Neurobiologische Störungen bei jungen Menschen ohne Empathie

Was steckt hinter einem unsensiblen, gewalttätigen und aufsässigen Jugendlichen? Antisoziales Verhalten lässt sich durch bestimmte neurobiologische Anomalien erklären, die die Wissenschaft immer besser versteht.
Neurobiologische Störungen bei jungen Menschen ohne Empathie
Valeria Sabater

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Valeria Sabater.

Letzte Aktualisierung: 06. März 2023

Antisoziales Verhalten beginnt in der Kindheit. In den ersten Lebensjahren eines Menschen schlagen viele Persönlichkeitsstörungen ihre Wurzeln. Zu den wichtigsten Merkmalen zählt die Gleichgültigkeit gegenüber den Auswirkungen der eigenen Handlungen. Viele fallen auch durch große Impulsivität und mangelndes Einfühlungsvermögen auf. Nicht immer sind dysfunktionale Familien oder eine falsche Erziehung dafür verantwortlich, auch neurobiologische Störungen können zu emotionaler Unempfindlichkeit führen. Erfahre heute mehr über dieses Thema.

Asoziales Verhalten zeigt sich in der Regel im Alter zwischen 8 und 11 Jahren. Trotzigkeit gegenüber Autoritäten und mangelndes Einfühlungsvermögen sind die auffälligsten Merkmale.

Neurobiologische Störungen bei jungen Menschen ohne Empathie
Hinter emotionaler Unempfindlichkeit bei Kindern und Jugendlichen können sich neurobiologische Störungen verbergen.

Neurobiologische Störungen und antisoziales Verhalten

Etwa 3 % der Bevölkerung weisen Anzeichen einer antisozialen Persönlichkeitsstörung auf. Von diesem Prozentsatz zeigen 40 % bereits in der Kindheit eindeutig dissoziales Verhalten (Widiger & Gore, 2016). Diese Daten sind wichtig und machen deutlich, dass wir die Gründe für die Entwicklung dieser Störung besser verstehen können, wenn wir uns die frühesten Altersstufen ansehen.

Das hat die Psychologie über mehrere Jahrzehnte hinweg getan. Wir dürfen nicht übersehen, dass die Persönlichkeitsstörungen des Clusters B am problematischsten sind und die größten Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Wir können sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen beobachten, dass sie sich nicht nur über alles hinwegsetzen, was ethisch oder gesetzlich geregelt ist, sondern auch damit prahlen.

Dieses Profil führt mit hoher Wahrscheinlichkeit schon in jungen Jahren zu kriminellem Verhalten. Dies ist eine Herausforderung für die Familien, Erzieher und Sozialarbeiter, denn es handelt sich um eine komplexe Realität.

Emotionale Unempfindlichkeit und Empathieprobleme lassen sich manchmal durch eine Funktionsstörung in der Amygdala erklären.

Wie erkennt man ein antisoziales Kind?

Das auffälligste Merkmal antisozialer Kinder ist ihr Mangel an Empathie. Sie sind nicht sensibel für die emotionale Realität anderer. Obwohl sie die Gefühle anderer erkennen können, zeigen sie weder Reue noch machen sie sich Gedanken über die Auswirkungen ihres Handelns.

  • Antisoziale Kinder zeigen trotziges und gewalttätiges Verhalten.
  • Sie streiten häufig.
  • Oft misshandeln sie Tiere.
  • Sie lügen, stehlen oder zerstören das Eigentum anderer.
  • Außerdem brechen sie gerne Regeln und Vorschriften. Auch Schulschwänzen steht auf der Tagesordnung.
  • Antisoziale Kinder reagieren häufig mit Ärger, Wut, Groll usw.
  • Sie sind nicht in der Lage, ihre Impulse zu kontrollieren.
  • Ihre sozialen Fähigkeiten sind schlecht ausgeprägt.
  • Außerdem tun sie sich mit der Lösung von Problemen schwer.

Neurobiologische Veränderungen bei empathielosen und antisozialen Jugendlichen

Einer der entscheidendsten Faktoren für das Auftreten von antisozialem Verhalten bei Kindern ist eine dysfunktionale Familie. Eine feindselige, kalte Umgebung hinterlässt in den meisten Fällen tiefe Spuren. Die Wissenschaft befasst sich jedoch schon seit Jahren mit einer weiteren Hypothese: Die Ätiologie unempathischer und antisozialer Jugendlicher liegt nicht nur im sozialpädagogischen Faktor, sondern auch in neurobiologischen Störungen. Diese werden im Folgenden erörtert.

Die Amygdala und emotionale Unempfindlichkeit bei Kindern

Dr. Mairead Dolan erklärt in einem in The american journal of psychiatry veröffentlichten Artikel, wie unempathische und emotional unempfindliche junge Menschen beschaffen sind. MRT-Studien haben gezeigt, dass es zu einer Dysfunktion der Amygdala kommen kann, d.h. zu einer verminderten Aktivierung.

Dies führt zu einer Einschränkung bei der Verarbeitung von Gesichtsausdrücken und dem Verständnis der Emotionen anderer Menschen. Es gibt jedoch noch weitere neurobiologische Probleme, die erwähnenswert sind. Eine Forschungsarbeit der Central South University stellte fest, dass sich die Missachtung sozialer Verpflichtungen und die emotionale Unempfindlichkeit auch durch Anomalien in der funktionellen Konnektivität des Gehirns erklären lassen. Die Frequenzbänder in der neuronalen Konnektivität von Kindern und Erwachsenen mit antisozialem Verhalten sind verändert.

Ein Gehirn ohne Gewissen

Empathische und emotional unsensible Jugendliche zeigen oft keine Schuldgefühle. Sie denken selten über die Auswirkungen ihres Verhaltens nach. Sie machen sich keine Gedanken darüber, anderen Schaden zuzufügen. Diese Eigenschaften sind sehr auffällig, wenn man sie schon in der Kindheit beobachtet.

Die funktionelle Neurobildgebung ist derzeit das am häufigsten verwendete Verfahren, um die neuronalen Korrelate antisozialen Verhaltens bei Jugendlichen zu verstehen. So sehen wir unter anderem eine deutliche Veränderung in allen präfrontalen Bereichen, die mit Selbstwahrnehmung und Reflexion zu tun haben.

Außerdem hängen die oben erwähnten funktionellen Defizite in der Amygdala mit einer anderen Tatsache zusammen. Diese Kinder und Jugendlichen können die Emotion der Angst kaum verarbeiten. Das führt nicht nur dazu, dass sie impulsiver sind und sich risikoreich verhalten, sondern auch dazu, dass sie keine Angst vor möglichen Strafen für ihr aggressives oder kriminelles Verhalten haben. Das rechtfertigt ihre Rückfälligkeit bei Handlungen, für die sie oft gemaßregelt werden.

Das limbische System und der präfrontale Cortex erklären emotionale Kälte

Junge Menschen ohne Empathie sind aus psychologischer und sozialer Sicht eine Herausforderung. Die Neurowissenschaften liefern eine wachsende Menge an wissenschaftlicher Literatur, die zeigt, wie verschiedene neurobiologische Störungen in vielen Fällen antisoziales Verhalten prägen. So wurde bereits hinreichend nachgewiesen, dass dieser Zustand bei Männern häufiger auftritt als bei Frauen.

Ebenso ist diese emotionale Gefühllosigkeit das Ergebnis vielfältiger und komplexer Hirnfunktionsstörungen, die zwischen den emotionalen Regionen und dem präfrontalen Kortex kreisen. Wenn wir vorhin von der Amygdala gesprochen haben, müssen wir auch das limbische System hervorheben, das ebenfalls mit der emotionalen Verarbeitung und dem Gedächtnis zusammenhängt.

Forschungen der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Basel weisen auf eine weitere Veränderung hin. Es besteht eine Störung in den Faserbahnen der weißen Substanz, die das limbische System mit dem präfrontalen Kortex verbinden. Das erklärt die Unfähigkeit, Emotionen zu verarbeiten, zu kontrollieren und zu verstehen.

Neurobiologische Störungen prägen das Verhalten von Kindern und Jugendlichen
Um antisoziales Verhalten bei Kindern und Jugendlichen zu verstehen, müssen wir den psychosozialen Kontext der Kinder und auch neurobiologische Faktoren betrachten.

Der Einfluss der Erziehung

Sind unempathische, unsensible und autoritätsfeindliche Jugendliche aufgrund von Erziehungsfaktoren oder aufgrund von neurobiologischen Variablen so? Antisoziales Verhalten hat eine starke genetische Komponente. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie eine Störung entwickeln müssen. Wenn sie in einer liebevollen, sicheren Familie aufwachsen und auf eine glückliche Kindheit zurückblicken können, verringert sich das Risiko.

Davon berichtet der Neurologe James Fallon¹. Nach einer MRT-Untersuchung entdeckte er, dass sein Gehirn dieselben Ähnlichkeiten aufwies wie das der Häftlinge mit Psychopathie oder antisozialer Störung, die er täglich untersuchte. Tatsächlich war Lizzie Borden², eine bekannte Mörderin, eine seiner Vorfahren. Fallon wurde jedoch liebevoll aufgezogen, deshalb entwickelte er selbst keine Störungen. Die Erziehung hat trotz der genetischen Veranlagung große Macht.

Literaturempfehlung

  1. Der Psychopath in mir: Die Entdeckungsreise eines Neurowissenschaftlers zur dunklen Seite seiner Persönlichkeit, James Fallon, Langen-Müller 2022
  2. Der Fall Lizzie Borden: Amerikas berühmtester Mordfall des 19. Jahrhunderts, Daniela Mattes, Twentysix 2017

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  • Dolan M. Neurobiological disturbances in callous-unemotional youths. Am J Psychiatry. 2008 Jun;165(6):668-70. doi: 10.1176/appi.ajp.2008.08030393. PMID: 18519530.
  • Tang, Y., Long, J., Wang, W. et al. Aberrant functional brain connectome in people with antisocial personality disorder. Sci Rep 6, 26209 (2016). https://doi.org/10.1038/srep26209
  • Waller R, Dotterer HL, Murray L, Maxwell AM, Hyde LW. White-matter tract abnormalities and antisocial behavior: A systematic review of diffusion tensor imaging studies across development. Neuroimage Clin. 2017 Jan 16;14:201-215. doi: 10.1016/j.nicl.2017.01.014. PMID: 28180079; PMCID: PMC5280002.

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