Kurze Anatomie des Bösen im Menschen

Sind wir Menschen von Natur aus böse oder sind es nur die Umstände, die uns böswillig reagieren lassen?
Kurze Anatomie des Bösen im Menschen
Gorka Jiménez Pajares

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen Gorka Jiménez Pajares.

Letzte Aktualisierung: 04. März 2023

Diese kurze Anatomie des Bösen im Menschen zeigt, warum wir alle eine dunkle Seite in uns verbergen, die immer wieder offensichtlich wird. Aggression und Gewalt begleiten die Menschheit seit ihren Anfängen, denn es handelt sich um einen Überlebensmechanismus, der insbesondere in Zeiten von Unsicherheit und Chaos zum Vorschein kommt. In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch die Frage, inwieweit sich Aggression und Böses unterscheiden und welche Motivation böswilligem Verhalten zugrunde liegt.

Im Konkreten sprechen wir über zwei Experimente, die unsere Bereitschaft zum Gehorsam und die Macht des Gruppenzwangs deutlich machen, und über verschiedene Eigenschaften, die das Böse in uns fördern.

Kurze Anatomie des Bösen im Menschen
Aggressives Verhalten kann ein Überlebensmechanismus sein, das Böse hingegen impliziert die Perversion der Moral. 

Die Anatomie des Bösen

Dr. Huneuss erklärt, dass sich das Böse durch die Behandlung eines Menschen ausdrückt, die keinen Respekt vor dem zeigt, was uns Menschen auszeichnet: der Menschlichkeit. Böswilliges Verhalten basiert auf folgenden Annahmen:

  • Eine akzeptierte Situation, in der ein als schwach, inkompetent oder minderwertig betrachtetes Opfer Böses erfährt. Dieses mentale Konstrukt motiviert die Objektivierung.
  • Die Annahme, dass das Opfer, das seiner Menschlichkeit beraubt wurde, eine Bedrohung für die eigene physische und psychische Sicherheit des Täters darstellt, sodass das Verhalten, das dem Opfer Schaden zufügt oder es zerstört, gerechtfertigt ist.

“Diese Definition des Bösen setzt voraus, dass der Täter oder die Täterin in der Lage ist, die Folgen seines oder ihres Handelns zu verstehen. So gesehen kann das Böse als die absichtliche Zufügung von grausamen und schmerzhaften Leiden an einem anderen Menschen definiert werden.”

Huneuss

Das Milgram-Experiment

Der Psychologe Stanley Milgram, der an der Universität Yale forschte, ist für seine Experimente bekannt, durch die er mit der klassischen Vorstellung von Gut und Böse aufräumte. Er wollte mit seinen Forschungen herausfinden, warum während des Nationalsozialismus in Deutschland so viele Menschen mitmachten und Verbrechen begangen. Seine Frage war, ob diese Tatsache mit der Persönlichkeit oder mit der Situation zu tun hatte. Waren Nazis schlechte, gewissenlose Menschen, oder würden auch Normalbürger unter bestimmten Umständen so handeln?

Die schockierenden Ergebnisse zeigten, dass fast drei Viertel der Bevölkerung den Anweisungen einer Autorität folgen, auch wenn sie anderen Menschen Schaden zufügen. Die Mehrheit ist also bereit, trotz moralischer Zweifel die Vorschriften blind auszuführen. Dies wird auch als Konformitätsbias bezeichnet: Wir handeln so, wie es unsere Mitmenschen tun und nehmen nur wahr, was am besten zu unseren Vorstellungen passt. 

Milgram beantwortet die von ihm gestellte Frage mit der Erklärung von zwei unterschiedlichen psychologischen Zuständen:

  • Autonomie: Es handelt sich um Menschen, die sich für ihre Handlungen verantwortlich fühlen. Ihr Gewissen und ihre moralischen Grundsätze leiten ihr Verhalten.
  • Gehorsam: Wir sprechen von Personen, die als Teil einer Hierarchie die Verantwortung bestimmten Autoritäten übertragen. Ihre Handlungen orientieren sich an den Anweisungen dieser Autoritäten, auch wenn sie dadurch gegen ihre eigenen Wertvorstellungen agieren.

Der Gruppendruck übte bei allen Teilnehmenden einen sehr starken Einfluss aus. Das Ergebnis des Experiments: Die Mehrheit der Menschen ist insbesondere unter Gruppenzwang dazu bereit, böswillig zu handeln. 

Das Stanford-Prison-Experiment

Der Psychologe Philip Zimbardo führte in den 1970er-Jahren ein Experiment durch, das ebenfalls zeigte, wie schnell wir bereit sind, grausames, böswilliges Verhalten zu entwickeln. An dem Experiment nahmen Studenten aus gutem Hause teil, die er in zwei Gruppen aufteilte: Gefängniswärter und Häftlinge. Die Wärter erhielten Schlagstock, Schlüssel, Trillerpfeife und Sonnenbrille und zeigten ihre Macht schnell durch Erniedrigungen.

Auch Zimbardo selbst nahm als Gefängniswärter teil und erkannte, dass sich sein Verhalten gegen seine Werte entwickelte. Der Versuch wurde schließlich abgebrochen. Jahre später beschrieb der Psychologe in seinem Werk Der Luzifer-Effekt: Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen¹ seine Erkenntnisse über die Manipulierbarkeit des Menschen.

Zimbardo beschreibt situationsbedingte Faktoren wie sozialer Druck, Langweile, mangelnde Kontrolle, Abgeschiedenheit, fehlende Leitlinien, Vorurteile und mangelnde persönliche Verantwortung als Umstände, die uns manipulierbar machen und das Böse im Menschen wecken können. Sie können Gewalt nicht rechtfertigen, doch wenn wir unter Berücksichtigung dieser Faktoren präventive Maßnahmen ergreifen, können wir dem Bösen entgegenwirken.

“Ich bin der autoritäre, herrische Machtmensch geworden, dem ich mich mein ganzes Leben entgegengestellt, den ich sogar verabscheut habe.”

Philip Zimbardo

Kurze Anatomie des Bösen im Menschen
Die Mehrheit der Menschen ist bereit, Autoriäten blind zu folgen, auch wenn sie damit gegen ihre eigenen Wertvorstellungen handeln.

Welche Eigenschaften haben böse Menschen?

Ein Psychologenteam unter der Leitung von M. Moshagen hat in einer Studie den sogenannten “Dark factor” (D-Faktor) definiert, der die dunkle Persönlichkeit ausmacht. Egoismus ist der Kern des Bösen, der diese Menschen dazu bringt, ohne Schuldgefühle oder Gewissensbisse zu handeln. Weitere Elemente sind Gehässigkeit, Narzissmus, moralische Enthemmung, Machiavellismus, Anspruchsdenken, Psychopathie, Selbstbezogenheit und Sadismus.

Manche Menschen werden auf das Böse trainiert. So sind beispielsweise in Kriegszeiten bestimmte Eigenschaften besonders gefragt. Zusätzlich zu Stärke, Ausdauer und Intelligenz sprechen die Experten Isella und Huneuss über folgende Merkmale:

 

  • Unterordnung gegenüber Autoritätspersonen. Menschen, die zum Bösen trainiert werden, müssen zu absolutem Gehorsam bereit sein.
  • Konventioneller Lebensstil. An Traditionen zu glauben, ist eine gute Voraussetzung.
  • Ausdauer. Das Training ist brutal und erniedrigend, deshalb ist Ausdauer wesentlich.
  • Tugendhaftigkeit. Diese Menschen müssen davon überzeugt sein, dass sie moralisch richtig handeln.
  • Angst vor Autoritäten. Nur durch Einschüchterung und Angst kann absoluter Gehorsam erzielt werden.

Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass wir alle dunkle Seiten in uns verbergen, die allerdings nur unter bestimmten Umständen zum Ausdruck kommen. Gruppendruck, Anonymität und bedrohliche Situationen können die Grenzen von Gut und Böse verwischen. Anstatt uns von äußerem Druck mitreißen zu lassen oder uns hinter der Anonymität zu verbergen, sollten wir unseren Prinzipien und Wertvorstellungen treu bleiben und versuchen, das Gute im Menschen zu fördern.

Literaturempfehlung

  1. Der Luzifer-Effekt: Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen, Philipp Zimbrano, Springer 2016

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  • Montoya, V. (2006). Teorías de la violencia humana. Razón y palabra, (53).
  • Huneeus, F., & Isella, S. (1996). Los orígenes psicológicos de la maldad grupal en las FF. AA. Y de orden: Necesidad de una continua revisión. Revista de Psiquiatría y Salud Mental, 17(4), 191-199.
  • Olivárez, V. G. (2014). La practica docente entre la maldad y la agresividad: una lectura con y desde el psicoanalisis. Revista de Psicologia-GEPU, 5(1), 225-252.

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