Der Tod der Eltern - das Schlimmste, was einem Kind passieren kann

Der Tod der Eltern - das Schlimmste, was einem Kind passieren kann
Sergio De Dios González

Geprüft und freigegeben von dem Psychologen Sergio De Dios González.

Geschrieben von Raquel Lemos Rodríguez

Letzte Aktualisierung: 09. April 2023

“Mein Vater starb, als ich 8, fast 9 Jahre alt war. Ich habe seine tiefe und liebevolle Stimme nicht vergessen. Sie sagen, dass ich wie er aussehe. Aber es gibt einen Unterschied zwischen uns – mein Vater war ein optimistischer Mann.”

So beginnt Rafael Narbona seine Aussage. Er ist ein Mann, der seinen Vater in jungen Jahren verloren hat. Das war eine Situation, die sein Leben für immer gezeichnet hat. Rafael ist der Beweis dafür, dass der Tod der Eltern das Schlimmste ist, was einem Kind passieren kann.

Während der Kindheit formen wir eine besondere Bindung zu unseren Eltern. Meistens sind diese Bindungen positiv und bedingungslos. Mit unseren Eltern erleben wir frühesten sozialen Kontakt, der auch unsere zukünftigen Beziehungen formt. Mit ihrer Hilfe, mit ihnen als Vorbilder, sind wir als Kinder in der Lage, unbekannte Wege zu beschreiten. Denn Kindern sind Anfänger im Spiel des Lebens und brauchen helfende Hände. Wenn die Eltern aber jung sterben, sind diese Hände plötzlich nicht mehr da. Der Tod der Eltern prägt für das ganze Leben.

“Warum ich? Was wäre passiert, wenn meine Eltern nicht gestorben wären? Was würden sie über mein derzeitiges Leben sagen? Wären sie stolz auf die Entscheidungen, die ich getroffen habe?”

Diese Fragen haben keine richtigen oder falschen Antworten. Trotzdem begleiten sie Betroffene ihr ganzes Leben lang.

“Es war für mich unvorstellbar, dass mein Vater nicht mehr mit mir im Park spazieren gehen würde.”

Der Tod der Eltern oder eines Elternteils hinterlässt einen bleibenden Abdruck – als Narbe oder offene Wunde

Rafael Narbona fühlt noch immer, wie hart es war, seinen Vater im Alter an einen Herzinfarkt zu verlieren. Das Unverständnis in Bezug auf dieses unerwartete Ereignis hat ihn zu den oben gestellten Fragen geführt. Er suchte deshalb die Einsamkeit, als er eigentlich das Spiel mit anderen Kindern genießen hätte sollen.

Man könnte vielleicht denken, dass Kinder schnell vergessen. Das ist bei derart wichtigen Ereignissen im Leben jedoch nicht der Fall. Ein Kind erlebt mit großer Intensität, was ihm zustößt. Und der Abdruck, den jedes Erlebnis hinterlässt, ist nur sehr schwer zu entfernen. Für ein Kind ist es sehr schwer zu verstehen, dass Lebewesen eines Tages sterben und dass dies bedeutet, dass sie nie wieder zurückkehren werden. Die Traurigkeit in dem Moment, in dem es andere Kinder mit ihren Eltern sieht, und die Ablehnung dieser neuen, schmerzhaften Realität kann das Kind für den Rest seines Lebens belasten.

Gesicht eines traurigen Kindes

Der Tod der Eltern oder eines Elternteils löst einen Trauerprozess mit all seinen Phasen aus, der je nach Mensch unterschiedlich lange andauert. Die anfängliche Wut, der Zorn, und die Verleugnung werden später durch Traurigkeit und Akzeptanz ersetzt. Im Fall von Rafael Narbona hat es eine lange Zeit gedauert, bis die Wut und der Zorn verschwunden waren. Sie waren während seiner Jugend besonders intensiv.

Gegen Autoritätsfiguren rebellieren und Ausgehzeiten nicht zu respektieren, ist manchmal kein Zeichen von mangelnder Erziehung. Manchmal zeugt es von einem großen Schmerz, der in dem Individuum steckt. Das Aufbegehren ist sein Weg, zu zeigen, dass es unglücklich ist, obwohl diese Tatsache vom Inneren noch immer abgelehnt wird.

Traurigkeit wird in friedliche Nostalgie verwandelt

Wie so viele Kinder, die ein Elternteil verloren haben, hat sich Rafael Narbona in seinem ständigen Kampf gegen die Welt, welcher sich durch Wut manifestierte, verändert. Er wurde zu einem Journalisten und Autor, wie sein Vater. In seinem Schmerz idealisierte er seinen Vater, bis zu dem Punkt, an dem er einen Wendepunkt erreichte und sich entschied, dessen Fußstapfen zu folgen. Trotzdem blieb die Traurigkeit.

Ein trauriges Kind malt mit den Fingern auf einer verregneten Fensterscheibe.

Wenn ein Elternteil stirb, tendiert das Kind dazu, sich an ein idealisiertes Bild zu klammern, während es gegen die Welt rebelliert, die ihm den geliebten Menschen genommen hat. Manchmal folgen die Kinder später den Fußstapfen der Eltern bzw. des Elternteils, und versuchen damit, sich einen tiefen Wunsch zu erfüllen. Nicht den Wunsch, sie zu ersetzen, aber sich der geliebten Person zu nähern. Jedoch bleiben ihre tiefe Traurigkeit und ihr Hass gegen die Welt, die ihnen eines Tages ein Mitglied der Familie wegnahm, oft lange Zeit bestehen.

Kinder leiden sehr unter dem Tod der Eltern. Deswegen ist es wichtig, ihnen zu erlauben, ihre Gefühle auszudrücken, über sie zu reden. Eine Familie sollte ihre Traurigkeit nie verstecken. Es ist besser, die Kinder in den Trauerprozess einzubinden. Das hilft ihnen dabei, ihre Emotionen zu kanalisieren, verhindert, dass sie ohne Bedeutung bleiben und ihre Funktion nicht erfüllen können. So lässt sich dem vorbeugen, dass die Emotionen in späteren Lebensphasen wieder auftauchen, intensiver noch als jetzt. Und dann werden weniger Möglichkeiten bestehen, den Betroffenen zu helfen.

Ein kleines Kind stützt den Kopf auf den Händen ab, schaut besorgt

Wir können nicht vermeiden, dass es passiert, aber wir können mit dem Schlag angemessen umgehen. Ihn als eine Möglichkeit betrachten, zu lernen, und belastbarer werden. Im eigenen Tempo erwachsen zu werden. Zu erkennen, dass das Leben nicht gegen uns ist, sondern einfach ist, was es ist – willkürlich und manchmal unberechenbar. Am Ende, mit Akzeptanz, wird sich die Traurigkeit und Sehnsucht nach dem verlorenen Elternteil in friedvolle Nostalgie verwandeln.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.