Fibromyalgie – nicht nur körperlicher Schmerz

Fibromyalgie – nicht nur körperlicher Schmerz
Maria Fabregat Giribet

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Maria Fabregat Giribet.

Letzte Aktualisierung: 12. Juli 2023

Antonia ist eine 52-jährige Frau. Sie scheint ihr Leben zu leben, ohne an ihre Grenzen zu stoßen: Sie arbeitet in einem Gasthaus, wo sie den Garten pflegt, und kümmert sich um ihr eigenes Zuhause. Sie ist eine nette Person, sie spricht regelmäßig mit ihren Freunden und Nachbarn, hat immer mit einem Lächeln im Gesicht. Sie beschwert sich fast nie, denn sie muss weitermachen, egal, wie sie sich fühlt. Doch nur sie weiß um das Opfer, welches sie jeden Tag bringen muss, um diesen Eindruck aufrechtzuerhalten. Sie fühlt Schmerzen in ihrem Körper, mal an bestimmten Stellen und mal überall. Es fällt ihr schwer, morgens aufzustehen, denn sie schläft nachts nicht gut. Manchmal hat sie so enorme Schmerzen, dass sie das Geschirr nicht zu Ende spülen kann. Sie weicht es dann ein und macht später weiter. Zu anderen Zeiten fühlt sie sich, als rammt ihr jemand ein Messer im Rücken …

Menschen wie Antonia, die anhaltenden Schmerz ohne ersichtlichen Grund verspüren, leiden vielleicht an Fibromyalgie. Es ist sehr schwer, Fibromyalgie zu erkennen, denn die Symptome sind nicht eindeutig und vor allem nicht messbar. Es mag so aussehen, als ob Betroffene ihren Schmerz nur erfinden oder sich ohne Grund beschweren – und Ausreden erfinden, um die Dinge, die sie tun müssen, nicht zu tun. Aber das ist nicht wahr. Ihr Schmerz ist real und sie leiden.

Was ist Fibromyalgie?

Es ist wirklich schwierig, Fibromyalgie als Erkrankung zu beschreiben. Tatsächlich wurde bislang keine spezifische biologische oder psychologische Ursache gefunden, die den Schmerz erklären könnte. Deshalb sprechen Experten zuweilen nicht von einer Krankheit, sondern von einem Syndrom. Fibromyalgie heißt vor allem:

  • Chronischer Schmerz in Muskeln und Bindegewebe, vor allem in Bändern und Sehnen
  • Überempfindlichkeit gegenüber Schmerz, d. h. dass das Gehirn auf Schmerzreize derart reagiert, als wären diese viel größer als sie es tatsächlich sind. Sogar dann, wenn der Stimulus, der den Schmerz hervorruft, gar nicht mehr existiert, bleibt der Schmerz.

Außer dem Schmerz gibt es für gewöhnlich weitere Symptome, nämlich Schlafstörungen und Müdigkeit, mangelnde Konzentration, psychische Symptome wie Depression oder Angststörungen, Kribbeln in den Gliedmaßen.

Fibromyalgie ist dabei mehr als eine Erkrankung der Muskeln. Studien zeigen, dass bei Betroffenen eine Störung im zentralen Nervensystem vorliegt, im Gehirn. Auch könnten die Symptome durch einen Mangel schmerzstillender Substanzen im Blut bedingt sein, d.h. durch einen Mangel an endogenen Opioden, und durch Dysbalancen bei den Neurotransmittern, die mit der Schmerzwahrnehmung verknüpft sind, also vor allem Serotonin, Noradrenalin und Dopamin.

Es ist wichtig, hervorzuheben, dass die Fibromyalgie keine degenerative Krankheit ist. Sie zerstört Muskeln, Gelenke und Knochen nicht und verursacht keine irreversiblen Läsionen oder Deformationen. Darum können wir den Mythos auflösen, dass die Krankheit zu ernsthaften Mobilitätsproblemen führen könne, die einen Rollstuhl erforderlich machten.

Frau mit Schulterschmerzen

Antonia, wie so viele andere Menschen, wusste nicht, was ihren langanhaltenden Schmerz verursachte. Also wand sie sich an viele Ärzte, um Ursachen und Linderung zu finden. Sie fühlte sich hoffnungslos, bis bei ihr Fibromyalgie diagnostiziert wurde. D amit war ihre Leidensgeschichte nicht zu Ende, aber sie bekam einen Namen. Es war sehr schwer für sie, zu akzeptieren, dass ihr Schmerz chronisch ist und sie während ihres ganzen Lebens begleiten würde.

So wurde ein ignorierter Schmerz benannt und erhielt eine Stimme. Die Anerkennung der Fibromyalgie als reales Leiden ist wichtiger Schritt für alle Patienten mit Fibromyalgie, um sich weniger allein zu fühlen und besser mit der Krankheit umgehen zu können.

Für die Diagnose der Fibromyalgie sind folgende Kriterien zu erfüllen:

  • Der Schmerz tritt über mehr als drei aufeinanderfolgende Monate an mindestens 11/13 sensiblen Punkten auf, insbesondere in Nacken und Rücken, in Gelenken wie Ellenbogen und Knie).
  • Darüber hinaus gibt es keine andere klinische Erklärung für die Symptome.

Leider gibt es keine medikamentöse Behandlung, mit der der durch Fibromyalgie hervorgerufene Schmerz gelindert werden könnte. Entzündungshemmende Medikamente sind lindern den Schmerz kurzfristig, haben aber mitunter schwere Nebenwirkungen, wenn sie über längere Zeit regelmäßig genommen werden.

Obwohl die Ursache der Fibromyalgie nicht bekannt ist und eine kausale Therapie nicht verfügbar ist, gibt es Wege, um mehr Lebensqualität zu erlangen. Die betroffene Person kann von lernen, sich so um sich selbst zu sorgen, dass sich der Schmerz nicht verschlimmert. Die Idee ist es, ihn auf dem gleichen Level zu halten oder ihn zu reduzieren. Veränderung ist möglich.

Ist es okay, aktiv zu bleiben, oder ist Schonung besser?

Die meisten Menschen mit Fibromyalgie haben das Bedürfnis, aktiv zu bleiben und wenige Pausen zu machen. So sehr, dass es vorkommen kann, dass sie sich extrem erschöpfen und sich dann für Stunden oder sogar Tage ausruhen müssen, da ihr Schmerz so schlimm ist, dass sie sich nicht mehr bewegen können. Es ist daher besser, sich nicht dauernd zu bewegen – aber auch nicht dauernd zu ruhen.

Es ist essenziell, eine Balance zu finden, die von Person zu Person verschieden ist. Menschen mit Fibromyalgie müssen lernen, ihren Rhythmus aus Aktivität und Pausen zu finden. Dazu empfehlen wir zunächst, den Körper zu beobachten und auf ihn zu hören. Der Schmerz sollte nicht extrem werden: Patienten müssen lernen, zu erkennen, dass ihr Schmerz ein bestimmtes Maß erreicht hat, und sich dann erlauben, eine Pause einzulegen. Dies wird verhindern, dass der Schmerz und die Erschöpfung ein kritisches Level erreichen – sonst fühlen sie sich, als ob sie gar nichts tun könnten, und sehen sich dazu gezwungen, zu pausieren.

Auch wenn mehr Zeit dazu genutzt werden sollte, sich zu entspannen, wird empfohlen, dass mindestens einmal am Tag eine moderat intensive körperliche Aktivität ausgeführt werden sollte.

Pausen plus Aktivität

Wir wollen Probleme verhindern, die mit Nichtaktivität einhergehen. Keinerlei körperliche Bewegung könnte den Schmerz, die Abgeschlagenheit und Steifheit verschlimmern – nicht nur physisch, sondern auch psychisch.

„Die Art, sich zu entspannen, ist die Kunst, zu arbeiten.“

John Steinbeck

Frau mit Schmerzen im Handgelenk

Mehr Pausen einzulegen, um zu verhindern, dass der Schmerz ein extremes Level erreicht, bedeutet, die eigenen Erwartungen zurückzuschrauben. Es bedeutet, nicht zu versuchen, eine exzessive Menge an Arbeit an einem einzelnen Tag zu erledigen. Voraussetzung dafür ist es, sich erreichbare Ziele zu setzen und große Aufgaben in kleinere Portionen zu zerlegen.

Auch ist es gut, zu lernen, flexibler und weniger fordernd sich selbst gegenüber zu sein: Gibt es beispielsweise einen Tag, an dem du nicht alles schaffst, was du dir vorgenommen hast, weil du zu viele Schmerzen hast, dann quäle oder bestrafe dich nicht selbst dafür. Du wirst dich dadurch nur noch schlechter fühlen.

Bei Fibromyalgie Schmerz lindern: Kann eine psychologische Behandlung helfen?

Es wurde festgestellt, dass ein besserer Umgang den eigenen Emotionen und Akzeptanz im sozialen Umfeld helfen, den körperlichen Schmerz zu lindern. So erlaubt eine Psychotherapie Menschen mit Fibromyalgie, ein besseres Leben zu führen und Verbesserungen unter anderem in folgenden Bereichen zu sehen:

  • Schmerz akzeptieren und mit ihm leben
  • Emotionen zum Ausdruck bringen
  • Schlafqualität verbessern
  • Beziehungen zu anderen verbessern

Menschen mit Fibromyalgie tendieren generell dazu, anderen mehr als sich selbst zu helfen. Sie müssen dann lernen, nein zu sagen. Natürlich ist es gut, anderen zu helfen, aber es muss Grenzen haben, sodass Betroffene nicht anfangen, sich selbst zu vernachlässigen. Eine psychologische Behandlung kann in solchen Fällen darauf ausgelegt sein, zu vermitteln, wie man auf sich selbst achtet und sich selbst respektiert.

Aber, wie so oft, ist dies leichter gesagt als getan. Manchmal wissen Betroffene, dass ihnen eine Pause guttun würde. Das Problem ist, dass Menschen mit Fibromyalgie es meist nicht gewohnt sind, sich auszuruhen, und wenn sie es tun, dann fühlen sie sich schuldig. Sie verspüren das Bedürfnis, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Darum müssen sie lernen, Zeit mit sich selbst zu verbringen, ohne sich dabei schlecht zu fühlen.

Fibromyalgie und Identität

Auch wenn Pausen einen klaren Zweck erfüllen, stellen sie für Menschen mit Fibromyalgie ihre Identität infrage. Sie reduzieren ihr Selbstwertgefühl. In der Regel betrachten sich Menschen mit Fibromyalgie als hart arbeitende und großzügige Personen und nehmen sich eher als faul und egoistisch wahr, wenn sie ihre Verpflichtungen ignorieren.

Laut Die Psychologie der persönlichen Konstrukte  von George A. Kelly stünden einige „Konstrukte“ (Beschreibungen) mit „Dilemmata“ (Hindernisse) in Verbindung, die zum Hindernis werden, wenn es darum geht, Veränderungen einzulätuen. Zum Beispiel das großzügige versus das selbstsüchtige Konstrukt.

Darum kann es ein Ziel der Psychotherapie sein, ihnen zu helfen, zu realisieren, dass sich auszuruhen oder um Hilfe zu fragen nicht bedeutet, weniger wert zu sein.

Es ist wichtig, dass die Veränderungen mit ihrer Identität vereinbar sind, sodass sie arbeiten können.

Frau mit gesenktem Kopf

Wie können Betroffene noch auf sich achten?

Scheinbar ist der Schmerz der Fibromyalgie unkontrollierbar und unvorhersehbar. Als könne nichts helfen. Der Kontrollschrankentheorie zufolge können bestimmte Situationen die Schleusen jedoch öffnen und schließen.

  • Beispielsweise wurde festgestellt, dass viele Menschen mit Fibromyalgie weniger Schmerz verspüren, wenn sie entspannter und abgelenkt sind, im Beisein von Freunden und Familie.
  • Auf der anderen Seite gibt es Situationen, die den Schmerz verstärken: Anspannung, Stress, Sorge. Nach der Arbeit etwa, oder nach exzessiver sportlicher Betätigung oder bei einem Streit.

Betroffene sind sich nicht immer bewusst, dass diese Situationen einen Einfluss auf die Wahrnehmung des Schmerzes haben. Wird ein solches Bewusstsein geschaffen, wäre der nächste Schritt, eben diese Faktoren zu reduzieren, die den Schmerz vergrößern, und jene zu fördern, die ihn verringern. Dies ist leicht gesagt, aber schwer für Menschen, die sich ein Leben lang aufgeopfert haben, was sie oft mehr quälte als die eigentliche Krankheit.

„Wenn der Schmerz exzessiv ist und du ihm allein begegnen musst, ist er zerstörerisch. Falls die Person sich mit anderen verbindet und den Schmerz mit Worten ausdrückt, wird er zu einer Erfahrung des Wachstums. Schmerz zu teilen und zu akzeptieren ist eine Möglichkeit, zu wachsen.“

Luigi Cancrini


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.