Familienmythen und ihre Auswirkungen
Familienmythen sind fiktive Überzeugungen und Hoffnungen, die von der gesamten Familie geteilt werden. Diese Überzeugungen beziehen sich direkt auf die jeweilige Familie und sind Teil der Bande, die diese Familie zusammenhalten. Die Mythen werden für wahr erachtet und bestimmen sowohl das individuelle als auch das kollektive Gruppenverhalten. Sie bestimmen auch die Rollen der einzelnen Familienmitglieder.
Die häufigste Art von Familienmythen sind “vorbewusst”. Mit anderen Worten könnte man sagen, dass sie sich an der Grenze zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten befinden. Während die Familie zwar zugibt, bestimmte Überzeugungen zu haben, ist das Ausmaß dieser Überzeugungen allerdings nicht klar. Auch weiß man nicht, warum diese Vorstellungen als gültig erachtet werden.
Obwohl Familienmythen als fiktiv definiert werden, steckt in Wahrheit fast immer eine schmerzhafte oder unerträgliche Wahrheit hinter diesen Überzeugungen. Im Allgemeinen finden sich die Hinweise auf diese Mythen in geheimen oder implizierten familiären Regeln, die jede Familiengruppe aufstellt.
Die charakteristischen Merkmale von Familienmythen
Ein vorrangiges Merkmal von Familienmythen ist, dass den einzelnen Familienmitgliedern dabei Rollen zugewiesen werden. Anhand dieser Überzeugungen wird zum Beispiel festgelegt, wer das “schwarze Schaf” oder das “Vorbild” ist. Häufig gibt es starke Widerstände, wenn die Rollen verändert werden sollen. Das kann sogar zu einem Tabuthema werden.
Weitere Merkmale von Familienmythen sind:
- Sie prägen die innerfamiliären Beziehungen.
- Sie stellen das Selbstbild der Familie dar.
- Jeder Versuch, Überzeugungen zu ändern, stößt auf starken Widerstand.
- Ihre Rolle besteht darin, eine Realität zu überdecken, die die Familie nicht akzeptieren will.
- Es liegt immer ein Körnchen Wahrheit darin.
- Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben.
- Alle Familien haben Familienmythen – in kleinerem oder größerem Ausmaß.
- Sie stehen für die Auffassung von Lebensart und Lebensstil der jeweiligen Familie.
Familienmythen lassen sich in drei grundlegende Kategorien aufteilen. Es geht dabei um Harmonie, Entschuldigung mit Wiedergutmachung, und Erlösung. Schauen wir uns diese Kategorien einmal näher an.
Harmonie-Mythen
Harmonie-Mythen passen zu Familien, die ein idyllisches Bild von sich selbst aufbauen. Sie entwickeln eine ganze Reihe von Verhaltensweisen, um sich selbst zu überzeugen, dass es zwischen allen Familienmitgliedern eine ausgeglichene, einheitliche Verbindung gibt. Diese Mythen erzeugen ein Bild, bei dem es so aussieht, als gäbe es in dieser Familie keine Probleme.
Im Allgemeinen generiert diese Art von Familie dieses Bild für ihre Außenwirkung. Vielleicht sollen Schuldgefühle überdeckt oder die perfekte Harmonie abgebildet werden, um einem genaueren Blick oder den Urteilen anderer aus dem Weg zu gehen. Jedoch treten in diesen Familien häufig Depressionen oder Langeweile sowie starke, ungelöste Feindseligkeiten auf.
Familienmythen der Entschuldigung und Wiedergutmachung
Diese Mythen sind etwas komplexer, weil es dabei um tiefere Themen geht. In diesem Fall wird die Verantwortung für familiäre Probleme oder ein Unglück einem Familienmitglied oder mehreren Personen innerhalb der Familie zugeschoben. Die davon Betroffenen können noch am Leben oder bereits verstorben sein. Manchmal gibt die Familie einer Person die Schuld, die außerhalb des Familienverbunds steht, aber eng mit diesem verwandt ist.
Das offensichtlichste Beispiel ist hier der “Sündenbock”. Das ist die Person, der das zur Last gelegt wird, was in der Familie nicht gut läuft oder problembehaftet ist. Das “entbindet” dann die anderen Familienmitglieder ihrer Verantwortung. Ein grundlegender Mechanismus dieser Mythen ist die Projektion – in diesem Fall handelt es sich um eine kollektive Projektion.
Familienmythen der Erlösung
Bei Familienmythen der Erlösung denken sich die Familienmitglieder die Figur des “mythischen Retters” aus, von der alle ein erlösendes Eingreifen erwarten. Entweder gibt es in der Familie ein bestimmtes Problem oder allgemeine Themen. Tatsächlich glauben die anderen Familienmitglieder, dass diese rettende Person die Macht hat, der Familie das zu bringen, was sie braucht. Die “erlösende” Person findet vielleicht heraus, was innerfamiliär nicht funktioniert.
Die Figur des “mythischen Retters” kann aus der Familie selbst stammen, aber es kann auch jemand von außen sein. Es ist weit verbreitet, dass Familiengruppen diese Rolle zum Beispiel den Psychologen zuweisen, die sie therapeutisch behandeln.
Je pathologischer – also krankhafter – die Familienbeziehungen sind, desto häufiger scheinen diese Mythen aufzutreten und sich zu verfestigen. Darum stellen Familienmythen auch Irrwege dar. Sie verhindern, dass die wirklichen Probleme in einer Familie angegangen werden, die behoben werden müssen.
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