Gesichtsblindheit: Ich sehe dich und ich kenne dich, doch ich erkenne dein Gesicht nicht
Die Gesichtsblindheit ist eine seltene Krankheit, die zur Zeit 2,5% der Weltbevölkerung betrifft. Ein paar sehr bekannte Menschen, wie der Schauspieler Brad Pitt, der Mitgründer von Apple Steve Wozniak und der Neurologe Oliver Sacks, der kürzlich verstorben ist, sind von der Gesichtsblindheit betroffen. Menschen mit dieser Erkrankung sind nicht in der Lage, Gesichter wiederzuerkennen, ihr eigenes Gesicht einbegriffen. Hast du jemals darüber nachgedacht, wie dein Leben aussehen würde, wenn du gesichtblind bist?
Stell dir vor, dass du den Hund spazieren führst, und du dabei deiner besten Freundin begegnest, ihr aber nicht „Hallo“ sagst, weil du nicht weißt, wer sie ist. Und stell dir vor, wie es ist, deinen Kindern Gute Nacht zu sagen, ohne ihre Gesichter zu erkennen. Oder wie es ist, zur Arbeit zu gehen und deine Kollegen erscheinen dir wie komplette Fremde.
Für jemanden, der die Gesichtsblindheit hat, ist der Tag kompliziert. Und eigentlich sind sich die Menschen, die von der Krankheit betroffen sind, oft nicht bewusst, dass sie daran erkrankt sind.
Wer bist du? Und wer bin ich?
Diese Krankheit hindert uns nicht nur daran, die Gesichter der engen Familie, Freunde und Bekannten zu erkennen. Sie kann sogar die Identifikation des emotionalen Ausdrucks und des Geschlechts betreffen. Alle Gesichter sehen gleich aus, ohne Unterschiede.
Deswegen könnte sich eine Person im Personenkreis eines Menschen mit einer Gesichtsblindheit von ihr verletzt fühlen. Sie haben so viele Erfahrungen miteinander geteilt, und nun kann er sie nicht mehr erkennen. Tatsächlich hat der Schauspieler Brad Pitt so etwas erzählt. Er erzählte, dass wegen seiner Krankheit ihn Menschen, die ihm nahestehen, als egozentrisch und arrogant bezeichnen.
In den ernstesten Fällen ist die Person nicht einmal in der Lage, sich selbst im Spiegel oder in einem Gruppenfoto zu erkennen. Dies kann sehr negative Konsequenzen haben. Nicht nur in zwischenmenschlichen Beziehungen, sondern auch auf der Arbeit. Es kann das Selbstwertgefühl betreffen, und sogar eine Depression hervorrufen.
Manche glauben, dass es ein Gedächtnisproblem ist
Die Gesichtsblindheit wird in der Fachsprache als Prosopagnosie bezeichnet. Der Begriff stammt aus dem Griechischen prospon (Gesicht) und agnosia (Nichterkennen). Menschen, die daran leiden, haben ein sehr gutes Vorstellungsvermögen. Sie können sich an die meisten Objekte ziemlich gut erinnern und sie erkennen. Deswegen wissen sie, wie jede gesunde Person, wer ihre Eltern sind, was die Lieblingsfarbe ihrer Kinder ist, was ihr Partner mag und was nicht, was sie gestern gegessen haben, oder wie gut ihr Mitbewohner singt.
Obwohl die Gehirngebiete, die Gesichter verarbeiten, in einer konstanten Interaktion mit den neuronalen Netzwerken des Gedächtnisses stehen, ist es per se kein Erinnerungsproblem. Es ist eher eine Krankheit, die speziell auf Gesichter gerichtet ist.
Wir nehmen ein allgemeines Muster von Gesichtern wahr
Bevor wir lernen zu sprechen, oder zu brabbeln, nehmen Babys instinktiv Gesichter wahr. Bis sie vier Monate alt sind, verarbeiten sie Gesichter in einer genau bestimmten Art und Weise. Dies passiert, weil Gesichter extrem informativ sind. Gesichter reflektieren Emotionen, Gefühle, Identität, Geschlecht, und ethnische Zugehörigkeit.
Eine Person mit einer Gesichtsblindheit kann verschiedene Teile des Gesichts (Nase, Augen, Mund, etc.) identifizieren. Doch sie ist nicht dazu in der Lage, sich an ihre genaue Lokalisation im Gesicht zu erinnern. Sie kann auch nicht komplette Gesichtsstrukturen zusammenfügen. Außerdem können sie Gesichtsmerkmale nicht in ein einzigartiges Muster an Eigenschaften umwandeln. Sie können Gesichtsmerkmale nicht mit der Identität einer Person assoziieren.
Dies passiert, weil Gesichter zusammen verarbeitet werden, und nicht in Teilen. Das heißt, wir können jemanden nicht nur durch ihre Augen oder ihren Mund identifizieren. Weil wir so viele Informationen von einem Gesicht erhalten, sind wir dazu in der Lage, alles gleichzeitig aufzunehmen, und ein allgemeines Muster eines Gesichts zu entwerfen.
Die Lösung ist, zusammenhangsbezogene Anhaltspunkte zu nutzen
Die Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen, ist das Merkmal der Gesichtsblindheit, welches am meisten hervorsticht. Dennoch können Betroffene in manchen Fällen die Menschen erkennen, die ihnen nahe stehen. Sie können es tun, solange die Gesichter aus der Masse aufgrund spezieller Merkmale hervorstechen.
Auf diese Weise nutzen sie verschiedene zusammenhangsbezogene Anhaltspunkte, um potentiell unangenehme Situationen zu entspannen. Sie können erschließen, wen sie vor sich haben, indem sie ein paar charakteristische Details der Person wahrnehmen. Ein paar Beispiele sind das Wahrnehmen der Haarfarbe, oder der Brille, oder die Art, wie jemand geht. Andere Anhaltspunkte sind die Hautfarbe, einzigartige Narben, Leberflecke oder die Stimmqualität.
Je auffälliger das Merkmal ist, desto schneller und einfacher wird es sein, es zu identifizieren. Sehr dicke Augenbrauen, Ohren, die weit auseinander stehen, eine neongrüne Brille, ein stark riechendes Parfüm, etc. All diese Merkmale können einer Person mit einer Gesichtsblindheit dabei helfen, diejenigen um sie herum zu identifizieren.
Wurdest du mit einer Gesichtsblindheit geboren?
Diese Krankheit kann bereits bei der Geburt vorhanden sein. Sie kann angeboren sein, und von Generation zu Generation weitergegeben werden, obwohl dies nicht üblich ist. In der Mehrheit der Fälle löst ein Hirnschaden in beiden Hemisphären die Krankheit aus. Dies kann ein Ergebnis eines Schlaganfalls oder eines Hirntumors sein. Weniger oft ist es ein Ergebnis eines kranioencephalischen Traumas oder einer Infektion, wie die Enzephalitis, die das zentrale Nervensystem betrifft.
Das Wahrnehmen von Gesichtern erfordert kognitive Prozesse in verschiedenen Gebieten und Hirnstrukturen. Jedoch gibt es eine Region im Gehirn, die speziell dafür verantwortlich ist, Gesichtsmerkmale zu erkennen: die Fusiform Face Area (FFA). Diese befindet sich im Temporallappen des Gyrus fusiformis.
Welche Behandlungsarten gibt es?
Es gibt keine effektive Behandlung für die Gesichtsblindheit. Nichtsdestotrotz können Ärzte ihren Patienten beibringen, zusammenhangsbezogene Anhaltspunkte zu nutzen. Experten empfehlen auch, dass die Menschen um sie herum ihren Alltag so einfach, wie möglich gestalten. Zum Beispiel den Namen von jedem zu nennen, der anwesend ist, und große Mengen und Parties, oder Filme, die zu viele Charaktere haben, zu vermeiden.
Nun kennst du ein wenig mehr über diese kaum bekannte Krankheit. Sie betrifft ziemlich wenige Menschen und macht sie gegenüber Gesichtern blind. Was denkst du darüber?