Hemineglect: Wenn die Hälfte deines Körpers aufhört zu existieren
Hast du schon einmal von Hemineglect gehört? Dies ist eine Störung, die bei Menschen mit einem Gehirnschaden auftreten kann. Vielleicht kannst du anhand des Wortstammes erraten, was der Begriff bedeutet. Allerdings gibt es viele verschiedene Arten des Hemineglects.
Die griechische Vorsilbe “hemi” bedeutet “die Hälfte von etwas”. In diesem Fall geht es darum, dass Betroffene nur die Hälfte sehen. Das Wort “neglect” stammt aus dem Englischen und bedeutet, etwas zu vernachlässigen, unaufmerksam zu sein. Im Zusammenhang mit Gehirnschäden meint der Begriff Hemineglect, dass die betroffenen Menschen eine Hälfte ihres Körpers nicht mehr wahrnehmen.
Genauer gesagt: Sie beachten keine Sinnesreize mehr, welche diese Seite des Körpers erreichen. Keine Töne, keine Berührungen, keine visuellen Reize. Die damit verbundenen motorischen Ausfälle können von einer teilweisen Lähmung (Hemiparese) bis zu einer totalen halbseitigen Lähmung (Hemiplegie) reichen.
Dabei ist die Körperseite betroffen, die der Hirnhemisphäre gegenüberliegt, die geschädigt ist. Der Hemineglect tritt häufiger bei einer Beschädigung der rechten Hemisphäre auf, wobei Betroffene die linke Hälfte ihres Körpers “ausblenden”.
Hemineglect und seine Macht, eine Seite verschwinden zu lassen
Es ist fast so, als könnten Betroffene nicht wahrnehmen, was auf dieser Seite ihres Körpers passiert. Es erscheint uns zwar seltsam, aber das ist das Gefühl, das sich einstellt, wenn wir mit einem Patienten mit Hemineglect sprechen oder ihn beobachten.
In Wirklichkeit können sie sehr wohl alle Sinnesreize um sich herum wahrnehmen. Das Problem liegt in ihrer Aufmerksamkeit. Menschen mit Hemineglect hören auf, eine Seite ihres Körpers zu beachten. Sie tun so, als würde diese Seite nicht existieren. Wenn sie aber ihre Aufmerksamkeit auf diese Körperhälfte lenken, dann können sie diese sehr gut erkennen. Egal, um welchen Sinnesreiz es sich handelt, sie können ihn sich bewusst machen.
Jemand mit einem rechtsseitigen Hemineglect hört auf, seine linke Körperhälfte zu beachten – ganz so, als würde diese nicht mehr existieren. Solche Menschen wenden sich niemals nach links und reagieren nicht auf irgendwelche Reize, welche von links kommen. Betroffene konzentrieren ihre Aufmerksamkeit stattdessen auf die rechte Seite, welche sie mit ihrer gesunden Hirnhälfte kontrollieren können: Wenn man solche Menschen von links anspricht, dann hören sie nicht darauf. Wenn man genau dasselbe zu ihnen sagt, aber von der rechten Seite her, dann reagieren sie völlig normal.
Kompensationsstrategien sind die wirksamste Behandlungsmethode für Hemineglect
“Oh, entschuldige, ich habe nicht mitbekommen, dass du da bist!“ Dies ist die häufigste Reaktion, die wir erhalten, wenn wir einen Patienten mit Hemineglect von der falschen Seite ansprechen. Aus diesem Grund arbeitet der behandelnde Neuropsychologe vorwiegend an der reduzierten Aufmerksamkeit des Betroffenen. Wie macht er das? Indem er dem Patienten hilft, seine Aufmerksamkeit bewusst auf die betroffene Körperseite zu lenken.
Wie oben erwähnt, kann dieser Behandlungsansatz dazu führen, dass die vernachlässigte Körperhälfte wieder “eingeblendet” wird. Dazu ist es jedoch häufig erforderlich, dem Patienten erst einmal bewusst zu machen, dass er ein Problem hat, weil der Hemineglect in vielen Fällen einhergeht mit einer Anosognosie, also der Unfähigkeit, das eigene Leiden zu erkennen.
Nur das entsprechende Bewusstsein ermöglicht es ihm, sein Defizit zu kompensieren und sich selbst zu helfen, wenn er nicht findet, wonach er sucht. Denn das, was er nicht finden kann, befindet sich vielleicht auf seiner linken Seite. Wenn er sich bewusst ist, dass er an einem Hemineglect leidet, wird er sich dazu zwingen, auf der linken Seite nachzuschauen.