Sollten Kinder bei ihren Eltern schlafen oder nicht?

Sollten Kinder bei ihren Eltern schlafen oder nicht?

Letzte Aktualisierung: 06. Juni 2017

Schlafen kann eine sehr angenehme “Tätigkeit” sein. Ein guter Schlaf ist nicht nur wohltuend, sondern vor allem notwendig, um neue Kraft zu tanken, den Körper auszuruhen, unser Immun- und Hormonsystem zu stärken und Informationen zu verarbeiten.

Wenn wir geboren werden, müssen wir uns adaptieren, bis wir unseren Schlafrhythmus finden. Ein Baby schläft selten die ganze Nacht durch und wacht typischerweise mehrere Male schreiend auf. Das lässt Eltern oft verzweifeln, da sie nicht wissen, was sie tun können, damit ihr Kind gut schläft.

Das Einzige, was hilft, ist, die Geduld zu bewahren und nicht zu vergessen, dass ein Baby so wie jeder andere Mensch auch früher oder später Schlaf finden wird.

Es gibt einen neuen Trend, der sich „Erziehung mit natürlicher Bindung“ nennt und dafür steht, dass Kinder im selben Bett wie ihre Eltern schlafen sollen, damit sie nicht leiden, bis sie sich eines Tages selbst dazu entschließen, nun in ihr eigenes Bett umzuziehen. Dieser Trend, der in der westlichen Welt immer öfter anzutreffen ist, ist sehr umstritten. Viele Eltern verteidigen ihn, sagen, dass sich das positiv auf das Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen der Kleinen auswirken würde, wovon andere aber überhaupt nicht überzeugt sind.

Woher kommt die Idee, dass Kinder im Bett der Eltern schlafen?

Die Befürworter dieser Art der Erziehung berufen sich auf die vom Psychoanalytiker John Bowlby durchgeführten Studien. Er entwickelte die Bindungstheorie, doch die zugleich gute und schlechte Nachricht diesbezüglich ist, dass sie tatsächlich nichts mit dem zu tun hat, was die Erziehung mit natürlicher Bindung ist.

Bowlby wurde in London in eine Familie der Oberschicht hineingeboren. Sein Vater war Chirurg des Britischen Königshauses. So wie zu dieser Zeit üblich, wurde er von einem Kindermädchen erzogen, das seine wichtigste Bezugsperson war. Seine Eltern sah er nur selten. Als er vier Jahre alt war, ging sein Kindermädchen fort, und er erlebte diese Trennung als traumatisches Ereignis. Drei Jahre später wurde er auf ein Internat geschickt, in dem er sich sehr ängstlich und unsicher fühlte.

Natürlich musste er sich so fühlen und wollte im Erwachsenenalter durch Studien belegen, dass die Bindung in den ersten Lebensmonaten entscheidend für die Entwicklung des Kindes ist.

Browlby entdeckte die Wichtigkeit dieser Bindung, als er beobachtete, dass Kinder, die extrem wenig Beachtung und Liebe erfahren, in der Schule und in ihrem sozialen Umfeld häufiger Probleme hatten und eher dazu  neigten, an psychisch zu erkranken. Hierbei ist allerdings die Rede von Missachtung, Misshandlung, Nachlässigkeit, Verstoßen und Verlassen des Kindes.

Die Theorie wurde wiederholt falsch interpretiert und viele Familien glauben heute, dass eine feste Bindung nur dann entsteht, wenn man 24 Stunden rund um die Uhr nur für das Kind da ist, wenn man ihm so viel Zeit wie möglich schenkt, auf jedes seiner Schreie eingeht, es so wenig wie möglich allein lässt und es mehrere Jahre lang im selben Bett schlafen darf wie seine Eltern. „Diese Bewegung ist ein Trugschluss. Sie trägt den gleichen Namen wie eine Forschungsrichtung, die die Entwicklung des Menschen studiert, und das erzeugt eine große Verwirrung“,  sagt einer der bekanntesten Referenten in der Erforschung der Bindung, der Psychologe Alan Sroufe.

Die Untersuchungen des Emeritus der University of Wisconsin (Wisconsin, USA), Sroufe, der die kindliche Entwicklung mehr als 30 Jahre lang studierte, zeigten letztendlich, dass man eine sichere Bindung nicht dadurch erreicht, dass das Kind im Bett der Eltern schläft, es lange stillt oder überbehütet, sondern das dies gelinge, wenn man den Bedürfnissen des Babys auf eine sensible, angemessene und effektive Weise nachkomme. Eine Bindung entsteht nach und nach zu dem Menschen, der genau dazu in der Lage sei, und auch nur, wenn das Kind dieser Person vertraue.

Eine falsch interpretierte These

Wenn wir Theorien interpretieren, müssen wir vorsichtig sein, denn es gibt nicht nur schwarz oder weiß, wenn wir von Statistiken sprechen, und noch weniger dürfen wir jemanden verurteilen, der die eine oder andere Entscheidung für seine Familie trifft. William Sears, einer der Hauptbefürworter dessen, dass Kinder im Bett der Eltern schlafen sollten, argumentiert, dass ein exzessives Schreien des Babys wegen der starken Ausschüttung an Stresshormonen schädlich für sein Gehirn sein könne. Aber Sears übertreibt, da der Stress einiger schlafloser Nächte nicht als chronisch bezeichnet werden und nicht mit dem Stress, unter dem Bowlby litt, verglichen werden kann, da dieser von seinen Eltern vernachlässigt und verlassen wurde. Es ist offensichtlich, dass das nicht das Gleiche ist.

Was aber wissenschaftlich bestätigt ist, ist, dass mithilfe psychologischer Techniken der Schlaf trainiert werden kann und dass diese bei Kindern keinen emotionalen Schaden verursachen. Das ist das Ergebnis mehrerer Studien aus dem Jahr 2006, die von der US-amerikanischen Akademie für Medizin durchgeführt wurden.

So kommen wir zu einer simplen Schlussfolgerung: Jede Familie sollte für sich entscheiden, dabei aber immer bedenken, dass es nicht nur eine einzige Methode gibt, damit Kinder mehr oder weniger selbstsicher werden, ein gutes Selbstwertgefühl entwickeln und emotional stark werden. Es geht nicht darum, was praktiziert wird, sondern wie es praktiziert wird. Deshalb sollten wir die Signale eines Kindes interpretieren und unterscheiden lernen, wann es Nähe oder Schlaf benötigt, wann es hungrig ist oder wann es etwas anderes braucht.

Extreme sind niemals gesund und alles hängt davon ab, wie wir etwas tun. Dem Kind alles zu geben, was es will, kann seinem Selbstwertgefühl schaden und vor allem kann es das Kind intolerant gegenüber Frust machen – ein Gefühl, mit dem es in seinem späteren Leben umgehen werden muss. Den Bedürfnissen eines Kindes gegenüber vollkommen gleichgültig zu sein, ist aber genauso wenig der beste Weg, ein Kind zu erziehen. Die Erziehung hängt von uns ab und wir müssen den Bedürfnissen unserer Kinder angemessen nachkommen.

Sollten Kinder also bei ihren Eltern schlafen oder nicht? Alles sollte in Maßen geschehen und die Wissenschaft darf nicht falsch interpretiert werden. Dein Kind darf natürlich sehr gern in deinem Bett schlafen, wenn du das möchtest, aber du solltest nicht glauben, dass es deshalb besser auf sein Leben vorbereitet ist als andere. Auf der anderen Seite solltest du nicht vergessen, dass wir Menschen Gewohnheitsstiere sind und einem Kind beizubringen, in seinem eigenen Bett zu schlafen, kann für seine mentale Gesundheit und für das Wohlergehen der ganzen Familie positiv sein.

Hoffentlich wird das Thema Erziehung eines Tages
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Ich hoffe ja, dass das Thema Erziehung
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