Journaling für innere Klarheit über deine Gefühle
Wenn du dich mit einer literarischen Gestalt identifizierst, hat es der Autor des Buches geschafft, mit seiner Beschreibung eines komplexen menschlichen Lebens (in dem auch ein Teil seiner selbst steckt) deine Gefühle anzusprechen und dich emotional zu fesseln. Du befindest dich an einem sicheren Ort, doch stellst eine Beziehung zu dieser Figur her, die dich in fremde Welten führt, die deine Seele berühren. Worte sind sehr mächtig, unabhängig davon, ob sie von einem bekannten Autor stammen, oder ob du selbst Journaling nur für dich allein praktizierst.
Wir laden dich heute ein, deine Gedankenwelt beim Schreiben zu ordnen, ein Tagebuch zu führen, um deine Emotionen besser zu verstehen.
Emotionen ohne Namen
Sprache definiert unsere Gedanken und Emotionen. So haben die Japaner beispielsweise ein Wort für das Verlangen, etwas im Mund zu haben: Kuchisabishii. Dieser Ausdruck bedeutet “einsamer Mund”, bezieht sich jedoch auf emotionalen Hunger, der unter anderem durch Stress oder Einsamkeit entsteht. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass unser Wortschatz nicht immer ausreichend ist, um unsere mentalen oder emotionalen Prozesse auszudrücken. Wir müssen auf Beschreibungen, Metaphern oder Visualisierungen zurückgreifen, um anderen klarzumachen, was wir fühlen.
Wenn du dir Zeit für Journaling nimmst, kannst du innere Klarheit über deine Gefühle erreichen, auch wenn dir manchmal die richtigen Worte fehlen. Gedanken und Gefühle zu Papier zu bringen, ist eine ausgezeichnete Übung, die dich zur Ruhe kommen lässt und dir hilft, deine Gedankenwelt zu ordnen.
Wir vereinen verschiedenste Persönlichkeiten in uns, jede einzelne reagiert in unterschiedlichen Situationen auf unterschiedliche Art und Weise. Bist du in der Lage, diese Identitäten, die du in dir vereinst, zu beschreiben, ihre Gefühle, ihre Wünsche und Erwartungen? Die Selbstbeobachtung ist eine ausgezeichnete Übung, um dich zu definieren, zu entdecken und die Überzeugungen jeder deiner Persönlichkeiten zu überprüfen. Beim Schreiben kannst du jeder Gestalt einen Namen geben, ihre Eigenschaften und Merkmale erkunden und dir Klarheit verschaffen.
Journaling ist wie ein Spiegel, in dem du dein Wesen auf der Reise zu dir selbst erkennst.
Journaling: Auf dem Weg zu dir selbst
Jeder kann schreiben. Und jeder kann davon profitieren. Du musst kein Schriftsteller sein und kein Buch veröffentlichen. Das Schreiben ermöglicht es dir, mit deinem Unterbewussten in Kontakt zu treten. Denke nicht lange nach, schreibe auf, was dir gerade einfällt.
Automatisches Schreiben
Mit dem Stift in der Hand schreibst du dich frei von Gedanken. Diese Methode nennt sich automatisches Schreiben. Sie wurde bereits 1889 von dem französischen Psychotherapeuten Pierre Janet genutzt, der seine Patienten in Trance schreiben ließ. Beginne damit, jeden Tag fünf Minuten lang automatisch zu schreiben, möglichst schnell und möglichst viel – was dir gerade einfällt. Es geht nicht um Rechtschreibregeln, sondern um deinen Gedankenfluss, den du zu Papier bringst. Es handelt sich um eine Art der Meditation, die du regelmäßig ausführen solltest.
Biografisches Schreiben
Auch das biografische Schreiben ist sehr hilfreich. Bestimme ein Thema oder ein Alter, über das du schreiben möchtest: “Als ich zehn Jahre alt war…” Schreibe alles auf, was dir in den Sinn kommt. Wie hast du dich zu diesem Zeitpunkt gefühlt? Was war deine Lieblingsbeschäftigung? Welche Personen waren wichtig in deinem Leben?… Du kannst mit dieser Übung verschiedene Lebensabschnitte integrieren, darüber nachdenken und dir selbst gegenüber ein tieferes Verständnis entwickeln. Möchtest du Distanz, verwendest du am besten die dritte Person. Entdecke die Grundlagen deiner eigenen Komplexität.
Morgenseiten
Die Schriftstellerin und Künstlerin Julia Cameron präsentiert in ihrem Buch Der Weg des Künstlers¹ eine weitere sehr wirksame Methode: die Morgenseiten. Gleich nach dem Aufwachen, solange du dich noch in einem halben Schlummerzustand befindest, beschreibst du drei DIN-A4 Seiten handschriftlich. Jeden Tag. Lasse deine Gedanken automatisch fließen, es gibt keine Regeln. Mit dieser Methoden entdeckst du verborgene Emotionen und Wünsche, die an die Oberfläche kommen. Du kannst dich dabei völlig frei fühlen, denn niemand wird diese Seiten lesen.
Von der Fiktion zur Realität
Schreiben zwingt dich, Ängste zu überwinden. Es ist anfangs nicht einfach, sich hinzusetzen und einfach loszuschreiben. Doch mach dir keine Sorgen: Nachdem du zehnmal denselben Satz geschrieben hast, wirst du beginnen, über diesen Satz nachzudenken und diese Gedanken aufzuschreiben. Weißt du nicht, wie beginnen, blickst du dich einfach im Raum um und schreibst die Namen von fünf Gegenständen auf das Papier. Woran erinnern dich diese Gegenstände? Was fühlst du beim Betrachten? Sind sie wichtig in deinem Leben? Lasse jetzt deinen Gedanken freies Spiel…
Wenn traumatische Erfahrungen deine Vergangenheit und Gegenwart prägen, empfehlen wir dir unbedingt eine Schreibtherapie, in der dir eine erfahrene Therapeutin oder ein Therapeut zur Seite steht.
Wenn du in der Grübelschleife gefangen bist, hilft dir das Schreiben, dich von den lästigen wiederkehrenden Gedanken zu befreien. Du kannst damit auch Stress abbauen und zur Ruhe kommen.
Literaturempfehlung
- Der Weg des Künstlers: Ein spiritueller Pfad zur Aktivierung unserer Kreativität, Julia Cameron, Knaur 2019
Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.
- Sánchez, J. N. G., & Redondo, R. F. (2004). El papel del autoconocimiento de los procesos psicológicos de la escritura en la calidad de las composiciones escritas. Revista de psicología general y aplicada: Revista de la Federación Española de Asociaciones de Psicología, 57(3), 281-298.
- Laborde Díaz, G. (2022). Enfoques acerca del uso de la escritura en el tratamiento terapéutico.
- de la Pascua Sánchez, M. J. (2014). La escritura privada y la representación de las emociones. BOLUFER, Mónica; BLUTRACH, Carolina y GOMIS, Juan: Educar los sentimientos y las costumbres. Una mirada desde la historia. Zaragoza, Institución Fernando el Católico, 81-108.