Suizidgefährdung von Jugendlichen: Hoffnung durch Handeln

Die Suizidprävention ist eine gesamtgesellschaftliche und sehr komplexe Aufgabe. Wir alle können einen Beitrag leisten.
Suizidgefährdung von Jugendlichen: Hoffnung durch Handeln
Gorka Jiménez Pajares

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen Gorka Jiménez Pajares.

Letzte Aktualisierung: 30. März 2023

Das Bild ist düster: Suizid ist bei Teenagern die zweithäufigste Todesursache. Jeden Tag setzen in Deutschland Jugendliche ihrem Leben ein Ende, da sie keinen Ausweg aus ihrer Situation finden. In Wahrheit wollen sie leben, doch ihr Not ist so groß, dass sie nicht einmal in der Lage sind, um Hilfe zu bitten. Wir sprechen heute über präventive Maßnahmen, die bei Suizidgefährdung Hoffnung wecken können.

“Die Prävention von Suizidalität bei Minderjährigen ist immer noch ein ungelöstes Problem.”

Eduardo Fonseca-Pedrero

Suizidgefährdung: die Phasen

Suizidgedanken werden oft zu wenig ernst genommen. Über Selbsttötung sprechen, bedeutet noch lange nicht, dem Leben tatsächlich ein Ende zu setzen – das glauben viele. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass viele hoffnungslose Menschen ihren Suizid ankündigen. Es gibt jedoch wirksame präventive Maßnahmen, um verzweifelten Personen zu helfen. Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass sich entsprechende Ansätze auf individueller und gesellschaftlicher Ebene lohnen.

Obwohl wir weit davon entfernt sind, suizidales Verhalten und alle potenziellen Auslöser präzise zu beschreiben, haben wir ein deutlich besseres Verständnis als noch vor einigen Jahren. Menschen mit Suizidgefährdung durchlaufen in der Regel bestimmte Phasen, in denen sie sich immer mehr zurückziehen und ihre sozialen Kontakte einschränken:

  • In der Erwägungsphase denken sie über Suizid als mögliche Befreiung von ihrem Leid nach.
  • Die Ambivalenzphase ist durch Zweifel geprägt, denn die Selbsttötung widerspricht dem Selbsterhaltungstrieb. Betroffene benötigen in dieser Phase unbedingt Aufmerksamkeit und Hilfe.
  • In der Entschlussphase erleben viele die beruhigende Wirkung, die ihre Entscheidung auf sie hat. Hier besteht die Gefahr, diese innerliche Ruhe falsch zu bewerten und zu glauben, dass es der Person besser geht.

“Suizidales Verhalten ist Teil der menschlichen Vielfalt. Es ist ein komplexes, vielschichtiges, multidimensionales und multikausales Phänomen.”

Eduardo Fonseca-Pedrero

Suizidgefährdung: Was können wir tun?
Jugendliche mit Suizidgedanken benötigen eine rechtzeitige und wirksame Intervention.

Beurteilung der Suizidgefährdung

Verschiedene Fragebögen können Fachkräften helfen, die Suizidgefährdung zu bewerten. Ein einfühlsames, warmherziges Gespräch ist jedoch noch immer die beste Methode, um mögliche Gefahren zu erkennen.  Ergänzend kann die Skala SENTIA-Brief verwendet werden, die unter anderem folgende Fragen (Díez et al., 2021):

  • Hast du jemals geplant, dir das Leben zu nehmen?
  • Hattest du schon einmal die Idee, dir das Leben zu nehmen?
  • Hast du schon einmal jemandem gesagt, dass du dir das Leben nehmen willst?

Die Fragen sind direkt, da es besser ist, entschieden über Suizidgedanken zu sprechen, als verwirrende Fragen zu stellen (etwa “Hast du schon einmal daran gedacht, aufzuhören?”). Eduardo Fonseca-Pedrero weist darauf hin, dass diese Skala in der Beurteilung von suizidalem Verhalten (Ideation, Planung, Absicht, Kommunikation und Verhalten) im Jugendalter gute Ergebnisse liefert. Es gibt jedoch viele andere Instrumente, die ebenfalls hilfreich sein können.

Präventive Maßnahmen zur Suizidverhinderung

Die Weltgesundheitsorganisation fördert unter dem Akronym “LIVE LIFE” eine Reihe von Empfehlungen zur Suizidprävention. Dabei handelt es sich vor allem um Strategien, die auf einer empirischen Grundlage beruhen, d. h. durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt sind (Fonseca-Pedrero et al., 2022):

  • Begrenzung. Der Zugang zu Elementen, die den Suizid ermöglichen könnten, soll eingeschränkt werden (z. B. der Erwerb bestimmter Medikamente).
  • Interaktion. Ziel ist es, auf gesellschaftlicher Ebene, in der Presse, im Fernsehen und anderen Massenmedien über dieses Thema zu sprechen, um die Bevölkerung auf verantwortungsvolle Weise zu informieren.
  • Ermutigung. Erzieherische Maßnahemn können Jugendlichen helfen, bessere emotionale und soziale Fähigkeiten zu entwickeln.
  • Bewertung. Wie bereits erwähnt, ist die Bewertung gefährdeter Jugendlicher der Ausgangspunkt für jede Intervention.

Es gibt zahlreiche Strategien zur Suizidprävention (Reifels et al., 2022), die in unterschiedlichen Kontexten zur Anwendung kommen können (Familie, Schule, Gemeinde…). Der Ethikrat versucht, ein Bewusstsein für die Vielschichtigkeit von Suizidalität zu schaffen, die Voraussetzungen freiverantwortlicher Suizidentscheidungen zu präzisieren und die Verantwortungen der verschiedenen Akteurinnen und Akteure aufzuzeigen. Die Vernetzung aller Parteien kann Leben retten.

“Bildungszentren sind der ‘natürliche’ und ideale Ort, um Maßnahmen zur Förderung des emotionalen Wohlbefindens und zur Vorbeugung von suizidalem Verhalten zu entwickeln und umzusetzen.”

Eduardo Fonseca-Pedrero

Frau mit Suizidgefährdung bei Psychologin
Neben der professionellen Begleitung ist die Unterstützung von Familien und Gleichaltrigen der Schlüssel zur Prävention.

Präventionsprogramme

Das Nationale Suizidpräventionsprogramm für Deutschland (NaSPro) vereint Fachkräfte aus verschiedenen Bereichen, die sich für die Suizidprävention einsetzen. Sie weisen darauf hin, dass die Suizidprävention eine gesamtgesellschaftliche und sehr komplexe Aufgabe ist. Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung, Koordination und die Erleichterung von Hilfsangeboten spielen dabei eine wesentliche Rolle.

Wir dürfen nicht vergessen, dass sich in Deutschland jedes Jahr über 9.000 Menschen das Leben nehmen. Menschen mit Suizidgefährdung brauchen Hilfe, denn sie befinden sich in einem dunklen Tunnel, aus dem sie keinen Ausweg finden. Wir haben als Gesellschaft und Individuen Verantwortung: Wenn jemand beobachtet, dass eine Person in seiner Umgebung gefährdet ist, sollte er unbedingt mit ihr in Beziehung treten und dafür sorgen, dass sie zu einer Beratungsstelle geht. Experten sprechen von Gate Keepern: Menschen, die Gefährdete anleiten, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Dies ist nicht nur die Aufgabe von Fachkräften, wir alle können einen Beitrag leisten. Darüber reden kann Leben retten.

Hilfe bei Suizid-Gedanken

Wenn es dir nicht gut geht und du jemanden brauchst, um darüber zu sprechen, wende dich an die Telefonseelsorge. Du kannst rund um die Uhr anonym mit Personen sprechen, die dir helfen können. Telefon:  0800/111 0 111 und 0800/111 0 222. Außerdem kannst du die Telefonseelsorge auch per E-Mail und Chat erreichen. Es gibt auch die Möglichkeit einer E-Mail-Beratung oder eines Hilfe-Chats.


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  • Fonseca-Pedrero, E., Pérez-Albéniz, A., Al-Halabí., Susana. Conducta suicida en adolescentes: creando esperanza a través de la acción. Papeles del Psicólogo (2022). https://doi.org/10.23923/pap.psicol.3000
  • Gillies, D., Christou, M. A., Dixon, A. C., Featherston, O. J., Rapti, I., Garcia-Anguita, A., Villasis-Keever, M., Reebye, P., Christou, E., Al Kabir, N., y Christou, P. A. (2018). Prevalence and Characteristics of Self-Harm in Adolescents: Meta-Analyses of Community-Based Studies 1990-2015. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 57(10), 733–741. https://doi.org/10.1016/j.jaac.2018.06.018
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  • Reifels, L., Krishnamoorthy, S., Kõlves, K., y Francis, J. (2022). Implementation science in suicide prevention. Crisis, 43(1), 1–7. https://doi.org/10.1027/0227-5910/a000846

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