Warum uns unser Gehirn keine Zufriedenheit gönnt

Der Weg zur Zufriedenheit ist nicht einfach, wir sind anspruchsvoll und wollen immer mehr. Oft irren wir uns und gelangen auf Seitenstraßen, die uns von unserem Ziel entfernen und Ängste schüren. Doch warum fällt es uns so schwer, zufrieden zu sein mit dem, was wir sind und haben?
Warum uns unser Gehirn keine Zufriedenheit gönnt
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 21. November 2022

Das Streben nach Zufriedenheit und Glück bleibt oft erfolglos und führt zu Enttäuschung und Frustration. Unser Gehirn ist nicht darauf programmiert, uns dieses Bedürfnis zu erfüllen. Wenn wir zufrieden sind, haben wir keinen Grund, uns auf Verbesserungen zu konzentrieren oder mehr zu leisten. Wir werden selbstgefällig und sind wenig kreativ.

Zufriedenheit ist zwar ein Gefühl, das umfassendes Wohlbefinden ermöglicht, doch für unser Gehirn ist dieser Zustand eine Herausforderung. Dieses ist nämlich darauf programmiert, kontinuierlich Verbesserungen und Fortschritte zu erzielen. Das erklärt, warum wir Perfektionismus gutheißen, warum manche Personen das Hochstaplersyndrom entwickeln und warum wir selten mit allem zufrieden sind, was wir tun. Wir haben das Bedürfnis, uns ständig weiterzuentwickeln und verlangen kontinuierlich nach mehr.

“Genugtuung! Ich könnte nicht ohne sie leben. Sie ist wie Wasser oder Brot oder etwas, das für mich absolut notwendig ist.”

Sylvia Plath

Frau genießt Zufriedenheit und Glück
Zufriedenheit ist eine sehr intensive Emotion, die wir jedoch nur selten in vollen Zügen genießen können.

Zufriedenheit oder Glück?

Du erreichst Zufriedenheit, wenn sich deine Erwartungen erfüllen. Als Belohnung erlebst du Freude und ein durchdringendes Wohlgefühl, alles fühlt sich gut und harmonisch an. Wir erleben im Alltag immer wieder befriedigende Momente, die unser Gleichgewicht fördern: eine aromatische Tasse Kaffee, ein Lächeln einer nahestehenden Person, fröhliche Kinder oder ein angenehmes Gespräch. Zufriedenheit ist jedoch eine positive Grundstimmung, deren Steigerung wir als Genugtuung bezeichnen könnten.

Zufriedenheit ist mit Glück verwandt, doch nicht dasselbe: Wir können Zufriedenheit als kognitive Bewertung definieren, die wir vornehmen, wenn die Realität mit unseren Erwartungen übereinstimmt. Glück ist jedoch eine sehr intensive emotionale Erfahrung, die viel kurzlebiger und flüchtiger als Zufriedenheit ist. Das Glücksempfinden ist durch einen starken Handlungsbezug gekennzeichnet und äußert sich durch Liebe, innere Ruhe, Stille oder Heiterkeit, Lebensfreude, Hochgefühl und Verbundenheit.

“Zufriedenheit ist der Stein der Weisen, der alles in Gold verwandelt, das er berührt.”

Benjamin Franklin

Zufriedenheit ist besser als Glück

Wir sollten uns darum bemühen, Zufriedenheit zu erreichen: Sie ist stabiler als Glück und schenkt uns authentisches psychologisches Wohlbefinden. Diese Botschaft vermittelt der Nobelpreisträger Daniel Kahneman in einigen seiner Forschungsarbeiten und Podcasts.

Wir konzentrieren uns oft auf Ziele wie einen guten Job mit einem hohen Einkommen, nur um später festzustellen, dass uns das alles nicht wirklich glücklich macht. Der Weg zur Zufriedenheit ist nicht einfach, wir sind anspruchsvoll und wollen immer mehr. Oft irren wir uns und gelangen auf Seitenstraßen, die uns von unserem Ziel entfernen und Ängste schüren. Doch warum fällt es uns so schwer, zufrieden zu sein mit dem, was wir sind und haben?

Frau denkt über Zufriedenheit nach
Kontinuierliche Zufriedenheit schränkt uns ein und ist deshalb für das Überleben unserer Spezies kein Vorteil.

Warum sind wir selten zufrieden?

Es wäre wunderbar, wenn wir immer zufrieden wären. Das Gehirn bestimmt jedoch, dass wir uns um Verbesserungen bemühen müssen. Es zwingt uns zur Anstrengung, was unter anderem aus einer in der Zeitschrift Review of General Psychology veröffentlichten Studie hervorgeht.

Unsere Vorfahren mussten lernen, durch Veränderungen ihr Überleben zu sichern. Hätten sie sich mit einem Leben in einer Höhle abgefunden, wären wir heute wahrscheinlich nicht da, wo wir sind. Wir sind nie zu 100 % zufrieden, denn wir brauchen Anreize, um uns weiterzuentwickeln und zu verbessern.

Außerdem dürfen wir den Negativitätsbias nicht vergessen: Der Verstand konzentriert sich auf negative Gedanken, Gefühle und Erlebnisse, die unser Handeln stärker beeinflussen als positive. Wir können so Risiken vorhersehen und neue Strategien entwickeln, um Bedrohungen abzuwehren. Der Preis ist, dass wir Angst entwickeln, die zum Teil stark belastend sein kann.

Wie können wir Zufriedenheit und Wohlbefinden erreichen?

Unzufriedenheit begünstigt die Entwicklung unserer Art. Wenn wir ständig zufrieden wären, würden wir uns nicht anstrengen und beim ersten misslungenen Versuch aufgeben. Der Schlüssel liegt jedoch im Gleichgewicht. Wir müssen lernen, mit unserem Leben zufrieden zu sein, auch wenn nicht alles perfekt ist und es immer wieder zu Herausforderungen oder Konflikten kommt.

Wir müssen akzeptieren, dass uns die Unzufriedenheit Lernerfahrungen ermöglicht, die uns unseren Zielen näher bringen. Warum nutzen wir die Unzufriedenheit nicht, um zu besseren Menschen zu werden? Auf diesem Weg finden wir viele Glücksmomente und können eine solide Grundlage für unser psychologisches Wohlbefinden aufbauen.


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