Coraline: auf der Suche nach Perfektion
Wenn wir an Animationsfilme denken, denken wir an strahlende Kinderaugen und an Kinderfilme. Es gibt jedoch Filme, bei denen es nicht nur um die Animation geht und die auch ein erwachsenes Publikum vor der Kinoleinwand fesseln können. Coraline, aus dem Jahr 2009, ist ein gutes Beispiel für solch einen Film. Denn es handelt sich dabei zwar ursprünglich um einen Kinderfilm, er hat aber bei einigen Kindern für Angst und bei Erwachsenen für Furore gesorgt. Vielleicht ist es nicht irgendein Kinderfilm, sondern ein Film für erwachsene Kinder, die seine Magie zu schätzen wissen.
Sowohl die mysteriöse Handlung als auch die damit einhergehende Filmästhetik lassen den Film für bestimmte Altersklassen zu komplex und erschreckend wirken. Die im Stop-Motion-Verfahren hergestellte Animation erinnert stark an einige von Tim Burtons Filmen, wie Nightmare Before Christmas oder Corpse Bride. Doch obwohl man annehmen könnte, dass er bei diesem Film Regie geführt habe, hat die Realität wenig bis gar nichts damit zu tun.
Diese eigentümliche, für Burton so charakteristische und gotische Ästhetik kommt nicht von ungefähr. Es ist kein Zufall, dass wir an andere Burton-Filme denken, wenn wir uns mit Coraline beschäftigen: Der Regisseur von Coraline, Henry Selick, war lange Zeit die rechte Hand von Burton. Und obwohl es uns unglaublich erscheint, war er der Regisseur des mythischen Films Nighmare Before Christmas, und nicht Burton. Es ist Fakt, dass die ursprüngliche Idee für Nightmare Before Christmas aus einem Gedicht von Burton stammt, aber Selick führte Regie und machte damit aus Burton den Produzenten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass beide Regisseure durch ihre gemeinsame Arbeit beeinflusst wurden und dass sie der Stop-Motion-Animation diesen besonderen und so charakteristischen Touch verliehen haben.
Coraline ist wahrlich ein visuelles Geschenk, ein Geschenk an unsere kindliche Fantasie. Die Geschichte erinnert uns stark an andere, wie Der Zauberer von Oz oder Alice im Wunderland; an Mädchen, die in ein bizarres Abenteuer eintauchen, wo sie ihren größten Ängsten begegnen und Reife sowie Weisheit erlangen.
Coraline ist ein Mädchen, dessen Eltern zu sehr in ihre Arbeit vertieft sind, kaum Zeit für sie haben, und dessen neue Umgebung für es schlichtweg zu langweilig ist. Wie Alice wird sie eine geheime Welt entdecken, eine wunderbare Welt, die aber nach und nach immer düsterer wird.
Coraline taucht in eine andere Welt ab
Coraline ist mit ihren Eltern gerade in ein altes, in Wohnparteien aufgeteiltes Haus gezogen, weit weg von der Stadt, weshalb sie hier kaum Freunde hat. Sie fühlt sich dort gelangweilt und allein. Sie wünscht sich, sie wäre an einem anderen Ort. Ihre Eltern vernachlässigen selbst den Garten vollkommen, obwohl sie an einem Gartenkatalog arbeiten. Sie sind zu beschäftigt und können das alte Haus kaum auf Vordermann bringen, was es nicht gerade zu einem gemütlicheren Ort macht. Genau das Gegenteil ist der Fall.
Zu den Nachbarn gehören Mr. Bobinsky, ein russischer Akrobat, der Ratten trainiert, Mrs. Spink und Mrs. Forcible, zwei seltsame Schauspielerinnen in Rente, die von Hunden besessen sind, und Wybie, der Enkel des Hausbesitzers, der so alt wie Coraline und für ihren Geschmack zu gesprächig ist. Wybie gibt Coraline eine seltsame Stoffpuppe, die genau wie sie angezogen ist.
Neben diesen exzentrischen Charakteren, die Coraline so gar nicht mag, gibt es noch eine Katze, eine vernachlässigt aussehende schwarze Katze, die Wybie pflegt, obwohl wir bald feststellen werden, dass sie viel mehr als nur eine Katze ist. Eines Nachts entdeckt Coraline mithilfe von einigen Mäusen etwas wirklich Außergewöhnliches: eine geheime Tür, die zu einer scheinbar besseren Version ihres Lebens führt.
In dieser „anderen Welt“ gelangt Coraline zu einer exakten Kopie ihres Hauses, das allerdings bunter ist, mit einem schöneren Garten, und in dem Eltern wohnen, die sich voll und ganz auf ihre Tochter konzentrieren. Vom Essen bis hin zu den Nachbarn scheint alles besser zu sein hinter dieser kleinen Tür. In dieser neuen Welt hat jeder sein Alter Ego, eine fast haargenaue Kopie der wirklichen Menschen, die statt Augen aber Knöpfe haben. Alle außer Coraline und der Katze.
Dieses Merkmal scheint Coraline nicht allzu sehr zu interessieren, denn ihr Leben ist endlich so, wie sie es sich immer erträumt hat. Einer der Charaktere, der am meisten unsere Aufmerksamkeit erregt, ist Wybie, oder besser gesagt „der andere Wybie“. Denn dort war die „andere Mutter“ dafür verantwortlich, ihn als perfekten Begleiter für Coraline zu konditionieren. Wybie kann nicht sprechen, ist aber der aufschlussreichste Charakter, da er eine gewisse Angst vor der „anderen Mutter“ zu haben scheint.
In der „anderen Welt“ bleibt die Katze, wie sie ist. Sie hat keine Knöpfe und sie geht zusammen mit Coraline durch die Tür. Doch sobald sie durch die Tür schlüpft, zeigt die Katze Coraline ihre Fähigkeit, zu sprechen, und wird zu einer Art spiritueller Führer für sie, zu einer wesentlichen Hilfe, die dafür verantwortlich sein wird, sie zu führen und vor Gefahren zu warnen.
In der „anderen Welt“ scheint alles perfekt zu sein, bis Coraline entdeckt, dass diese von den gefangenen Seelen anderer Kinder bewohnt wird, von Kindern, die vor langer Zeit gelebt haben, darunter auch die Schwester von Wybies Großmutter. Warum haben sie alle Knöpfe als Augen? Wie konnte die „andere Mutter“ Coraline nur gefangen nehmen?
Die Filmmusik und die Filmszenen werden düster, sobald wir von den bösen Absichten der „anderen Mutter“ erfahren, während wir gleichzeitig entdecken, dass die Schönheit der „anderen Welt“ nichts anderes ist als eine Täuschung, eine Falle ist, um Mädchen wie Coraline zu fangen.
Was können wir von Coraline lernen?
Der Film Coraline ist voller Metaphern, die versuchen, die Oberflächlichkeit von Erscheinungen aufzubrechen, um uns zu zeigen, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Coralines Puppe ist nichts anderes als eine Marionette der „anderen Mutter“; ein Werkzeug, mit dem sie das Mädchen ausspioniert und all ihre Geheimnisse erfährt. „Die Augen sind der Spiegel der Seele“ – und durch die Augen der Kinder ist die „andere Mutter“ in der Lage, ihre Seelen für alle Ewigkeit einzufangen.
So erfahren wir, dass die schwarze Katze, der spirituelle Führer von Coraline, ihr mit ihren wahren Gefühlen aufzeigt, dass diese „andere Welt“ nicht so perfekt ist, wie sie scheint. Wybies echter Name ist Wyborne, ein Wortspiel, das auf „warum geboren“ anspielt. Er lebt bei seiner Großmutter und wir wissen nichts über seine Eltern, was uns glauben lässt, dass seine Kindheit wahrscheinlich nicht einfach war. Diese beiden Charaktere, die am Anfang Ablehnung in Coraline hervorgerufen haben, werden der Schlüssel zur Flucht und zum Sieg über „die andere Mutter“ sein.
Coraline verachtet Wybie und die Katze wegen ihres Aussehens, ebenso wie ihre exzentrischen Nachbarn, die sie für langweilig und seltsam hält. Wahrlich ist keiner dieser Charaktere perfekt. Sie sind nicht einmal fähig, sie beim Namen zu nennen, und jeder glaubt, dass ihr Name Caroline wäre. Aber die Perfektion, die die „andere Welt“ beherbergt, ist nichts weiter als ein gefährliches Trugbild.
Als Coraline entdeckt, dass ihre wahren Eltern in Gefahr sind und dass die „andere Mutter“ nichts anderes getan hat, als sie zu benutzen, wecken sie in ihr wahre Gefühle. Sie lernt, Menschen so akzeptieren, wie sie sind, und stellt fest, dass auch sie nicht perfekt ist. Coraline wird ihre Ängste überwinden und kämpfen, um ihre Liebsten zu retten und der „anderen Mutter“ zeigen, dass die Liebe über Äußerlichkeiten hinausgeht.
Coraline dient nicht nur als Lektion für Kinder, sondern auch für zu strenge Eltern und für all diese zu beschäftigten Familien, die kaum Zeit für ihre Kinder haben. In einer Welt, in der wir kaum Zeit haben, vernachlässigen wir manchmal, was wirklich wichtig ist, und vergessen grundlegende Werte. Coraline ist daher ein Film, der es über seine faszinierende Ästhetik hinaus schafft, auch das erwachsene Publikum zu begeistern.
„Man sagt, dass sich selbst der stolzeste Geist der Liebe beugen wird.“
Coraline