Japanische Morita-Therapie: Was ist das?

Zwei wichtige Aspekte in der Morita-Therapie sind die Akzeptanz aller Lebenserfahrungen und die Verbindung mit der Realität. Erfahre mehr über diese japanische Therapieform.
Japanische Morita-Therapie: Was ist das?

Geschrieben von Redaktionsteam

Letzte Aktualisierung: 30. Oktober 2023

Der japanische Nervenarzt Morita Shoma (1874 – 1938) entwickelte die Morita-Therapie in den frühen 1920-er Jahren zur Behandlung nervöser und zwanghafter Angststörungen. Heute werden damit auch andere psychosomatische Störungen therapiert. Es handelt sich um eine reaktionsorientierte Therapie, die auf den Wurzeln des Zen-Buddhismus gründet.

In der westlichen Kultur streben wir nach Glück, das wir durch positive emotionale Zustände zu erreichen versuchen. Die östliche Philosophie, die der Morita-Therapie zugrunde liegt, verfolgt jedoch einen anderen Ansatz: Alle Emotionen sind Teil der menschlichen Erfahrung, auch die negativen. Wir können ein erfülltes, authentisches Leben nur dann erreichen, wenn wir die Realität so schätzen, wie sie ist. Anstatt schwierige Gefühle zu verdrängen oder zu ignorieren, müssen wir sie erleben.

Die Morita-Therapie

Morita Shoma entwickelte diese stark strukturierte Therapie, nachdem er sich durch seine klinischen Beobachtungen bewusst wurde, dass sich die Symptome stationärer Patienten an trostlosen Orten verstärkten. Er stellte fest, dass sie in einer ruhigen, familiären Umgebung, mit Aktivitäten in der freien Natur sowie kreativen Beschäftigungen und Tagebuchschreiben, ihren Zustand schneller verbessern konnten.

Der japanische Psychiater war von der Wichtigkeit eines zielgerichteten Lebens überzeugt und warnte davor, die Behandlung nur auf die Symptome zu konzentrieren. Sein Ziel war es, seinen Patienten Erfahrungen zu vermitteln, die es ihnen ermöglichen, die Realität zu akzeptieren, anstatt mit ihren Emotionen dagegen anzukämpfen.

füße auf dem boden

Die wichtigsten Konzepte

Arugamama, die Akzeptanz aller Lebenserfahrungen

Der japanische Begriff Arugamama bedeutet die Akzeptanz des Lebens, so wie es ist. Wir sind oft unzufrieden und stellen uns ein schöneres, angenehmeres und glücklicheres Leben vor, entwickeln durch diese Erwartung jedoch Frustration. Das Leben ist nicht so, wie wir es gerne hätten, deshalb streben wir nach Verbesserungen, erreichen jedoch nie die Perfektion. Sobald wir etwas erreichen, möchten wir mehr oder anderes, haben neue Ziele und Vorstellungen, deshalb sind wir ständig unzufrieden mit unserem Leben.

Die idealisierte Zukunft

Das “glückliche Leben” unserer Vorstellungen ist in einer idealisierten Zukunft verankert, während wir in der Gegenwart unzufrieden sind und ständig auf Hindernisse stoßen. Dazu kommt, dass unsere Wünsche und Sehnsüchte oft weit von der Realität entfernt sind. Wir streben nach Gesundheit und einer langen Lebenserwartung, sind jedoch nicht dazu bereit, einen Lebensstil zu führen, der uns diesem Ziel näherbringt. Wir wünschen uns eine intakte Umwelt – sind wir  aber tatsächlich bereit für Einschränkungen und Verzicht?

Unser widersprüchliches Leben

Morita beschreibt die Widersprüchlichkeiten, die sich in unseren Gedanken und Handlungen widerspiegeln (Shiso no mujun): Wir stellen uns ein glückliches und erfülltes Leben vor, in dem unangenehme Gedanken und Gefühle keinen Platz haben. Der Psychiater weist jedoch darauf hin, dass wir unsere Handlungen trotz gegensätzlicher innerer Erfahrungen steuern können: Wir zwingen uns im Alltag häufig dazu, Dinge zu tun, die wir nicht mögen, passen unser Verhalten an Benimmregeln an oder überwinden unsere Angst, um bestimmte Dinge zu tun.

Wenn wir bereit sind, unsere Gefühle zu akzeptieren, können wir unser Handeln so steuern, dass sich dadurch unsere Gefühle verändern. Es geht darum, die unvermeidlichen Tatsachen zu akzeptieren: Widrigkeiten, Krankheiten und Tod sind Teil des Lebens. Arugamama bedeutet jedoch keinesfalls passive Resignation, denn natürlich gibt es auch viele Dinge, die wir aktiv verändern können. Und wir müssen uns genau auf diese veränderbaren Dinge konzentrieren.

Die Unterschiede zwischen Arugamama und Akzeptanz

Der subtile Unterschied zwischen Arugamama und Akzeptanz liegt darin, dass Akzeptanz eine intellektuelle Entscheidung ist: Wir entscheiden, ob wir unsere Gefühle akzeptieren oder nicht. Das japanische Konzept ist vielmehr auf einen Jetztzustand ausgerichtet, der die Realität ohne Werturteile akzeptiert, ein Zustand des Flusses, die erfahrungsbezogene Akzeptanz des Selbst. Arugamama gibt uns die Freiheit, authentisch zu sein, ohne uns von äußeren Ereignissen und Sorgen mitreißen zu lassen.

Arugamama bedeutet radikale Akzeptanz im Einklang mit der Natur und dem Leben, keinesfalls jedoch passive Resignation, denn wir können viele Dinge verändern.

Hakarai, Kontrolle oder Abwehr

Hakarai bezieht sich auf die Kontrolle oder Beseitigung unangenehmer Gefühle. Wir versuchen, uns von Traurigkeit oder Betrübtheit abzulenken. Morita weist jedoch darauf hin, dass das unmöglich ist, denn diese natürlichen Emotionen entziehen sich der menschlichen Kontrolle. Unsere Aufmerksamkeit bleibt auf unsere Sorgen, Ängste oder Befürchtungen gerichtet und führt zu einer vermehrten Selbstbeobachtung, was Morita als “psychische Interaktion” bezeichnet, die in einen Kreislauf führt.

japanische Landschaft

Die vier Stufen der Morita-Therapie

1. Isolation und Ruhe

Diese Phase dauert einige Tage lang. Die Patienten erholen sich durch Bettruhe und üben sich im Schweigen. Sie halten Innenschau, um sich mit sich selbst zu konfrontieren. Es gibt in dieser Zeit keine Besuche, keine Gespräche und keine ablenkenden Tätigkeiten, auch keine Musik oder Lektüre.

Die Gespräche mit dem Therapeuten, der einmal am Tag ins Zimmer kommt, werden auf ein Minimum beschränkt. Die Patienten werden dazu aufgefordert, Unannehmlichkeiten und Leid zu ertragen, ihre Gedanken schweifen zu lassen und Schmerzen und Ängste zu erleben. Ab dem vierten Tag empfinden die Patienten in der Regel einen Zustand der Langweile. Der Therapeut entscheidet dann, ob die Person für die nächste Phase bereit ist.

2. Leichte Arbeit

Die Person bleibt in ihrer Isolation, erhält jedoch einfache Arbeiten an der frischen Luft: Aufräumen, Unkraut jäten, Laubblätter sammeln… In dieser Phase beginnen die Patienten auch mit dem Schreiben eines Tagebuchs, das dem Therapeuten hilft, den Zustand der Person zu erkennen. Ablenkende Tätigkeiten sind jedoch tabu.

3. Intensive Arbeit

In der dritten Phase beginnen die Patienten mit intensiven körperlichen Tätigkeiten: Gartenarbeit, Kochen, Reinigungsarbeiten… Sie führen weiterhin ihr Tagebuch und können während ihrer Aufgabe mit anderen sprechen. Allerdings finden keine emotionalen Gespräche mit dem Therapeuten statt.

Die Patienten sollen ihre Selbstwahrnehmung verbessern und sich auf die Realität ihrer Umgebung konzentrieren, unabhängig von den Symptomen, die sie wahrnehmen. Sie lernen, Freude an ihren Tätigkeiten zu empfinden, wenn sie Ergebnisse erzielen.

4. Reintegration

Jetzt ist es an der Zeit, sich allmählich wieder in die Welt zu integrieren. Die Patienten müssen in der Lage sein, sich an äußere Veränderungen anzupassen. Sie müssen ihr Leben neu strukturieren und sich den Herausforderungen mit den gelernten Strategien stellen.

Morita-Therapie heute

Da nur wenige Menschen vier bis sechs Wochen für eine stationäre Therapie Zeit haben, wird die Morita-Therapie heute vielfach an die individuellen Bedürfnisse angepasst und ambulant durchgeführt.

Sie kommt unter anderem bei nervöser Erschöpfung, Ängsten, Depressionen, Zwangssymptomen oder Burn-out zum Einsatz. Das Hauptziel ist, das Bewusstsein und die Akzeptanz zu steigern, um den emotionalen Zustand zu verbessern und konstruktives Handeln zu fördern.

Lese-Tipps

  1. Morita Therapy and the True Nature of Anxiety-Based Disorders: Shinkeishitsu, Shoma Morita, State University of New York Press 1998
  2. A River to Live By: The 12 Life Principles of Morita Therapy, Dr. Brian Ogawa, Xlibris 2007
  3. Morita-Therapie für Heranwachsende, Nanako Okubo, Unser Wissen 2022

Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.