Das Paradoxon von Panikattacken

Bei Panikreaktionen ist die positive Rückkopplung zwischen Anzeichen und der katastrophisierenden Bewertung in vielen Fällen für noch mehr Angst und weitere Panikanfälle verantwortlich.
Das Paradoxon von Panikattacken

Geschrieben von Redaktionsteam

Letzte Aktualisierung: 18. Juli 2021

Aufgrund der Prävalenz in der allgemeinen Bevölkerung kennen wir wahrscheinlich alle jemanden, der irgendwann in seinem Leben eine Panikattacke erlitten hat oder erleiden wird. Gerade deshalb ist es wichtig, das Paradoxon von Panikattacken zu verstehen.

Angst ist sowohl bei Panikattacken als auch bei generalisierten Angststörungen das Leitsymptom, trotzdem sprechen wir von unterschiedlichen Situationen. Angststörungen äußern sich durch einen chronischen Dauerzustand, bei Panikstörungen treten plötzliche Panikattacken auf, die sich anfallsartig entwickeln und wiederkehren können. 

Menschen, die eine Panikreaktion erleiden, haben das Gefühl zu sterben. Die physiologische Aktivierung erfolgt abrupt und ist sehr intensiv. Die Symptome sind unangenehm und manchmal erschreckend, allerdings handelt es sich nur um eine falsche Wahrnehmung, denn Panikattacken verlaufen in den seltensten Fällen tödlich.

Wir sprechen deshalb von einem Paradoxon, zu dem es bei wiederkehrenden Panikattacken kommt. Warum empfinden betroffene Personen, die bereits wissen, dass sie an einer Panikreaktion nicht sterben werden, diese Angst immer wieder? Aus welchen Gründen ist die Panikattacke beim nächsten Mal genauso intensiv oder oft sogar noch schlimmer?

Eine Panikattacke dauert oft nur wenige Minuten, in den meisten Fällen weniger als eine halbe Stunde. Betroffene leben jedoch meist in der Angst, diese Situation jederzeit erneut zu erleben.

Das Paradoxon von Panikattacken

Der Rückkopplungsprozess: Symptome und katastrophisierende Bewertung

Bevor wir über das Paradoxon von Panikattacken sprechen, ist es wichtig, den Mechanismus der Panikattacken zu kennen. Es gibt mehrere Erklärungsmodelle, die die Idee der Rückkopplung mehrerer Faktoren skizzieren:

  • Physiologische oder kognitive Veränderung: Dazu gehören unter anderem körperliche Anspannung, Ärger, Frustration, Angst… Es handelt sich um allgemeine Umstände, die zu Spannungen führen.
  • Wahrnehmung körperlicher Veränderungen: Betroffene interpretieren körperliche Anzeichen als Hinweis auf eine mögliche Panikattacke. Diese kann jedoch auch ohne diese Warnzeichen auftreten.
  • Bedrohungsassoziation: Die Patienten sehen körperliche Veränderungen als Gefahr und entwickeln deshalb noch mehr Angst, was schließlich tatsächlich zu einer Panikattacke führt.

Bei diesem Kreislauf kommt es zu primären Symptomen, die zuerst wahrgenommen werden (Schwindel, Herzrasen…) und sekundären Anzeichen (Schwitzen, Zittern)…, die auftreten, wenn diese Symptome negativ bewertet werden. Sie entstehen, wenn die betroffene Person Angst vor der Panikreaktion hat und diese deshalb tatsächlich ausgelöst wird.

Dieser Rückkopplungsprozess nährt sich ständig. Wer bereits die Symptome eines Herzinfarktes hatte, hat große Angst, dass sich diese Situation wiederholen könnte. Übermäßiges Schwitzen kann ein Anzeichen dafür sein. Diese Wahrnehmung erhöht die Angst und begünstigt eine Panikreaktion. Der negative Rückkopplungsprozess kann dies verhindern, allerdings verlaufen angstreduzierende Prozesse langsamer. Verschiedene Bewältigungsstrategien können dabei helfen.

Die kognitive Theorie der Panikattacke

Katastrophisierende Gedanken entstehen bei Panikstörungen und Agoraphobie automatisch und augenblicklich. Betroffene Menschen haben oft auch die Tendenz, Körperempfindungen negativ zu interpretieren. Durch diese Verzerrung finden sie in jedem Kontext Negatives. Sie sehen das Glas immer halb leer und nie halb voll.

Ein Beispiel dafür ist der Satz “Mein Herz schlägt schnell, weil…”. Er könnte auf verschiedene Arten enden: “…ich meine Freundin gesehen habe”, “…ich glücklich bin”, oder auch negativ “…weil ich einen Herzanfall habe”. Betroffene Menschen denken automatisch sofort an die schlimmste Möglichkeit.

Der Schlüsselfaktor für das Katastrophendenken ist die Denkweise, es geht nicht so sehr um die Symptome selbst.

Das Paradoxon bei Panikattacken: Warum es immer präsent ist

Wenn sich eine Person, die Angst vor Mäusen hat, in einem Raum voller Nagetiere befindet und sieht, dass sie keine Bedrohung oder Gefahr darstellen, verschwindet die Mäusephobie in der Regel (Gewöhnung). Dies geschieht in fast allen Lebensbereichen. Ein Kind hört auf, die Schule zu fürchten, sobald es sich daran gewöhnt hat und es weiß, dass keine Bedrohung vorhanden ist. Die Exposition ist eine Technik, mit der durch Gewöhnung Ängste überwunden werden können. Betroffene lernen, dass aus diesen Situationen keine katastrophalen Folgen entstehen.

In derselben Weise könnten wir denken, dass anfängliche Symptome einer Panikreaktion (wie Herzklopfen oder Schwindel) nicht mehr angstauslösend sind, wenn die betroffene Person nach einer ersten Erfahrung bereits weiß, dass keine Gefahr für einen Herzinfarkt besteht.

Manche Menschen haben in ihrem Leben eine einzige Panikattacke und danach nie wieder. Aber häufig kommt es vor, dass nach der ersten Panikattacke weitere folgen, wobei dies mehrmals täglich oder auch nur einmal in mehreren Jahren der Fall sein kann.

Panik-Priming

Je nach Art des Auslösers entsteht mehr oder weniger Angst. Panik-Priming bedeutet, dass aufgrund von Vorerfahrungen gewisse Assoziationen im Gedächtnis vorhanden sind, die meist unbewusst die Reaktion beeinflussen. Es ist schwierig, etwas dagegen zu unternehmen, da diese Assoziationen in der Regel biologisch und evolutionsbedingt sind. Es handelt sich oft um lebensbedrohende Situationen als Auslöser, unter anderem Angst, in die Tiefe zu fallen.

Deshalb ist es bedeutend schwieriger, Ängste zu bewältigen, die durch körperliche Vorerfahrungen  entstehen. Dass es beim letzten Mal nicht zu einem Herzinfarkt kam, bedeutet nicht, dass dies beim nächsten Mal auch so sein wird. Es verhält sich wie bei der Angst vor einem Schlangenbiss: Dass die Schlange beim ersten Mal nicht zugebissen hat, bedeutet nicht, dass du beim nächsten Mal vor ihr geschützt bist.

Emotionale Erinnerungen im Hippocampus

Der Biochemiker P. Quijada erklärt, dass der Hippocampus dafür verantwortlich ist, gefährliche Ereignisse in Form von Erinnerungen zu konsolidieren. Das heißt, dass erlebte Panikattacken im Hippocampus “gespeichert” werden. Es bleiben also emotionale Erinnerungen zurück. Betroffene wissen, wie schlecht sie sich dabei fühlten, und es ist sehr schwierig, diese Erinnerungen zu löschen.

Das Paradoxon bei Panikattacken: Erinnerungen werden im Hippocampus espeichert

Verhaltensweisen, die das Problem verschärfen

Personen, die bereits eine Panikattacke hatten, versuchen meist, Situationen oder Reize zu vermeiden, die erneut dazu führen könnten. Dieses Vermeidungsverhalten soll die Sicherheit erhöhen, verschlimmert das Problem jedoch zusehends. Das Paradoxon bezieht sich also nicht nur auf die Panikreaktion, sondern auch auf die Angst, die durch Vermeidung nur zunimmt.

Das Paradoxon von Panikattacken

Auch wenn nach einer Panikreaktion keine Bedrohung vorhanden ist, bestätigt dies noch lange nicht, dass es nichts zu befürchten gibt. Im Gegenteil bekräftigt eine neue Panikattacke die Angst nur zusätzlich. Betroffene empfinden eine Panikattacke genauso gefährlich wie einen Herzinfarkt. Auch wenn sie daran nicht sterben, durchlaufen sie eine Situation, in der sie erneut “im Begriff sind zu sterben”.

Trotz allem sind Panikstörungen und Panikattacken in der Regel einfach zu behandeln. Durch Psychoedukation, kognitive Umstrukturierung, Verhaltenstechniken (Entspannung, Atmung…), Exposition und andere Therapien können betroffene Personen in den meisten Fällen erfolgreich behandelt werden.


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