Weitergabe von Bindungstraumata: Heile deine Wunden, bevor du Mutter wirst

Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen den eigenen Kindheitserlebnissen und der Beziehung der Eltern zu ihren Kindern: Die Bindungsmuster werden intergenerational weitergegeben.
Weitergabe von Bindungstraumata: Heile deine Wunden, bevor du Mutter wirst
Raquel Aldana

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Raquel Aldana.

Letzte Aktualisierung: 06. Dezember 2022

Die Weitergabe von Bindungstraumata an die nächste Generation erfolgt vielfach unbewusst, verursacht jedoch großes Leid. Deshalb ist es wichtig, die Spirale zu durchbrechen, um das Wohlbefinden des Kindes zu schützen und Bindungsstörungen, Ängste oder Depressionen zu verhindern. Wenn die Eltern in ihrer eigenen Kindheit schwierige Bindungserfahrungen erlebt haben, können sie damit auch ihre Kinder belasten. Vergiss nicht: Die psychische Gesundheit des Kindes beginnt lange vor seiner Empfängnis.

Die psychologischen Veränderungen während der Schwangerschaft

Während der Schwangerschaft erlebt die werdende Mutter verschiedene psychologische Veränderungen. Dinora Pines, eine britische Ärztin, teilt diese in drei unterschiedliche Phasen ein:

  • Erste Phase – von der Empfängnis bis zu den ersten fötalen Bewegungen (18 Wochen). In dieser Phase fühlt sich die Mutter zwiespältig und überlegt, ob es ein guter Zeitpunkt ist, Mutter zu werden, ob sie eine gute Mutter sein kann usw. Solche Zweifel sind normal, solange sie das tägliche Leben nicht beeinträchtigen.
  • Zweite Phase –  ab den ersten fötalen Bewegungen bis zur 34. Schwangerschaftswoche. In dieser Zeit erinnert sich die Frau oft an ihre eigene Beziehung zu ihrer Mutter und baut ihre Mutterrolle auf, die ähnlich oder konträr zu ihrer Erfahrung als Tochter sein kann.
  • Dritte Phase – ab der 34. Woche bis zur Entbindung. Die werdende Mutter macht sich über die Geburt Gedanken und hat oft Angst. Die Vorstellung, wie das Kind und das Leben als Mutter sein wird, stabilisiert sich.
schwangere Frau denkt an ihre Bindungstraumata
Während der Schwangerschaft bereitet sich die werdende Mutter psychologisch auf ihre neue Rolle vor. 

Die mentale Repräsentation des Kindes – der Schlüssel zur psychologischen Entwicklung

Wie die Forscher Zeanah und Benoit betonen, ist die letzte Phase entscheidend. In ihrer Studie fanden sie heraus, dass die mentale Repräsentation, die die Mutter von ihrem Kind entwickelt, bei einer traumatischen Geburt oder durch unerfüllte Erwartungen zusammenbricht. In diesem Fall muss eine komplexe psychologische Neuanpassung stattfinden. Ist die mentale Repräsentation ausgeglichen, entwickelt das Baby im ersten Lebensjahr eine sichere Bindung.

Die eigenen Bindungserfahrungen prägen die Bindung der Mutter zum Kind.

Leidet die werdende Mutter an einem Bindungstrauma, ist die angemessene psychologische Betreuung in der Schwangerschaft vorteilhaft, um die Auswirkungen auf die zweite Generation zu minimieren. Die Schwangerschaft ist entscheidend für die psychologische Entwicklung des Kindes. Doch die Eltern sollten bereits vor der Empfängnis negative Erfahrungen verarbeiten und mögliche Bindungstraumata verarbeiten. 

Bindungstraumata: Wunden heilen, um die Weitergabe zu verhindern

Der Bindungsstil entwickelt sich bereits in der Kindheit und wird durch die Beziehung zu den wichtigsten Bezugspersonen geprägt. Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen den eigenen Kindheitserlebnissen und der Beziehung der Eltern zu ihren Kindern: Die Bindungsmuster werden intergenerational weitergegeben. Doch auch wenn Bindungstraumata vorhanden sind, besteht immer die Möglichkeit zur Veränderung.

Mutter spielt mit Tochter, sie hat Bindungstraumata überwunden
Bindungstraumata können an die nächste Generation weitergegeben werden.

Es lohnt sich, vor der Familienplanung Bindungstraumata zu verarbeiten, da diese an die nächste Generation weitergegeben werden können. Nur rund 50 bis 60 Prozent der Bevölkerung entwickelt einen sicheren Bindungsstil und können diesen auch ihren Kindern vermitteln.

Wir betrachten die unterschiedlichen Bindungsstile etwas genauer:

  • Die sichere Bindung: Die Eltern vermitteln ihren Kindern gegenüber eine flexible und aufgeschlossene Haltung. Sie zeigen Einfühlungsvermögen und gehen auf die Bedürfnisse des Kindes ein. Diese Eltern akzeptieren die Gefühle ihrer Kinder und fördern ihre Neugierde und Selbstständigkeit.
  • Die unsicher-vermeidende Bindung: Die Kinder entwickeln eine abweisende Haltung gegenüber negativen Emotionen und Erfahrungen. Die Eltern gehen nicht ausreichend auf die Gefühle ihrer Kinder ein. Deshalb entwickeln die Kinder Angst vor Zurückweisung, Enttäuschung prägt ihr Leben, da sie frustrierende Erfahrungen machen.
  • Die unsicher-ambivalente Bindung: Betroffene Kinder entwickeln eine passive Haltung oder sie reagieren mit Wut. Die Eltern verhalten sich nämlich gegensätzlich, was das Kind verwirrt. Es glaubt, immer alles falsch zu machen, da es die Reaktion der Bezugspersonen nicht abschätzen kann und nicht versteht.

Um eine sichere Bindung zu deinem Kind aufbauen zu können, solltest du frühzeitig damit beginnen, deine eigenen Wunden zu heilen. Wenn du fähig bist, in den ersten Lebensmonaten feinfühlig auf die Bedürfnisse und Reaktionen deines Kindes zu reagieren, kann dein Kind eine sichere, harmonische Bindung zu dir entwickeln. Die Selbstreflexion ist grundlegend für die Verarbeitung negativer Erfahrungen, um diese nicht auf das Kind zu übertragen.


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  • Ainsworth, M. & Bowlby, J. 1965. Child Care and the Growth of Love. London: Penguin Books
  • Pines, D. (1972). “Pregnancy and motherhood: interaction between fantasy and reality”. British Journal of Medical Psychology. 45 (4): 333–343. doi:10.1111/j.2044-8341.1972.tb02216.x.
  • Zeanah, C. y Benoit, D. (1995). Clinical Applications of a Parent Perception Interview in Infant Mental Health. Child and adolescent psychiatric clinics of North America, 4(3):539-554. DOI:10.1016/S1056-4993(18)30418-8

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