Kindheitserlebnisse verändern das Gehirn

Kindheitserlebnisse programmieren einen Fahrplan ins Gehirn. Tatsächlich hat die Neurowissenschaft herausgefunden, dass sie lebenslange Narben zurücklassen können.
Kindheitserlebnisse verändern das Gehirn
Gema Sánchez Cuevas

Geprüft und freigegeben von der Psychologe Gema Sánchez Cuevas.

Geschrieben von Edith Sánchez

Letzte Aktualisierung: 16. Mai 2023

Kindheitserlebnisse haben einen wesentlichen Einfluss auf das gesamte Leben. Diese Tatsache ist zwar bekannt, konnte inzwischen jedoch auch von Neurowissenschaftlern durch Gehirnstudien bestätigt werden.

Isabel Pérez-Otaño ist Forscherin am Institut für Neurowissenschaften UMH-CSIC in Alicante (Spanien). Sie hat sich eingehend mit dieser Thematik beschäftigt und konnte aufzeigen, dass Erfahrungen in der Kindheit langfristige Muster prägen, die sich auf das gesamte Leben auswirken.

Aus ihren Studien geht hervor, dass die Entwicklungsphase bis hin zur Adoleszenz für das Gehirn entscheidend ist. Besonders prägend sind jedoch Kindheitserlebnisse. Das Gehirn ist wie ein Computer ohne Software: Jede Erfahrung bedeutet ein neues Programm und dies beeinflusst unsere Kognition.

Dies ist derzeit eine der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen, denn so wie das sich entwickelnde Gehirn lernfähig ist, reagiert es auch viel empfindlicher auf negative Reize, die durch Misshandlung und Missbrauch in Abwesenheit von Pflege oder durch schlechte Ernährung entstehen können.

Isabel Pérez-Otaño

Kindheitserlebnisse verändern das Gehirn

Kindheitserlebnisse können das Gehirn verändern

Pérez-Otaño erklärt, dass die Neuroplastizität und die Fähigkeit zur Informationsverarbeitung wesentlich sind. Die Neuroplastizität, also die Fähigkeit des Gehirns, sich zu verändern und anzupassen, ist zwar das ganze Leben lang vorhanden, doch in der Kindheit und bis zur Pubertät besonders aktiv. Deshalb prägen (auch scheinbar unwichtige) Kindheitserlebnisse das Gehirn, das in den ersten Lebensjahren empfindlicher auf Veränderungen durch Erfahrungen reagiert.

Kinder kommen mit vielen synaptischen Verbindungen zur Welt. Viele weitere Nervenverbindungen bilden sich in frühem Alter und ändern sich bei neuen Erfahrungen. Wiederholte Erfahrungen erhalten und stärken das neuronale Netz. Synaptische Verbindungen verschwinden jedoch, wenn sie nicht gebraucht werden. Aus diesem Grund ist zwar die genetische Grundlage wichtig, aber auch die Umwelt. Darüber hinaus hat jede negative Erfahrung in den ersten Lebensjahren schädliche Auswirkungen auf die Persönlichkeit.

Schlechte Kindheitserlebnisse

Misshandlung, Missbrauch und teilweises oder vollständiges Verlassenwerden sind für jedes Kind äußerst negative Erfahrungen. Neurowissenschaftlich gesehen stehen sie für eine ständige Belastung durch Stress. Dies ist jedoch nicht unbedingt negativ, wenn es sich um ein konkretes Ereignis handelt. Denn damit kann das Kind Reaktionen entwickeln, um die Schwierigkeiten zu überwinden.

Wenn ein Kind jedoch wiederholt negative Kindheitserfahrungen macht, entstehen Muster, die es im Erwachsenenalter empfindlicher für Stress machen. Es wird auch weniger empathisch sein und schlechtere soziale Kompetenzen haben.

Pérez-Otaño testete ihre Theorie an Mäusen. Sie bestätigte, dass Stress und Entbehrung die Gehirne junger Mäuse negativ beeinflussen. Auch andere Studien kamen zu diesen Schlussfolgerungen.

Stress in der Kindheit und seine Auswirkungen auf das Gehirn

Forscher des National Center for Scientific Research (CNRS) und der Pierre und Marie Curie University führten eine Studie mit jungen Mäusen durch, die Stresssituationen ausgesetzt wurden. Sie brachten Nagetiere in eine Umgebung mit einem dominanten Aggressor und setzten die jüngsten Tiere dem Modell der sozialen Niederlage aus.

Die Forscher fanden heraus, dass die Mäuse, die dieser Situation ausgesetzt waren, chronische Angstzustände entwickelten. Sie zeigten auch eine erhöhte soziale Aversion. Diejenigen, die angegriffen wurden, mieden den sozialen Kontakt mit Gleichaltrigen. Außerdem entwickelten sie Depressionen.

Die Johns Hopkins University führte eine ähnliche Studie durch. Darin setzten Forscher heranwachsende Mäuse Dauerstress aus. Sie entdeckten, dass Stress die Expression eines bestimmten Gens beeinflusst, das mit psychischen Funktionen und psychiatrischen Erkrankungen in Verbindung steht. Folglich wurden die Mäuse anfälliger für die Entwicklung von Gehirnschädigungen.

Kindheitserlebnisse verändern das Gehirn

Diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass Kindheitserfahrungen entscheidend sind. Tatsächlich machen Stress und Entbehrung in den ersten Jahren eine Person anfälliger für psychische Störungen. Außerdem schränken sie ihre psychische Entwicklung ein.

Kinder und Jugendliche brauchen Erwachsene, die sie liebevoll annehmen und umarmen. Darüber hinaus brauchen sie Vorbilder und müssen sehen, dass ihre Fehler ein gesunder und normaler Teil ihrer Entwicklung sind. Missbrauch, Gleichgültigkeit oder Entfremdung hinterlassen Narben, die vielleicht nie verschwinden.


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  • Vega-Arce, M., & Núñez-Ulloa, G. (2017). Experiencias Adversas en la Infancia: Revisión de su impacto en niños de 0 a 5 años. Enfermería universitaria, 14(2), 124-130.


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