Der Druck der Dringlichkeit: Ist es notwendig, E-Mails sofort zu beantworten?

Stress und Angst führen dazu, dass viele die Notwendigkeit empfinden, E-Mails auch außerhalb der Arbeitszeiten abzurufen.
Der Druck der Dringlichkeit: Ist es notwendig, E-Mails sofort zu beantworten?
Sara González Juárez

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Sara González Juárez.

Letzte Aktualisierung: 31. Januar 2023

Du hast einen freien Tag oder bist im Urlaub, aber jedes Mal, wenn du den E-Mail-Ton hörst, schaust du gleich nach, wer dir geschrieben hat? Du hast das dringende Bedürfnis, berufliche E-Mails unterwegs und in deiner Freizeit zu beantworten? 

Statistische Daten beziffern die im Jahr 2022 versendeten und empfangenen E-Mails weltweit auf 333,2 Milliarden, Tendenz steigend. Eine Umfrage von Litmus hat ergeben, dass fast 40 % der E-Mails auf Mobilgeräten geöffnet werden. Wir haben unser Handy immer dabei, deshalb hören wir den Klingelton für eingehende Nachrichten auch unterwegs und in unserer Freizeit. Viele checken Ihre Mails sogar im Bett oder auf der Toilette (in den USA bis zu 42 %).

Die Dringlichkeit ist oft nur eine Einbildung. Viele Mails erfordern keine sofortige Beantwortung.

Frau am Computer liest E-Mails
Hinter dem Bedürfnis, ständig E-Mails zu checken, verbirgt sich oft die Angst vor einer Entlassung oder negativen Konsequenzen.

Der Druck der Dringlichkeit: Ist es notwendig, E-Mails sofort zu beantworten?

In vielen Unternehmen wird Produktivität mit Überstunden gleichgesetzt. Der Druck ist groß, denn Arbeitgeber fordern Unmittelbarkeit, Engagement und Abrufbarkeit – auch in der Freizeit. Stress und Angst führen dazu, dass viele die Notwendigkeit empfinden, E-Mails auch außerhalb der Arbeitszeiten abzurufen.

Giurge und Bohns beschreiben dieses Phänomen in einer Studie (2021) als “Email urgency bias”, ein Denkfehler, der die Empfänger von Benachrichtigungen glauben lässt, dass der Absender eine rasche Antwort erwartet. Der Empfänger fühlt sich gestresst und überschätzt die Dringlichkeit. Wir glauben, dass die ständige Online-Präsenz auch außerhalb der Arbeitszeiten mit Produktivität gleichzusetzen ist. Die beiden Forscherinnen konnten einen Zusammenhang zwischen dieser Voreingenommenheit, einem hohen Stressniveau und einer Verringerung des allgemeinen psychischen Wohlbefindens feststellen.

Der Druck ist bei Instant-Messaging-Diensten noch größer: Sobald der Klingelton von WhatsApp zu hören ist, glauben wir, antworten zu müssen. Schließlich könnte der Absender denken, wir sind unhöflich, wenn er nicht sofort Antwort erhält. Wartest du etwas länger, kommt sofort die nächste Benachrichtigung: “Hast du meine Nachricht gesehen?” und kurz später “Warum antwortest du nicht, bist du sauer?”

Wir müssen Grenzen setzen, um in unserer Freizeit abschalten zu können und unser Wohlbefinden zu fördern.

Verantwortungsbewusstsein oder Zeitverschwendung?

Zeugt das Checken von E-Mails im 5-Minuten-Takt und schnelle Antworten von Verantwortungsbewusstsein? Vielleicht erhältst du sogar in deiner Freizeit Anfragen von Arbeitskollegen, die deine Hilfe benötigen. Warum nicht eine kurze Antwort per E-Mail senden, um Kollegialität zu beweisen?

Durchschnittlich rufen wir E-Mails am Arbeitsplatz alle zehn Minuten ab, was uns von anderen Tätigkeiten ablenkt. Der Klingelton sorgt ständig für Unterbrechungen. Eine Studie von Jackson et. al. (2002) weist darauf hin, dass auf 70 Prozent der E-Mails in nur sechs Sekunden reagiert wird. Die Konzentration ist unterbrochen, die Mails sind oft unwichtig, nicht dringend oder sogar Spam. Die Konsequenz: Wir sind weitaus weniger produktiv, denn unser Gehirn muss sich wieder neu orientieren und auf die zu erledigenden Tätigkeiten konzentrieren.

Das ständige Checken der E-Mails ist kontraproduktiv und blockiert den Flow. Die beste Lösung ist, einen bestimmten Zeitpunkt festzulegen, an dem du alle E-Mails abrufst und beantwortest. Es muss nicht immer alles sofort sein. 

Im Homeoffice verschwimmen Arbeitszeiten oft mit der Freizeit. In diesem Fall sind klare Grenzen besonders wichtig. 

Gesunder Umgang mit E-Mails

Ein paar einfache Maßnahmen und Tipps fördern den gesunden Umgang mit E-Mails:

  • Pausen sind wichtig und verbessern die Produktivität! Du solltest in dieser Zeit jedoch keine E-Mails checken, sondern dich kurz bewegen, meditieren, den Arbeitsplatz verlassen und dich vom Bildschirm trennen.
  • Sprich mit deinem Arbeitgeber. Wenn deine Vorgesetzten von dir verlangen, dass du immer online bist, solltest du darauf bestehen, dass du Pausen und Auszeiten benötigst, um leistungsfähig sein zu können.
  • Grenzen setzen. Verwende für deinen Job ein Handy, das du privat nicht nutzt. Eine andere Möglichkeit ist, die Klingeltöne für Benachrichtigungen zu differenzieren, oder in der Freizeit einfach stumm zu schalten.
  • Kontrolliere deine Nutzung digitaler Medien: Schränke deinen Bildschirmkonsum ein und “reprogrammiere” dein Verhalten. Plane in deiner Freizeit Aktivitäten ein, die keine Bildschirmverwendung zulassen (Schwimmen, Klettern…). Du musst dir außerdem Regeln setzen, an die du dich hältst. Es gibt beispielsweise hilfreiche Apps, mit denen du die Nutzung digitaler Dienste auf eine bestimmte Uhrzeit begrenzen kannst. Du kannst auch beobachten, wie viel Zeit du täglich in den verschiedenen Anwendungen auf deinem Handy verbringst – du wirst staunen!
  • Geh zu einem Psychologen: Wenn du das Gefühl hast, dass du bereits Suchtverhalten entwickelst, oder an chronischem Stress, Angstzuständen und Überlastung leidest, ist professionelle Unterstützung der beste Weg.
Mann ist süchtig nach E-Mails
In der psychologischen Beratung kannst du lernen, mit Stress und Druck besser umzugehen, um ein Burn-out zu vermeiden.

Sind E-Mails dringlich oder doch nicht?

In den meisten Fällen erwarten sich die Absender eines E-Mails keine sofortige Antwort. Wir setzen uns selbst unter Druck, da wir von falschen Erwartungen ausgehen. Wenn wir selbst E-Mails senden, könnten wir uns zur Gewohnheit machen, sie als “dringlich” zu markieren, wenn das tatsächlich nötig ist, und in anderen Fällen dazuzuschreiben “keine dringliche Angelegenheit”, um anderen den Druck der Unmittelbarkeit zu nehmen.


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  • COSMO-SPAIN. (s. f.). https://portalcne.isciii.es/cosmo-spain/
  • Giurge, L. M., & Bohns, V. K. (2021). You don’t need to answer right away! Receivers overestimate how quickly senders expect responses to non-urgent work emails. Organizational Behavior and Human Decision Processes167, 114-128.
  • Becker, W. J., Belkin, L. Y., Conroy, S. A., & Tuskey, S. (2021). Killing me softly: Organizational e-mail monitoring expectations’ impact on employee and significant other well-being. Journal of Management47(4), 1024-1052.
  • BOE.es – BOE-A-2018-16673 Ley Orgánica 3/2018, de 5 de diciembre, de Protección de Datos Personales y garantía de los derechos digitales. (s. f.). https://www.boe.es/buscar/doc.php?id=BOE-A-2018-16673

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