Descartes und die Gewissheit des Selbstbewusstseins

Inwieweit können wir uns auf die Informationen verlassen, die wir durch unsere Sinne erhalten? Wo sind die Grenzen unseres Wissens? Um diese Fragen zu beantworten, begleiten wir Descartes auf seiner Suche nach Gewissheit.
Descartes und die Gewissheit des Selbstbewusstseins
Matias Rizzuto

Geschrieben und geprüft von dem Philosophen Matias Rizzuto.

Letzte Aktualisierung: 27. Februar 2023

René Descartes (1596-1650) war ein herausragender Naturwissenschaftler, der auch wichtige Beiträge zur Philosophie leistete. Der französische Denker lehnte die philosophischen Methoden seiner Zeitgenossen ab. Er wünschte sich eine Philosophie der Vernunft und Logik. Damit begründete Descartes, der die Methoden der Mathematik auf die Philosophie übertragen wollte, den Rationalismus.

Zweifel als Grundlage der Gewissheit

Descartes beschloss, sich von der Welt zu isolieren, um Überzeugungen, Meinungen und Wahrheiten systematisch zu hinterfragen. Durch seine methodischen Zweifel kam der Philosoph zu dem Schluss, dass wir die durch unsere Sinne wahrgenommenden Informationen für selbstverständlich halten, uns die Sinne jedoch einfach täuschen können. Wenn wir einen Stock im Wasser betrachten, scheint er gebrochen z sein, doch wie wir wissen, ist das nur eine Täuschung. Wir können auch eine Säule aus der Ferne sehen und glauben, dass sie rund ist. Kommen wir ihr näher, stellen wir vielleicht fest, dass sie in Wahrheit eine viereckige Form hat.

Mann denkt über Descartes und die Gewissheit des Selbstbewusstseins nach
Für Descartes muss Wissen durch die Vernunft abgeleitet werden, daher ist seine Sichtweise als Rationalismus bekannt.

Die Sinne täuschen uns

Descartes glaubte deshalb, dass wir den Informationen, die wir über unsere Sinne aufnehmen, nicht vertrauen können. Natürlich gibt es Situationen, in denen wir uns kaum täuschen können. Doch wir alle wissen, dass beispielsweise Träume zum Teil so real scheinen, dass wir erstaunt sind, wenn wir aufwachen und uns bewusst werden, dass alles nur Einbildung war.

Es gibt jedoch Wissen, das keine Zweifel zulässt: In der Mathematik sind zwei plus zwei immer vier. Doch wenn wir uns täuschen lassen? Descartes glaubte, dass uns ein betrügender Gott (deus deceptor) täuschen könnte. Er brachte auch einen bösen Geist (genius malignus) mit ins Spiel, der die Realität manipulieren könnte und dem Menschen die Möglichkeit nimmt, Gewissheit zu haben.

“Alles was lediglich wahrscheinlich ist, ist wahrscheinlich falsch.”

René Descartes

Die einzige Gewissheit ist das Selbstbewusstsein

Durch den methodischen Zweifel zerstört Descartes jede Möglichkeit der Erkenntnis: Wie können wir ohne unsere Sinne und ohne mathematische Wahrheiten Gewissheit erlangen? Descartes erkennt schließlich, dass trotz all seiner Zweifel geistige Prozesse möglich sind. Er kann nicht daran zweifeln, dass er denkt. In diesem Augenblick formuliert der Philosoph seinen bekanntesten Gedanken: “Cogito ergo sum” (Ich denke, also bin ich).

Wir können alles bezweifeln, was wir sehen oder denken, doch wir denken, daran gibt es keine Zweifel. Da wir denken, wissen wir, dass wir existieren, deshalb ist die einzige Gewissheit das Selbstbewusstsein. Wir sind eine “denkende Sache” (res cogitans), die unter anderem fühlen, wissen, wollen und sich Dinge vorstellen kann.  Um Wissen zu erlangen, müssen wir geistige Inhalte analysieren, die dem Denken innewohnen.

“Die einzige unmittelbar glaubwürdige Realität ist die Realität des Bewusstseins.”

René Descartes

Descartes und die Gewissheit des Bewusstseins
Unsere einzige Gewissheit ist das Selbstbewusstsein

Wie definiert Descartes Ideen?

Descartes unterscheidet zwischen dem Wissen, das aus unserem Verstand stammt, und dem Wissen, das uns unsere Sinne ermöglichen. Die Vorstellungen, die in unserem Geist entstehen, definiert der Philosoph als Ideen. Er diferernziert drei Arten von Ideen:

  • Angeborene Ideen (Unendlichkeit, Gott, die Axiome der Mathematik…)
  • Ideen, die aus inneren Vorstellungen entstehen (Phantasien, beispielsweise die Vorstellung eines Zentaurus)
  • Ideen, die aus äußeren Sinneswahrnehmungen entstehen (Gestalt, Größe…)

Sind wir allein auf der Welt?

Wie können wir als begrenzte und endliche Wesen die Ideen von Vollkommenheit und Unendlichkeit selbst erschaffen haben? Wenn wir vollkommene Wesen wären, hätten wir keine Zweifel, denn uns würde nichts fehlen, wir würden alles wissen. Wir können solche Vorstellungen auch nicht durch die Sinne entwickeln, da es in der vollkommenen und unendlichen Welt nichts gibt. Aber woher kommen diese Ideen dann?

Hier greift Descartes auf ein Argument zurück, um die Existenz Gottes zu beweisen, das von vielen späteren Philosophen kritisiert wurde. Descartes argumentiert, dass uns diese Ideen von einem perfekten und unendlichen – unbegrenzten – Wesen gegeben wurden. Da das Gute Teil der Vollkommenheit ist, kann uns ein solches Wesen nicht täuschen. Damit fällt die Hypothese des bösen Geistes, und es gibt nun Gewissheit für mathematische Wahrheiten.

Die Gewissheit der vernünftigen Welt

Wenn die Beweise von Descartes akzeptieren, kann Gott uns nicht so geschaffen haben, dass wir bei dem Versuch, die Wahrheit zu erkennen, immer scheitern. Es wäre also logisch, dass wir die körperliche Welt bis zu einem gewissen Grad kennen. Descartes nennt diese Wirklichkeit res extensa, die physische Substanz, die alles umfasst, was gemessen oder abgewogen werden kann.

Wenn das so ist, warum werden wir dann manchmal von unseren Sinnen getäuscht, warum erkennen wir die Wahrheit nicht? Descartes argumentiert, dass wir dem Irrtum verfallen, wenn unser Wille zu wissen größer ist als unser Verstand. Wenn wir etwas wissen wollen, aber nicht ausreichend Klarheit darüber haben und nicht differenzieren, sind wir anfällig für falsche Schlussfolgerungen.

Ist die Argumentation von Descartes korrekt?

Zwar regen uns die Gedanken von Descartes zum Nachdenken an, doch seine Argumente weisen Schwächen auf. Es stimmt, dass wir nicht daran zweifeln können, dass wir existieren, da wir denken, doch reicht das aus, um zu behaupten, dass es eine denkende Substanz gibt? Einige Philosophen wie Hume argumentieren, dass die Idee des Selbst eine Illusion ist und dass unsere Existenz ein Strom von Ereignissen ist, die keine Einheit bilden.

Auf der anderen Seite wurde der Nachweis der Existenz Gottes stark kritisiert. Die Tatsache, dass man die Vorstellungen von Unendlichkeit und Vollkommenheit in sich trägt, beweist nicht unbedingt, dass ein vollkommenes, unendliches Wesen existiert. Viele argumentieren, dass es nicht genug Klarheit und Unterscheidung gibt, um diese Ideen als angeboren zu betrachten. Außerdem könnten wir sie leicht durch Negation ableiten, indem wir sie mit den Ideen der Endlichkeit und der Unvollkommenheit kontrastieren.

Aber abgesehen von der Kritik an der Denkwelt von Descartes ist es unmöglich zu leugnen, dass seine Ideen einen großen Einfluss auf die spätere Philosophie hatten. Der methodische Zweifel kann uns helfen, unsere Überzeugungen und Perspektiven zu hinterfragen, um unser Wissen und unser Verständnis der Welt zu erweitern.


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  • Descartes, R. (1999). Meditaciones metafísicas – Las pasiones del alma, Ediciones Folio, Villatuerta.
  • Pereira Gandarillas, F. (2014). Hume y la ficcion de la identidad personal. Ideas y valores  63 (154), 191-213.

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