Lesen lernen: Faktoren und Einflüsse

Lesen lernen: Faktoren und Einflüsse
Sara Clemente

Geschrieben und geprüft von der Psychologin und Journalistin Sara Clemente.

Letzte Aktualisierung: 09. April 2023

Lesen lernen ist ein langsamer Prozess. Es erfordert die Umsetzung vieler kognitiver und außersprachlicher Fähigkeiten in die Praxis. Dabei gibt es viele Faktoren, die einen direkten oder indirekten Einfluss auf den Erwerb der Lesefähigkeit haben. Dies gilt insbesondere für Kinder. Wenn wir ihre Situation betrachten, sollte das Lesenlernen nicht nur adaptiv, sondern auch interaktiv und unterhaltsam gestaltet werden.

Diese Faktoren lassen sich in psychische oder emotionale, intellektuelle und physische Komponenten einteilen. Dennoch neigen wir häufig dazu, allein die letzten beiden als grundlegend zu betrachten. Aber die Wahrheit ist, dass vielerlei psychische Faktoren zum Erfolg oder Misserfolg beim Lesenlernen führen können. Schauen wir sie uns genauer an

Psychische und emotionale Faktoren

Eine der wesentlichen Zutaten für das Lesenlernen ist die Einstellung der Eltern und Lehrer zum Unterricht. Zu vielen Gelegenheiten kann typisch erwachsenes Verhalten diesen Prozess für Kinder erschweren. Dies geschieht jedoch nicht in allen Fällen.

Eine Mutter hilft ihrem Kind beim Lesenlernen

Ein Beispiel dafür ist übermäßiger Schutz. Einige Kinder werden zu sehr geschützt und geborgen. Sie werden sich wahrscheinlich unsicher fühlen, wenn es darum geht, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Sie werden dazu neigen, diese Herausforderungen abzulehnen. Ebenso vermindert übermäßige Toleranz Selbstdisziplin, Selbstverantwortung und den Erwerb guter Gewohnheiten. Das Fehlen von Regeln kann dazu führen, dass sich Kinder unmotiviert fühlen. Die Konsequenzen dessen werden sie spüren, wenn sie versuchen, Aktivitäten durchzuführen, die etwas Anstrengung erfordern, wie das Lesen zu lernen.

Ebenso wirkt sich übermäßiger Druck von Familienmitgliedern oder Lehrern negativ auf die Kinder aus. Kommentare wie “Du hättest das schon vor langer Zeit lernen sollen”  können ihre Moral untergraben oder sie entmutigen. Dasselbe gilt für Kommentare wie “Du liegst weit hinter deinen Klassenkameraden”.  Solche Aussagen können die Kinder sogar dazu bringen, aufzugeben.

Wenn diese Enttäuschung und mangelnde Motivation zum Lesenlernen auf alles Schulbezogene verallgemeinert wird, ist der Supergau erreicht. Dann entsteht das gefürchtete akademische Scheitern. Es folgt ein Gefühl der unvermeidlichen Minderwertigkeit. Die Kinder neigen dann auch zu Anpassungs- und Integrationsproblemen.

Intellektuelle Faktoren

Es gibt viele Studien, die die Frühreife von Mädchen im Vergleich zu Jungen belegen. Diese Geschwindigkeit der intellektuellen Entwicklung ist auf die relative Dominanz der weiblichen linken Hemisphäre zurückzuführen. Das Lesen mit dieser Gehirnhälfte ist nämlich tendenziell besser. Es wird mit weniger Fehlern und höherem Verständnis durchgeführt.

Deshalb ist eine erste Voraussetzung dafür, dass Kinder richtig lesen lernen können, die hemisphärische Lateralisation. Oder zumindest eine Vorliebe für die Verwendung der einen oder anderen Körperseite zur Erledigung alltäglicher Aufgaben. Dadurch werden Interferenzen vermieden, wie sie bei einer fehlenden Differenzierung der Gehirnhälften auftreten können. Bei fehlender Lateralisierung kann es zudem zu einer Reihe von Störungen kommen, die die Lesefähigkeit beeinflussen. Einige davon sind Rechtschreib- oder Leseschwierigkeiten.

Lesendes Mädchen

Physische Faktoren

Sehen und Hören sind wesentliche physiologische Funktionen, wenn es um die Lesefähigkeit geht. Tatsächlich gibt es Autoren, die die Fähigkeit des Hörens in Ebenen jenseits des Lesens für noch wichtiger als das Sehen halten.

Ein Mangel an Sehschärfe oder ein Ungleichgewicht in der Augenmuskulatur kann die Lesefähigkeit also beeinträchtigen. Ebenso kann Schwerhörigkeit oder Taubheit den Prozess verlangsamen. Wenn derartige Probleme jedoch binnen der ersten drei Lebensjahre erkannt werden, stehen die Chancen gut, dass die Sprach- und Leseentwicklung normal verläuft.

Verstehen und Lesen

Auch wenn diese Begriffe scheinbar das Gleiche meinen, stimmt das nicht. Wie oft haben wir uns hingesetzt, um ein Buch zu lesen, und fünf Minuten später bemerkt, dass wir nichts mehr von dem wissen, was wir gelesen haben? Um zu verstehen, was wir lesen, ist es von grundlegender Bedeutung, aufmerksam zu sein. Wenn wir uns nicht konzentrieren, sehen wir uns nur einen Haufen Buchstaben an, ohne sie kognitiv zu verarbeiten.

Das Leseverständnis erfordert eine Reihe von außersprachlichen Fähigkeiten. Diese gehen über die lexikalischen und semantischen Eigenschaften der Wörter hinaus. Dazu gehören Dolmetschen, Kontextualisierung, Problemlösung und Argumentation. Leseverständnis bedeutet also, den Inhalt des Textes aktiv zu gestalten, und ist damit die Spitze der Lesepyramide, auf der eine Nachricht entschlüsselt werden kann.

Einfluss der Familie auf das Lesenlernen

Je anregender die Umgebung der Kinder ist, desto eher kann sie einen Beitrag zur Entwicklung des Lesevermögens leisten. Aus diesem Grund ist das Gewicht, das die Eltern beim Lesenlernen der Kinder haben, nicht zu unterschätzen. Auch die Lesegewohnheiten der Eltern beeinflussen den Erwerb von Lesefähigkeiten.

Vater liest seinen Kindern vor

Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen Kindern, deren Eltern oft lesen und solchen, die kein Vorbild beim Lesen haben. Zum Beispiel sind lesende Eltern eher bereit, ihren Kindern ein Buch vorzulesen, bevor sie einschlafen. Vielleicht haben sie auch Anregungen im Haus, die Kinder zum Lesen einladen, wie Zeitschriften, Zeitungen und Bücher. Und über eine Einladung freuen wir uns doch in aller Regel, als Kinder und als Erwachsene.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.