor, verletzt zu werden, sich emotional zu öffnen und dann zu versagen. Wir wissen, dass Beziehungen Risiken erfordern, aber manche Menschen sehen nur Bedrohungen und sind deshalb auch nicht erfolgreich. Die Igel-Metapher erklärt diese Situation sehr anschaulich.

Bevor wir über diese Metapher sprechen, die Arthur Schopenhauer in seinem Werk “Parerga und Paralipomena” (1851) erklärt, möchten wir kurz erwähnen, dass insbesondere ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsprofile die anfangs beschriebene Situation erleben. Sie sehnen sich zwar nach sozialer Interaktion und danach, zu lieben und geliebt zu werden, doch sie haben Angst, sich abhängig zu machen oder verletzt zu werden. Deshalb ziehen sie sich in die Einsamkeit zurück und bevorzugen es, selbst alles unter Kontrolle zu haben.

Wie ein Igel mit Stacheln vertreiben sie durch ihr Verhalten und ihre Einstellung alle, die sich ihnen nähern wollen. Sie sind oft mürrisch oder übermäßig schüchtern. Ihr Verhalten erinnert an das Hikikomori-Syndrom und könnte als asozial betrachtet werden.

Beziehungen sind ein menschliches Grundbedürfnis, aber Ängste sowie Befürchtungen können uns selbst und andere verletzen oder fernhalten.

Mann beobachtet Sonnenuntergang und denkt an die Metapher des Igels
Ängste und Abwehrmechanismen können befriedigenden Beziehungen im Wege stehen.

Die Igel-Metapher

Die Igel-Metapher ist auch als Stachelschwein-Dilemma bekannt. Es handelt sich um ein Gleichnis, das zum Nachdenken anregt. Arthur Schopenhauer beschrieb diese Geschichte wie folgt:

“Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich, an einem kalten Wintertage, recht nahe zusammen, um, durch die gegenseitige Wärme, sich vor dem Erfrieren zu schützen. Jedoch bald empfanden sie die gegenseitigen Stacheln; welches sie dann wieder von einander entfernte. Wann nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder näher brachte, wiederholte sich jenes zweite Übel; so daß sie zwischen beiden Leiden hin und her geworfen wurden, bis sie eine mäßige Entfernung herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten. – So treibt das Bedürfnis der Gesellschaft, aus der Leere und Monotonie des eigenen Innern entsprungen, die Menschen zu einander; aber ihre vielen widerwärtigen Eigenschaften und unerträglichen Fehler stoßen sie wieder von einander ab. Die mittlere Entfernung, die sie endlich herausfinden, und bei welcher ein Beisammensein bestehn kann, ist die Höflichkeit und feine Sitte. Dem, der sich nicht in dieser Entfernung hält, ruft man in England zu: keep your distance! – Vermöge derselben wird zwar das Bedürfnis gegenseitiger Erwärmung nur unvollkommen befriedigt, dafür aber der Stich der Stacheln nicht empfunden. – Wer jedoch viel eigene, innere Wärme hat bleibt lieber aus der Gesellschaft weg, um keine Beschwerde zu geben, noch zu empfangen.”

Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena (Abschnitt 396, Seite 524)

Schopenhauer skizzierte mit diesem Dilemma eine dornige Realität. Der Mensch braucht die Einsamkeit und die Liebe zur gleichen Zeit. Wenn wir zusammenfinden, kommen die unangenehmsten Eigenschaften und Dimensionen zum Vorschein, die uns etwa daran hindern, als Paar zu leben. Dann driften wir auseinander, und in der Ferne tauchen wieder die Kälte und der Abgrund der Leere auf.

Zwischen tödlicher Einsamkeit und Bindungen, die wehtun

Die kleinen Stachelschweine müssen einerseits mit den gefährlichen Auswirkungen des strengen Winters und andererseits mit dem Schmerz der gegenseitigen Stacheln fertig werden, während sie versuchen, aneinandergeklebt zusammenzuleben. Auch die Menschen werden oft mit der Igel-Metapher konfrontiert.

Einsamkeit ist tödlich, aber manchmal werden wir auch verletzt, wenn wir mit jemandem zusammenleben. Was tun wir dann? Manche Menschen entscheiden sich für die erste Option. Erinnern wir uns an die eingangs genannten Beispiele. Menschen mit dem Hikikomori-Syndrom zeigen dieses auffällige psychopathologische und soziologische Phänomen, bei dem sie sich monatelang in ihren Zimmern isolieren: Vermeidung aller sozialen Verpflichtungen.

Die vermeidende Persönlichkeitsstörung zum Beispiel zeigt laut einer Studie der Universität Newcastle auch diese Angst vor sozialer Interaktion und Ablehnung. Schopenhauer geht sogar so weit, dass er erklärt, dass manche Menschen eine große innere Wärme haben und sich deshalb lieber von der Gesellschaft fernhalten, um weder Unannehmlichkeiten zu verursachen noch zu empfangen.

Täusche dich nicht, denn diese Vorstellung ist nicht wahr. Menschen brauchen soziale Bindungen, um zu überleben und um ein angemessenes psychisches Wohlbefinden zu gewährleisten. Isolation macht uns krank, Einsamkeit führt zu vorzeitigem Tod. Der Schlüssel liegt darin, eine optimale Nähe herzustellen.

Sigmund Freud soll die Figur eines Stachelschweins auf seinem Schreibtisch gehabt haben, weil er von Schopenhauers Igel-Metapher fasziniert war.

Paar symbolisiert Igel-Metapher
Nur wenn wir unsere Ängste loslassen, werden wir in der Lage sein, einander zu lieben, ohne uns zu verletzen oder unsere scharfen Kanten hervorzuheben.

Die Igel-Metapher: Stachelige Kreaturen schaffen es tatsächlich, sich aneinander zu kuscheln

In unserem Versuch, eine intime Verbindung mit jemandem herzustellen, können wir einige wirklich stachelige Prozesse in Gang setzen. Es kann vorkommen, dass wir jemandem immer näher kommen und wir diese Person schließlich dazu bringen zu fliehen. Manchmal führt Verletzlichkeit oder die ewige Angst, verletzt zu werden, auch dazu, dass wir Menschen, die wir am meisten lieben, von uns wegstoßen.

Machen wir uns klar: Je ängstlicher wir werden, desto mehr Palisaden bauen wir zur Selbstverteidigung auf. Unsere Stacheln kommen zum Vorschein und wir verletzen uns am Ende gegenseitig. Wir tun dies, um unser verängstigtes Selbst zu schützen, das zwar Angst vor der Einsamkeit hat, aber auch nicht weiß, wie es sich lieben lassen kann. Was also tun?

Die Igel-Metapher ist nicht ganz richtig. Sie ist sehr effektiv als Gleichnis und als Übung zum Nachdenken. Aber in Wirklichkeit stechen Igel nur, wenn sie sich bedroht fühlen. Ihre Stacheln sind wie dicke Haare, die sich nur zusammenziehen, wenn sie sich wütend oder angegriffen fühlen.

Der Schlüssel liegt im Vertrauen, im Aufbau einer optimalen Distanz zwischen persönlicher Freiheit und affektiver Vertraulichkeit. Nur wenn wir unsere Ängste ausschalten und verstehen, dass vorbehaltlos zu lieben Vertrauen bedeutet, werden wir glücklich. In gewisser Weise hat es keinen Sinn, die Nähe anderer zu suchen, wenn wir es nicht zuerst schaffen, wie die Igel unsere spitzen Teile zu besänftigen.


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  • Schopenhauer, Arthur (1851-01-01), “Parerga and Paralipomena: Short Philosophical Essays, Volume 2″Arthur Schopenhauer: Parerga and Paralipomena: Short Philosophical Essays, Oxford University Press, vol. 2, pp. 651–652

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