Focusing: Ein Weg zur Selbsthilfe durch Erfahrungstherapie

Die Erfahrungstherapie von Eugene Gendlin ermöglicht es, Probleme zu erkennen, zu verstehen und zu verändern.
Focusing: Ein Weg zur Selbsthilfe durch Erfahrungstherapie

Geschrieben von Redaktionsteam

Letzte Aktualisierung: 07. April 2024

Die Bezeichnung “Focusing-Oriented Psychotherapy” wurde von dem österreichisch-amerikanischen Philosophen Eugene Gendlin geprägt, der eng mit dem amerikanischen Psychologen Carl Rogers zusammenarbeitete. Heute wird diese Erfahrungstherapie kurz als “Focusing” bezeichnet – ein humanistischer Ansatz, der Instrumente zur Selbsthilfe bereitstellt.

Die Wurzeln dieser Therapie reichen auf verschiedene psychologische und philosophische Ansätze zurück, die Eugene Gendlin über mehrere Jahre hinweg zusammenführte. Durch die Zusammenarbeit mit Carl Rogers konnte dieser therapeutische Ansatz weiterentwickelt und gefestigt werden. Diese Therapie hilft, Erfahrungen und Emotionen, die dem therapeutischen Prozess zugrunde liegen, zu erforschen und zugänglich zu machen. Erfahre mehr darüber!

Focusing, die Erfahrungstherapie von Eugene Gendlin

Eugene Gendlin erkannte, dass Klienten erfolgreicher waren, wenn sie aus ihren Gefühlen heraus (Prozess) sprachen, anstatt über sie (Inhalt). Basierend auf dieser Erkenntnis entwickelte er den fokussierenden Ansatz, der auf der klientenzentrierten Therapie von Rogers, dem Existenzialismus und der Phänomenologie aufbaut.

Dieser Ansatz beruht auf einem Verständnis der unmittelbaren menschlichen Erfahrung. Es geht darum, aktiv an der Erforschung d er aktuellen Schwierigkeiten, Ressourcen und Blockaden zu arbeiten. Der Therapeut unterstützt diesen Prozess, indem er die Suche nach Ganzheit und persönlichem Wachstum im Lebenszyklus erleichtert.

Diese Methoden sind stark in der Lebenserfahrung verwurzelt und beziehen sich auf aktuelle Ereignisse in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie beinhalten sogar die aktuelle Beziehung zum Therapeuten selbst.

Wenn wir von Erfahrung sprechen, geht es nicht nur um Fakten, sondern auch um die Erkundung unserer Innenwelt und den Ausdruck von Emotionen. Ein humanistischer Psychologe, der eine Erfahrungstherapie durchführt, könnte den Klienten beispielsweise auffordern, eine Minute lang bei seinem Schmerz und seiner Traurigkeit zu verweilen und zu fühlen, wie das ist.

Laut einem Artikel in der Zeitschrift Revista de Psicoterapia handelt es sich hierbei um eine direktive Technik, da sie einem festgelegten Prozess folgt. Sie ist jedoch nicht autoritär und konzentriert sich auf Emotionen, ohne systematisch zu sein.

Was bedeutet “erfahrungsorientiert”?

An diesem Punkt ist es wichtig, das Körperbewusstsein zu betonen. Der Körper fungiert als Bindeglied zwischen uns und der Welt sowie den Ereignissen des täglichen Lebens. Die Erfahrung wird nicht nur erzählt, der Therapieraum lädt dazu ein, Freude, Traurigkeit, Ekel, Wut und andere Gefühle unmittelbar zu erleben.

“Der Mensch ist nicht die Summe aus Verstand und Körper, er ist verkörpertes Bewusstsein.”

Merleau-Ponty

In der Erfahrungstherapie sind Körper und Geist untrennbar miteinander verbunden und beide erleben Emotionen. Es geht nicht nur darum, über erlebte Situationen zu sprechen, sondern auch darum, diese Emotionen gemeinsam mit dem Therapeuten zu erfahren. Die Klientin oder der Klient symbolisiert die Erfahrung, die bei jedem einzigartig und individuell ist. Diese Dynamik ermöglicht es, die verborgenen Bedeutungen zu erkennen, die auftauchen können, wenn wir unserem Körper Aufmerksamkeit schenken. Er spricht zu uns.

Ein Beispiel hierfür wäre, wenn eine Person eine Erfahrung macht und dann sagt: “Das ist der größte Schmerz, das ist meine größte Traurigkeit.” Dies ist ein Teil dessen, was ihr durch den Kopf geht, aber die Körpererfahrung kann durch ein großes leeres Gefühl im Magen, einen Kloß im Hals und den intensiven Wunsch zu weinen dargestellt werden. In diesem Beispiel reagieren Körper und Geist als Ganzes auf die Erfahrung. Daher sprechen wir von “verkörpertem Bewusstsein”.

Die Bedeutung des Körpers

Die erfahrungsorientierte Therapie bemüht sich, die Dichotomie zwischen Körper und Geist zu überwinden. Nach diesem Ansatz ist der Körper nicht nur ein Werkzeug, mit dem wir handeln, genießen und erschaffen können. Stattdessen wird vorgeschlagen, das Konzept “einen Körper haben” aufzugeben und anzuerkennen, dass “wir ein Körper sind”.

Der Körper als Ganzes ermöglicht es uns, Gefühle zu empfinden. Im therapeutischen Prozess geht es beim “Felt Sense” um die Wechselwirkung zwischen Körperempfindungen, Gefühlen, affektiver Tonalität und Bedeutungen. Wenn Menschen dazu in der Lage sind, geschieht, was Gendlin als “in Kontakt mit dem Fluss der Erfahrungen kommen” bezeichnet. Erfahrung ist demnach nicht nur kognitiv, emotional oder körperlich.

Prinzipien der Erfahrung

Gendlin beschreibt folgende vier Grundprinzipien der Erfahrungstherapie:

1. Erfahrung

Jeder Mensch hat eine einzigartige Erfahrung, die nicht voreingenommen ist. Starre Definitionen, die die Erfahrung charakterisieren, werden als ungültig angesehen. Die Psychologin oder der Psychologe begleitet die Erfahrung, ohne sie zu klassifizieren oder mit Etiketten zu versehen.

2. Authentizität

Authentizität ist die Fähigkeit, als Mensch weiterzugeben, was in der Gegenwart gelebt wird, wobei Vergangenheit und zukünftige Geschichte nebeneinander existieren. Menschen entwickeln Elemente, um ihr Potenzial auszuschöpfen.

3. Kontinuität

Menschen erleben Erfahrungen kontinuierlich in ihrer Lebensgeschichte. Eine Erfahrung steht nicht isoliert, sondern hat Auswirkungen auf die Vergangenheit und die Zukunft. Therapeutische Erfahrungen haben einen Zweck und sind nicht immer entwicklungsfördernd oder förderlich für das Wohlbefinden.

4. Interaktion

Erfahrungen entstehen durch Interaktion mit anderen und der Umwelt sowie mit dem Inneren: Empfindungen, Gefühle und Gedanken. Interaktion bedeutet, dass kognitive, emotionale und körperliche Aspekte in einem undifferenzierten Moment verschmelzen; es ist das Gefühl der Resonanz mit einem anderen, das die Erfahrung begleitet.

Ein wirksamer Ansatz

Die Erfahrungstherapiee bietet eine vielseitige Möglichkeit, in verschiedenen Kontexten mit unterschiedlichen Zielen zu arbeiten. Als therapeutischer Ansatz ermöglicht sie das Erkennen, Verstehen und Verändern von Problemen und Spannungen.

Dieser Ansatz fördert das persönliche Wachstum, indem das Selbstbewusstsein erhöht und die Körperempfindungen verstärkt werden. In einer explorativen Studie, die in der Zeitschrift Psychotherapy veröffentlicht wurde, konnten bei der Behandlung von generalisierten Angststörungen vielversprechende Ergebnisse erzielt werden.

Die Erfahrungstherapie ist auch zur Behandlung von Depressionen geeignet. Sie greift auf maladaptive emotionale Schemata zu und verändert jene, die als Ursache für Depressionen gelten. Dabei werden diese maladaptiven Emotionen transformiert: Die Person wird auf angemessene adaptive Reaktionen vorbereitet.

Die Verbindung von Emotionen und Körperempfindungen unterstützt die Bewältigung schwieriger Erlebnisse. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass wie jeder therapeutische Ansatz auch die Erfahrungstherapie unter der Aufsicht einer Fachkraft stattfinden sollte. Nur eine erfahrene, entsprechend ausgebildete Person kann bestimmen, wie nützlich dieses Modell je nach den individuellen Eigenschaften und der Situation des Patienten sein kann.


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