Angst ist ansteckend: Wo bleibt der Mut?

Angst und Mut sind zwei Weggefährten, beide sind überlebenswichtig und beide sind ansteckend. Wofür entscheidest du dich?
Angst ist ansteckend: Wo bleibt der Mut?
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 04. Oktober 2023

Angst ist ansteckend und zerstört die emotionale Stabilität. Verschiedene Studien legen nahe, dass nicht nur Tiere, sondern auch Menschen Angst riechen können, allerdings sind weitere Forschungen auf diesem Gebiet nötig. Was jedoch feststeht ist, dass (irrationale) Angst durch Nachrichten, Bilder, Kommentare und Posts geschürt wird.

Angst schützt uns vor Gefahren und sichert unser Überleben. Der Neurologe Antonio Damasio¹ betont, dass uns diese Emotion hilft, unsere Homöostase aufrechtzuerhalten und uns besser an unsere Umwelt anzupassen. Problematisch wird es jedoch, wenn wir auf unrealistische Wahrnehmungen übertrieben ängstlich reagieren oder widersprüchlich handeln. Ein paar Beispiele:

  • Eine Person hat Flugangst, macht sich jedoch als Kettenraucher keine Sorgen um ihre Gesundheit.
  • Wir fühlen uns zu Hause sicher, obwohl gerade in den eigenen vier Wänden die meisten Unfälle passieren.

Viele Ängste sind unbegründet und ansteckend wie ein Virus. Wir sollten deshalb wachsam sein und rational bleiben, ohne uns sofort in Alarmbereitschaft versetzen zu lassen.

Angst ist ansteckend, Frau leidet daran

Angst ist ansteckend: die Macht der Gefühle in einem unsicheren Kontext

Viele haben mehr Angst vor einer Spinne als vor einem Autounfall. Angst ist vielfach irrational und macht uns außerdem manipulierbar und zerbrechlich: Wir sehen uns gezwungen, Dinge zu tun, die wir in normalen Situationen nie akzeptieren würden. Diese Emotion wirkt lähmend und drängt unsere Vernunft in den Hintergrund.

Wer an einer Phobie leidet oder jemanden mit irrationalen Ängsten kennt, weiß, wie mächtig die Angst ist und wie sie unsere Verhaltensmuster und Entscheidungen beeinflusst. Neben Phobien, Hypochondrie und psychischen Angststörungen dürfen wir die Alltagsangst nicht vergessen: Wir werden jeden Tag mit alarmierenden Nachrichten bombardiert, die sich wie Viren ausbreiten.

Angst ist ansteckend und oft unkontrollierbar. Sie widerspricht der Logik, denn in diesen Situationen übernimmt unsere Amygdala die Kontrolle, die gerne Panik schürt.

Die Macht der Gedanken

Gedanken sind enorm resistent und ansteckend. Wir können insbesondere in Online-Medien beobachten, wie Angst noch mehr Angst produziert. Wir lassen uns mitreißen, wenn andere ängstlich reagieren, während sich unser Gehirn darauf vorbereitet, bei Bedarf möglichst schnell reagieren zu können. Und Angst schlägt schnell in Hass und Hetze um. Doch genauso, wie Ängste gerade im Netz der Netze oft ins Irrationale übersteigert werden, können wir sie mit Logik, Vernunft und Nüchternheit dekonstruieren.

Angst ist eine Strategie, die bereits der römische Kaiser Caligula zu nutzen wusste: “Oderint, dum metuant” (Sie sollen mich hassen, solange sie mich fürchten).

Die Spuren der Angst im Gehirn

Angst hinterlässt Spuren im Gehirn: Eine unangenehme Erfahrung bleibt im Gedächtnis und warnt uns in ähnlichen Situationen vor Gefahren. Ein Kind, das von einem Hund gebissen wird, hat höchstwahrscheinlich das ganze Leben lang Angst vor Hunden. Bestimmte Synapsen verdichten sich im Gehirn, unter anderem im Hippocampus, der für die Speicherung neuer Erinnerungen verantwortlich ist.

Wissenschaftler der Ruhr Universität Bochum beschäftigen sich deshalb damit, wie diese Spuren im Gehirn wieder rückgängig gemacht werden können, um Ängste “auszulöschen”. Sie sprechen dabei von “Extinktionslernen“. Wenn wir diese zerebralen Mechanismen besser verstehen, können bessere Therapien für Menschen mit Ängsten entwickelt werden.

Die Expositions- und Konfrontationstherpaie hilft unter anderem Menschen mit Phobien, ihre Ängste zu überwinden.

Angst ist ansteckend und vererbbar

Wissenschaftler gehen davon aus, dass genetische Faktoren bei Ängsten eine Rolle spielen, da eine Häufung von Angsterkrankungen in den Familien der betroffenen Personen zu beobachten ist. Forscher der Universität Münster konnten ein Angst-Gen identifizieren, weisen jedoch darauf hin, dass vermutlich 30 bis 100 Gene zusammenspielen müssen, um ein genetische Risiko für Angststörungen zu bedingen. Auch in diesem Bereich sind weitere Forschungen wichtig, um Betroffenen besser helfen zu können.

Besorgter Mann weiß: Angst ist ansteckend

Angst ist ansteckend: Wo bleibt der Mut?

Angst nährt sich selbst, macht uns handlungsunfähig und schaltet den Verstand aus. Sie führt zu unlogischen, sinnlosen und impulsiven Reaktionen, die andere mitreißen. Doch gerade in Krisen benötigen wir Mut, um Unsicherheiten und Risiken erfolgreich zu bewältigen.

Die griechischen Philosophen betrachteten Mut als Charakterstärke, heute gilt er noch immer als eine der sechs universellen TugendenMut kann trainiert werden, dies erfordert jedoch, die Komfortzone zu verlassen und neue Wege zu gehen. Du kannst diese Fähigkeit im Alltag entwickeln, indem du dich selbst dazu zwingst, einen Schritt nach vorn zu machen.

Wer noch etwas weiter gehen möchte, kann seine Civilcourage trainieren. Es gibt zahlreiche Kurse, die nicht nur Handlungsmöglichkeiten aufzeigen, sondern auch die Selbstsicherheit stärken. Einige davon konzentrieren sich spezifisch auf Zivilcourage in der Online-Welt.

“Mut bedeutet zu wissen, was wir nicht fürchten sollten.”

Platon

Steine symbolisieren Gleichgewicht zwischen Mut und Angst

Mut hält unsere Ängste in Schach: Sie sind da, doch wir wagen es trotzdem, zu handeln. 

Die Dosis macht das Gift

Zu viel Mut (Übermut) ist gefährlich, denn wir vergessen die Risiken, die lebensbedrohlich sein könnten. Zu viel (irrationale) Angst hingegen macht uns handlungsunfähig, passiv und mutlos. Wir scheuen das Risiko jedoch auch oft einfach deshalb, weil es einfacher ist, nichts zu tu oder nichts zu sagen. Andererseits bewundern wir den Mut anderer: Nelson Mandela, Martin Luther King oder Mahatma Gandhi sind mutige Vorbilder, die uns inspirieren.

In Zeiten der Ungewissheit ist Mut eine besonders wichtige Tugend: Einerseits hilft uns diese Fähigkeit, aktiv zu werden und uns für Verbesserungen einzusetzen, andererseits benötigen wir sie, um Realitäten furchtlos zu hinterfragen. Wir brauchen Mut, um uns der Wirklichkeit zu stellen, auch wenn dies mit Risiken einhergeht. Angst und Mut sind zwei Weggefährten, beide sind überlebenswichtig und beide sind ansteckend. Wir alle können lernen, besser mit unseren Ängsten umzugehen und mehr Mut zu zeigen.

▶ Lese-Tipp

  1. Wie wir denken, wie wir fühlen: Die Ursprünge unseres Bewusstseins, Antonio Damasio, Hanser 2021

Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.