Die Psychologie der Verleugnung: Wie wir uns selbst schützen

Das Leugnen einer unangenehmen Realität oder das Herunterspielen eines Problems mag kurzfristig Erleichterung bringen, führt jedoch langfristig zu negativen Konsequenzen. Erfahre mehr über diese psychologische Strategie, auf die wir alle irgendwann zurückgreifen.
Die Psychologie der Verleugnung: Wie wir uns selbst schützen
Sharon Laura Capeluto

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Sharon Laura Capeluto.

Letzte Aktualisierung: 20. September 2024

Die Verleugnung ist ein komplexer, tief in uns verwurzelter Schutzmechanismus, der es uns ermöglicht, unangenehme Wahrheiten oder belastende Emotionen zu ignorieren. In Momenten von Stress, Trauer oder Angst kann es leichter erscheinen, die Realität abzulehnen, anstatt sich ihr zu stellen.

Dieser Mechanismus kann kurzfristig Erleichterung bringen, doch langfristig ernsthafte Probleme zur Folge haben. Wir beleuchten in diesem Beitrag die verschiedenen Facetten der Verleugnung, ihre psychologischen Grundlagen und ihre Auswirkungen.

Verleugnung als Schutzmechanismus

In der Psychoanalyse werden Abwehrmechanismen als psychologische Strategien verstanden, die Menschen oft unbewusst nutzen, um sich vor Ängsten und emotionalen Bedrohungen zu schützen. Diese Mechanismen sind Mittel, mit denen unser Geist versucht, Stabilität zu bewahren, indem er die Realität entweder verzerrt oder verleugnet, wenn die Situation belastend wird.

Sigmund Freud entwickelte das Konzept der Verleugnung im Rahmen seiner Theorie der Abwehrmechanismen, das später von seiner Tochter Anna Freud weiter erforscht und vertieft wurde. Verleugnung beschreibt die Dynamik, in der Menschen sich weigern, unangenehme oder überwältigende Wahrheiten zu akzeptieren.

Beispiele für Verleugnung

  • Ein typisches Beispiel für Verleugnung findet sich bei Menschen mit Suchtproblemen. Oft leugnen sie nicht nur das Ausmaß ihrer Abhängigkeit, sondern auch deren Existenz, und spielen die Folgen ihres exzessiven Substanzkonsums herunter. Sie reden sich ein, die Kontrolle über die Situation zu haben, während sie in Wirklichkeit die Konfrontation mit den Konsequenzen vermeiden.
  • Verleugnung ist oft die erste Reaktion auf einen Verlust. Nach dem Tod eines geliebten Menschen ist es nicht ungewöhnlich, den Verlust zunächst zu verneinen. Gedanken wie „Das kann nicht wahr sein“ oder „Es muss ein Irrtum sein“ sind typische Schutzmechanismen, um sich vor dem überwältigenden Schmerz zu bewahren, der mit der Akzeptanz des Verlustes einhergeht.
  • Ein weiteres Beispiel für Verleugnung ist das bewusste Ignorieren ernster finanzieller Schwierigkeiten. Man blendet nicht nur gegenüber anderen, sondern auch vor sich selbst aus, dass finanzielle Probleme bestehen, und tut so, als gäbe es sie nicht.
  • Menschen neigen dazu, die Ernsthaftigkeit einer Situation zu verharmlosen, etwa bei der Diagnose einer schweren Krankheit. Trotz ärztlicher Warnungen kann es passieren, dass die Betroffenen die Schwere der Erkrankung leugnen. Ein ähnliches Verhalten tritt auf, wenn man die Probleme in einer Beziehung nicht anerkennen will und die Bedeutung von Konflikten herunterspielt.
  • Stellen wir uns vor, jemand verliebt sich in seinen besten Freund und gerät dadurch in einen emotionalen Konflikt. In diesem Fall könnte die Person ihre romantischen Gefühle leugnen und sich einreden, dass es sich nur um eine vorübergehende Anziehung handelt, um sich dem emotionalen Dilemma nicht stellen zu müssen.

Verleugnung ist ein häufiger Abwehrmechanismus, der kurzfristig Schutz bietet, langfristig jedoch dazu führt, dass man sich nicht mit den Herausforderungen und Konflikten auseinandersetzt, die das Leben mit sich bringt.

Verleugnung oder Verdrängung?

Auf den ersten Blick mögen Verdrängung und Verleugnung ähnlich erscheinen, doch sie beziehen sich auf zwei unterschiedliche Abwehrmechanismen. Beide haben das Ziel, unsere psychische Stabilität zu bewahren, greifen jedoch auf verschiedene Weise, je nach Art des Konflikts und den Umständen.

  • Verdrängung beschreibt den unbewussten Prozess, belastende Gedanken, Gefühle oder Erinnerungen aus dem Bewusstsein zu verbannen. Häufig stehen diese mit traumatischen Erlebnissen in Verbindung. Unser Geist „vergräbt“ diese Erinnerungen tief in uns, um uns vor den emotionalen Folgen zu schützen.
  • Verleugnung hingegen ist ein bewusster oder unbewusster Widerstand gegen die Akzeptanz der Realität. Es handelt sich um eine aktive Weigerung, unangenehme Aspekte der Wahrheit anzuerkennen.

Schützt uns Verleugnung – oder schadet sie uns?

Betrachten wir einige Beispiele: Wenn jemand seine sexuelle Orientierung leugnet, die Verantwortung für einen Konflikt vermeidet oder psychische Probleme wie Depressionen oder Sucht ignoriert, tut er dies, um sich vor dem emotionalen Stress zu schützen, den diese Themen auslösen würden.

Wie andere Abwehrmechanismen bietet die Verleugnung kurzfristig eine Atempause, doch auf lange Sicht kann sie schädlich sein. Wer es vermeidet, sich angemessen mit inneren oder äußeren Herausforderungen auseinanderzusetzen, riskiert, dass sich die Probleme verschlimmern und schwerer zu bewältigen werden.

Eine unbequeme Wahrheit zu leugnen, lässt sie nicht verschwinden.

Zum Beispiel kann die Verleugnung einer ernsten Erkrankung dazu führen, dass man notwendige Behandlungen hinauszögert, was den Krankheitsverlauf negativ beeinflusst. Ebenso kann das Ignorieren von Beziehungsproblemen die Situation verschärfen. Es ist daher entscheidend, Verleugnung nicht als dauerhafte Bewältigungsstrategie zu missbrauchen.

Wie erkenne ich, dass ich in der Verleugnung lebe?

Je nach Persönlichkeit und emotionalem Kontext kann es schwierig sein, zu erkennen, ob man auf Verleugnung zurückgreift. Es gibt jedoch einige typische Anzeichen, die darauf hindeuten könnten, dass dieser Mechanismus aktiv ist:

  • Du unterdrückst unangenehme Gefühle wie Angst, Traurigkeit oder Wut.
  • Du weigerst dich, offensichtliche Tatsachen zu akzeptieren, selbst wenn andere dich darauf hinweisen.
  • Ständig beschäftigst du dich mit Aufgaben und Aktivitäten, um dich nicht mit deinem inneren Selbst auseinandersetzen zu müssen.
  • Du findest häufig Ausreden oder Rechtfertigungen, um Verantwortung nicht zu übernehmen.
  • Du wehrst dich gegen Veränderungen, klammerst dich an Routinen oder Überzeugungen, auch wenn sie dir nicht mehr guttun.
  • Du lehnst Hilfe, Unterstützung oder Gesellschaft von anderen ab, obwohl sie dir angeboten werden.
  • Wichtige Entscheidungen schiebst du auf, aus Angst oder Unbehagen, und redest dir ein, dass sie warten können.

Kommt dir das bekannt vor? Wenn du dir bewusst bist, dass du diesen Mechanismus einsetzt, kannst du Veränderungen erzielen. Vergiss nicht, dass die Verleugnung dazu führen, dass sich Probleme verschlimmern und zu noch mehr Schmerz oder Unbehagen führen. Die Ablehnung der Realität kann sich unter anderem durch psychosomatische Symptome wie Verdauungsbeschwerden äußern.

Sich der Realität zu stellen, befreit – sie zu leugnen, hält dich gefangen

Der Schweizer Psychiater Carl G. Jung sagte einmal: „Was du leugnest, beherrscht dich; was du akzeptierst, verwandelt dich.“ Dieses Zitat erinnert uns daran, dass das Leugnen unangenehmer Wahrheiten, so schmerzhaft sie auch sein mögen, ihre Macht über uns nur verstärkt. Die Verleugnung kann unser Leben dominieren und persönliches Wachstum blockieren.

Im Gegensatz dazu ermöglicht radikale Akzeptanz die Freiheit, Lösungen für veränderbare Situationen zu suchen und Frieden mit dem Unveränderbaren zu schließen. Wenn du das Gefühl hast, dass Verleugnung dich hemmt, dein Leben einschränkt oder wichtige Entscheidungen beeinflusst, solltest du aktiv etwas dagegen tun. Sprich mit vertrauten Menschen darüber und zögere nicht, professionelle Hilfe in Betracht zu ziehen.


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  • Álava Alcívar, M. Á., & Álava Alcívar, J. L. (2019). Los Mecanismos de defensa: una comparación teleológica entre Sigmund y Anna Freud. Perspectivas4(14), 1-12. https://revistas.uniminuto.edu/index.php/Pers/article/view/2068
  • Freud, A., & Carcamo, C. E. (1961). El yo y los mecanismos de defensa (Vol. 3). Barcelona: Paidós.

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