Exzessive Liebe kann viel Schaden anrichten

Exzessive Liebe kann viel Schaden anrichten

Letzte Aktualisierung: 17. Februar 2018

Wenn wir über die Liebe sprechen, ist anscheinend “mehr” auch stets “besser”. Glauben wir diese Unwahrheit, ist es so, als ob wir eine giftige Tablette schlucken, die als harmloses Bonbon daherkommt. Und wenn wir an all die Momente zurückdenken, die wir an der Seite unseres geliebten Menschen verbracht haben, und die schmerzlichen Augenblicke dabei einen erdrutschartigen Sieg davontragen, dann ist etwas nicht in Ordnung. Wir sind Opfer dieser Sache namens “Liebe” geworden.

Liebe ist nicht mit Leid gleichzusetzen. Jemanden zu lieben, bedeutet nicht, dass man andauernd leiden und immer damit rechnen muss, dass etwas Schlimmes passiert. Und auch nicht, dass man langsam blind wird. Oder etwas Unvorstellbares rechtfertigt und jede Tat einfach gnädig vergibt. Liebe und Abhängigkeit sind nicht dasselbe. Sich eine Nabelschnur wachsen zu lassen, die einen an den Partner kettet, gehört nicht dazu.

Liebe ist keine Sache der Quantität, sondern eher der Qualität. Liebe steht auch nicht für übermäßige Fürsorge. Dem anderen überallhin zu folgen und alle Probleme zu kitten, die er verursacht, ist nicht Teil des Programms. Und sie bedeutet nicht, dass du ein Kind im Körper eines Erwachsenen beschützen musst und ihm die Welt mit Zuckerguss überziehst. Selbstverständlich sollte dich die Liebe auch nicht als körperliches und geistiges Wrack wieder ausspucken. Wenn deine Beziehung deinen Gefühlshaushalt aus der Balance bringt oder sogar deiner körperlichen Gesundheit und Integrität schadet, kannst du mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass du exzessiv liebst.

“Die Vorstellung, dass die romantische Liebe im Gegenzug nichts erwarte, ist eine Erfindung gefügiger Geister. Wenn du gibst, willst du auch empfangen. Gegenseitigkeit ist normal.”

Walter Riso

Frau mit rotem Luftballon steht auf einer Leiter vor Vollmond.

Die Masken, die Frau und Mann in einer Beziehung tragen

Es scheint eine große Kluft zwischen Männern und Frauen zu geben. Die Geschlechter sind getrennt im Hinblick darauf, wie sie Beziehungen verstehen und mit ihnen umgehen. Innerhalb des weiblichen und des männlichen Segments spielen kulturelle Idealvorstellungen, die Erziehung, das familiäre Umfeld, in dem jemand aufgewachsen ist, und sogar die Biologie selbst eine starke Rolle.

Unsere Erfahrungen in der Kindheit, die wir mit unseren Rollenvorbildern und besonders mit unseren Eltern gemacht haben, bestimmen, wie wir lebenslang mit anderen Menschen interagieren. Faktoren, die Einfluss nehmen auf unsere Art, nach Zuneigung zu streben und sie zu schenken, sind schmerzliche und schwierige Situationen, Probleme bei der Zuneigungsbekundung, die Abwesenheit wichtiger Menschen oder fehlende Grenzen – um nur einige von ihnen zu nennen.

Einige Frauen neigen dazu, die Liebe zu “managen”, indem sie eine starke Abhängigkeit oder sogar eine Obsession dem Partner gegenüber entwickeln. Die Flut ihrer Gefühle wird sehr intensiv ausgelebt. Sie zeigt sich im Bedürfnis, für den anderen zu sorgen und Verständnis für seine Person aufzubringen. In vielen Fällen übernehmen Frauen die Rolle einer Retterin. Darum mutet es auch ironisch an, dass sie mit so viel Mitgefühl auf andere reagieren können, aber für den Schmerz in ihrem eigenen Leben blind sind.

“Ein Mensch, der produktiv lieben kann, liebt auch sich selbst. Kann er nur andere lieben, so kann er überhaupt nicht lieben.”

Erich Fromm

 

Paar trägt Gasmaske und küsst sich.

Männer haben Angst vor ihren Gefühlen

Viele Männer laufen vor ihren Gefühlen davon, indem sie diese auf verschiedene Weise nach außen verlagern. Das heißt, sie beschäftigen sich rund um die Uhr mit ihrer Arbeit, konsumieren Drogen oder investieren ihre freie Zeit in Hobbys, die ihnen wenig Zeit zum Nachdenken lassen. Hier handelt es sich um emotionale Strategien zur Blockierung ihrer Gefühle. Sie tun dies, weil sie diese nicht verstehen und auch nicht mit ihnen umgehen können. Es gibt bei Männern die Tendenz, ihr Unbehagen oder ihre Probleme nicht offensiv anzugehen. Sie stellen für sie eine überwältigende, unbeherrschbare, peinliche oder schuldbehaftete Last dar. Eine Last, die man(n) am besten vermeidet.

Dieses Verhaltensmuster zeigen aber nicht nur Männer, sondern zuweilen auch Frauen. Letztere entwickeln für gewöhnlich Fürsorge- und Opferverhalten. Auf diese Weise suchen sie nach Liebe und Zuwendung und bieten beides auch an. Männer hingegen versuchen, sich zu schützen und Schmerz zu vermeiden. Dazu setzen sie sich eher Ziele im Außen anstatt im Inneren – Ziele, die vorzugsweise neutraler und nicht persönlicher Natur sind.

Ab wann wird die Liebe exzessiv?

Häufig sind wir mit unseren Partnern nicht zufrieden, aber wir bestreiten dieses Tatsache. Wir sagen dann, dass wir einfach “eine schwierige Phase durchmachen.”  Wir rechtfertigen unsere Erfahrung und denken, dass Beziehungen nun einmal so seien. Am Anfang seien sie von Leidenschaft geprägt und dann von Höhen und Tiefen bis zum bitteren Ende.

Wir vergeben der anderen Person ihre Taten und überzeugen uns selbst davon, dass sie sich schon noch ändern wird. Oder wir sind vielleicht nicht mutig genug, die Beziehung zu beenden, weil wir Angst davor haben, verletzt zu werden. Eigentlich verbirgt sich dahinter unsere Angst vor Leid und Schmerz. Wir haben Angst davor, allein zu sein oder keinen anderen Menschen mehr zu finden, der es mit uns aushalten wird.

Wer von uns war nicht schon einmal verliebt? Und die angebetete Person hat unsere Liebe nicht erwidert? Oder vielleicht hattest du berauschenden Sex mit jemandem, aber der Rest der Beziehung war ein einziger Härtetest. Vielleicht ist es dir passiert, dass du dich deinem Partner gegenüber wie deine eigene Mutter verhalten hast. Du könntest auch denken, dass dein Leben sinnlos wäre, wenn du niemanden an deiner Seite hast.

Es gibt viele Situationen, die wir in der Interaktion mit anderen Personen erlebt haben und noch erleben werden. Darum haben wir auch viele Fehler gemacht. Wir haben uns auf vielerlei Art selbst betrogen, um den Schmerz zu lindern.

“Schuld, Scham und Angst sind die unmittelbaren Motive des Betrugs.”

Daniel Goleman

Erforsche deine Vergangenheit, um deine Zukunft zu verändern

Hier ein Vorschlag: Wir hören auf, uns selbst zu analysieren, wenn wir mit jemandem zusammen sind. Und auch mit der Untersuchung dessen, wie sich unser Partner uns gegenüber normalerweise verhält. Wir suchen nach ähnlichen Themen. Kapitel, die stets wiederkehren, obwohl wir verschiedene Partner haben. Lebensgefährten kommen und gehen, aber wir fallen immer über die gleichen Stolpersteine. Irgendwann sind wir dann Teil eines Teufelskreises, der sich gnadenlos wiederholt. Aus diesem scheint es kein Entrinnen zu geben. Wir wissen nicht einmal, wie wir so weit hineinrutschen konnten. Wieder und wieder erklingt die gleiche dramatische Melodie, die immer gleichen unschönen Akkorde. Denn selbst wenn das Orchester wechselt, bist du immer noch der Dirigent. Es handelt sich zwar jedes Mal um einen anderen Menschen und du befindest dich jedes Mal in einer anderen Lebenssituation. Aber du hast dir geschworen, dass du dieselbe Sache nicht noch einmal durchmachen wirst. Und da bist du nun, wieder am gleichen Punkt … du liebst zu viel, zu exzessiv und auf die falsche Art und Weise.

Paar tauscht Zärtlichkeiten aus, bedeckt mit Blüten und Gräsern.

Die Spuren der Vergangenheit

Warum stößt uns das immer wieder zu? Die Interaktionsmuster, die wir in unserer Kindheit erlernten, haben sehr tiefe Wurzeln in uns. Wir wenden sie unser ganzes Leben hindurch an. Wenn wir sie ändern oder aufgeben möchten, erscheint uns das sehr bedrohlich und furchtbar herausfordernd. Es ist jedoch noch viel schwieriger, die Wirklichkeit einer Situation zu erkennen und sich selbst bewusst zu machen. In der Lage zu sein, das zu identifizieren, was in unserem Inneren seinen Anfang nimmt.

Ein Schlüssel zur Lösung ist, dass wir uns selbst verstehen. Und dass wir uns die Frage stellen, warum wir pausenlos nach einem Menschen suchen, den wir betütteln und beschützen können. Zu verstehen, warum uns die Stimme versagt, wenn wir versuchen, unsere Gefühle zu erklären, und wir den Versuch einfach aufgeben. Warum kann ich das dringende Bedürfnis, zu wissen, was die andere Person gerade macht, nicht unterdrücken? Und warum möchte ich sie kontrollieren, wenn sie nicht in Sichtweite ist? Warum bleiben wir in einer Beziehung, obwohl wir leiden und wissen, dass sie zum Scheitern verurteilt ist?

Schadet uns unsere Art, mit der Welt zu interagieren und auch der Mensch, mit dem wir zusammen sind, und unternehmen wir nichts, um die Lage zu verstehen oder sie zu verändern, dann ist das Leben, das wir führen, keine Reise zur Weisheit. Dann handelt es sich um einen puren Kampf ums Überleben. Wenn es dich schmerzt, jemand anderen zu lieben, dann ist es an der Zeit, dich selbst zu lieben. Damit der Schmerz aufhört.

“Sich selbst zu lieben, ist der Beginn einer lebenslangen Romanze.”

Oscar Wilde


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.