Was weißt du über die abhängige Persönlichkeitsstörung?

Was weißt du über die abhängige Persönlichkeitsstörung?
Sergio De Dios González

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen Sergio De Dios González.

Letzte Aktualisierung: 12. Februar 2022

Die abhängige Persönlichkeitsstörung ist hauptsächlich durch das anhaltende und exzessive Bedürfnis gekennzeichnet, umsorgt zu werden. Dieses führt zu Verhaltensweisen der Unterwerfung und Anhänglichkeit, ebenso wie zu tiefer Angst vor dem Verlassenwerden und die daraus folgende Sorge um eine mögliche Trennung.

Wie oft haben wir schon Menschen getroffen, die ihren Partner scheinbar nicht verlassen können, trotz des Wissens, dass die Beziehung an ihnen zehrt und eher schadet als guttut? Wie viele Leute kennen wir, die ohne die Meinung anderer zu hören keine Entscheidung treffen können? Wer kennt nicht jemanden, der so viel braucht, dass es erschöpfend ist? Diese Menschen könnten unter einer abhängigen Persönlichkeitsstörung leiden – aber das ist natürlich nicht notwendigerweise der Fall.

Aber immer der Reihe nach. Was genau ist diese abhängige Persönlichkeit? Worüber sprechen wir überhaupt, wenn wir „Persönlichkeit“ sagen? Lass uns diese Fragen als Ausgangspunkt nehmen und die abhängige Persönlichkeitsstörung näher betrachten.

Was ist eine Persönlichkeit, was eine abhängige Persönlichkeitsstörung?

Die Persönlichkeit ist ein komplexes Gefüge aus kognitiven Prozessen, Emotionen und Verhaltensweisen, die unserem Leben Kohärenz gibt. Wie der Körper besteht die Persönlichkeit aus Strukturen und Prozessen, die sowohl Natur als auch Erziehung widerspiegeln, also Gene und Erfahrung. Die Persönlichkeit hat daher zumindest teilweise die Form der Vergangenheit, der Erinnerungen, aber sie gibt auch Anweisungen für die Gegenwart und die Zukunft.

In anderen Worten ist die Persönlichkeit ein Set von Charakteristika und Mustern, die uns als Person ausmachen. Sie ist Gefühle, Gedanken, Einstellungen und Verhaltensweisen, die wir haben und die uns einzigartig machen.

Verzerrtes Frauengesicht im Spiegel

Da wir nun wissen, was eine Persönlichkeit ist und wie Psychologen sie definieren, können wir uns einer Veränderung oder Störung der Persönlichkeit widmen. Wie bereits beschrieben, ist die abhängige Persönlichkeitsstörung vor allem durch das alles überschattende und exzessive Bedürfnis nach Fürsorge gekennzeichnet. Dieses manifestiert sich meist im frühen Erwachsenenalter und kann in verschiedenen Kontexten beobachtet werden, z. B. zu Hause, in der Freizeit, auf Arbeit.

Im Folgenden seien die wichtigsten Merkmale der abhängigen Persönlichkeitsstörung beschrieben:

Die Angst davor, sich nicht selbst um sich kümmern zu können

Abhängigkeit und unterwürfiges Verhalten verfolgen das Ziel, Aufmerksamkeit und Pflege zu erhalten. Betroffene unterliegen dem starken Glauben, dass sie ohne die Hilfe von anderen nicht richtig funktionieren könnten. Sie haben große Schwierigkeiten damit, allein alltägliche Entscheidungen zu treffen. Ein Outfit auswählen, den Regenschirm mitnehmen oder nicht … schone diese sind schwere Entscheidungen für sie. Sie brauchen stets Ratschläge und die Bestätigung von anderen.

Diese Individuen tendieren dazu, passiv zu sein, und erlauben anderen, die Initiative und Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Vielleicht glaubst du, dass dies nur Jüngeren passieren könnte. Es trifft jedoch auch auf ältere Menschen zu. Jugendliche mit dieser Störung erlauben ihren Eltern gegebenenfalls, zu entscheiden, wie sie sich anziehen, mit wem sie interagieren, wie sie ihre Freizeit verbringen und was sie studieren sollen. Erwachsene mit abhängiger Persönlichkeitsstörung brauchen für gewöhnlich ihre Eltern oder ihren Ehepartner, um zu entscheiden, wo sie leben, welche Art von Job sie ausüben und mit wem sie befreundet sein sollen.

Dieses Bedürfnis danach, dass andere Verantwortung für sie übernehmen, ist für ihr Alter übermäßig. Es übersteigt das Maß, das in dieser Situation angemessen wäre.

Partnertattoos

Die Angst, Beziehungen zu anderen zu verlieren

Weil Menschen mit abhängiger Persönlichkeitsstörung Angst davor haben, die Unterstützung oder die Bestätigung von anderen zu verlieren, fällt es ihnen oft schwer, Widerworte zu geben. Besonders den Menschen gegenüber, von denen sie abhängen.

Diese Individuen fühlen sich derart nicht in der Lage dazu, allein zu funktionieren, dass sie Dingen zustimmen, die sie für falsch halten. Sie möchten es jedoch nicht riskieren, die Unterstützung des Gegenübers zu verlieren. Auch zeigen diese Menschen aus Angst vor Ablehnung keine Wut gegenüber denen, von denen sie Hilfe erhalten.

Wenn eine Beziehung endet, beispielsweise beim Tod eines Pflegers, nach einer Trennung o. Ä.., suchen sie dringend nach Ersatz, um sich die Pflege und die Unterstützung zu sichern, die sie brauchen. Ihr Glauben, dass sie ohne enge Beziehung nicht funktionieren könnten, motiviert diese Menschen dazu, sich schnell und unüberlegt an ein anderes Individuum zu ketten.

Probleme, neue Projekte ohne Hilfe zu beginnen

Menschen mit abhängiger Persönlichkeitsstörung haben Schwierigkeiten damit, Projekte zu initiieren und Dinge allein zu tun. Ihnen fehlt es an Selbstsicherheit und sie glauben, dass sie Hilfe bräuchten, um Aufgaben zu beginnen und auszuführen. Sie warten deshalb darauf, dass andere Leute den Anfang machen, denn sie glauben, andere könnten es besser. Jedoch tendieren sie dazu, zu funktionieren, wenn sie sich sicher sind, dass jemand sie überwacht und alles mit anschaut.

Unter Umständen wollen sie auch gar nicht kompetent erscheinen: Sie denken, dass Kompetenz zusammen mit dem Bild, welches sie projizieren, zu Ablehnung führte. So eignen sie sich oft die Fähigkeiten nicht an, die sie brauchen, um unabhängig zu werden und erhalten so die Abhängigkeit aufrecht.

Alles dafür tun, um umsorgt zu werden

Menschen mit abhängiger Persönlichkeitsstörung können zu Extremen neigen, um Pflege und Unterstützung von anderen zu erhalten. Sie mögen sogar unangenehme Aufgaben freiwillig erledigen, wenn dieses Verhalten ihnen die Unterstzützung, die sie sich erhoffen, sichert. Sie sind dazu bereit, sich ganz dem hinzugeben, was andere wollen, sogar, wenn deren Forderungen unvernünftig sind. Ihr Bedürfnis, die Beziehung aufrechtzuerhalten, resultiert in einer unausgeglichenen und gestörten Beziehung.

In diesem Sinne mögen sie sich auf außergewöhnliche Weise opfern oder verbale, körperliche oder sexuelle Misshandlung tolerieren. Sie fühlen sich unwohl oder hilflos, wenn sie allein sind. Personen mit abhängiger Persönlichkeitsstörung werden für sie wichtige Personen nicht verlassen, nur um nicht allein zu sein, sogar, wenn sie sich nicht wohlfühlen.

 

Paar hält Händchen

Weitere Merkmale, die mit der abhängigen Persönlichkeitsstörung in Verbindung stehen

Menschen mit abhängiger Persönlichkeitsstörung sind oft durch Pessimismus und Zweifel gekennzeichnet. Sie tendieren dazu, ihre Fähigkeiten und Ressourcen zu untergraben, und bezeichnen sich selbst möglicherweise als „nutzlos“. Sie sehen Kritik und Missbilligung als Beweis für ihren Mangel an Mut und verlieren dann das Vertrauen in sich selbst. Ihre Arbeitsleistung wird davon bestimmt, ob Initiative und Eigenständigkeit gebraucht werden. Sie vermeiden verantwortungsvolle Posten und sind ängstlich, wenn sie Entscheidungen treffen müssen. Sie suchen regelrecht nach Überbeschützung und Dominanz durch andere. Ihre soziale Bindungen sind dabei tendenziell auf die wenigen Leute begrenzt, von denen sie abhängig sind.

Die abhängige Persönlichkeitsstörungen entwickelt sich oft gemeinsam mit anderen Persönlichkeitsstörungen, vor allem Borderline-, selbstunsicher-vermeidende oder histrionische Persönlichkeitsstörung. Betroffene haben auch erhöhtes Risiko für depressive Störungen, Angststörungen und Anpassungsstörungen.

Wer ist betroffen und was verursacht die abhängige Persönlichkeitsstörung?

Faktoren, die zur Entwicklung dieser Störung beitragen können, sind:

  • Genetische Faktoren. Wenn jemand in der Familie eine ähnliche Störung hatte, ist das individuelle Risiko erhöht.
  • Psychobiologische Faktoren. Ein neurologisches Ungleichgewicht zwischen dem limbischen und retikulären System aber auch chronische körperliche Beschwerden erhöhen das Risiko.
  • Psychosoziale Faktoren. Abhängige suchen nach Beziehungen, die sie schützen. Verlustängste in der Kindheit oder Jugend machen eine Person anfällig für die abhängige Persönlichkeitsstörung.
Trauriger Teenager

Frauen erhalten häufiger psychologische Hilfe für dieses Problem, auch wenn einige Studien nahelegen, dass es bei Männern ebenso oft wie bei Frauen auftrete.

Wie können wir zwischen abhängiger Persönlichkeitsstörung, anderen Persönlichkeitsstörungen und der Normalität unterscheiden?

Auch wenn viele Persönlichkeitsstörungen durch abhängige Merkmale charakterisiert sind, kann die abhängige Persönlichkeitsstörung aufgrund der starken Ausprägung von unterwürfigem, reaktiven und übermäßig anhänglichen Verhalten identifiziert werden.

Sowohl die abhängige Persönlichkeitsstörung als auch die Borderline-Persönlichkeitsstörung sind durch die Angst vor dem Verlassenwerden gekennzeichnet. Jedoch reagiert die Person mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung auf Verlust oder drohenden Verlust mit Gefühlen wie emotionaler Leere und Wut, und Forderungen. Eine Person mit abhängiger Persönlichkeitsstörung reagiert, indem Beschwichtigungen und Unterwerfung gesteigert werden, sehnsüchtig und dringend um den Erhalt der Beziehung ringend.

Menschen mit histrionischer Persönlichkeitsstörung, wie die mit abhängiger Persönlichkeitsstörung, haben ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit und Bestätigung und mögen kindisch und anhänglich erscheinen. Jedoch geht die histrionische Persönlichkeitsstörung mit aktiver Forderungen nach Aufmerksamkeit einher, ungleich der abhängigen Persönlichkeitsstörung, die durch demütiges und sanftmütiges Verhalten charakterisiert ist.

Sowohl Betroffene mit abhängiger als auch mit selbstunsicher-vermeidender Persönlichkeitsstörung zeigen Unfähigkeit, Überempfindlichkeit gegenüber Kritik und das Bedürfnis nach Sicherheit. Personen mit einer selbstunsicher-vermeidenden Persönlichkeitsstörung haben jedoch große Angst vor Erniedrigung und Ablehnung. Bis zu dem Punkt, dass sie sich selbst distanzieren, bis sie sich sicher sind, dass sie akzeptiert werden. Im Kontrast dazu zeigen Menschen mit abhängiger Persönlichkeitsstörung ein Verhaltensmuster, das dadurch geprägt ist, dass sie die Beziehung zu anderen suchen und um jeden Preis aufrechterhalten, anstatt sie zu vermeiden und zu verlassen.

Wie zu Beginn gesagt, kennst du wahrscheinlich jemanden, der solches Verhalten zeigt, aber sei vorsichtig! Das bedeutet nicht, dass er eine abhängige Persönlichkeitsstörung hat. Tatsächlich haben viele Menschen abhängige Persönlichkeitsmerkmale. Nur wenn diese Eigenschaften unflexibel sind, sich nicht anpassen, anhalten und signifikante funktionale Beeinträchtigungen oder subjektives Unwohlsein verursachen, weisen sie auf eine abhängige Persönlichkeitsstörung hin.

 


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.