Die phasenorientierte Behandlung dissoziativer Störungen

Heute gehen wir der Frage nach, wie man Menschen helfen kann, die durch ein Trauma zutiefst verwundet wurden und unter Dissoziation leiden.
Die phasenorientierte Behandlung dissoziativer Störungen
Gorka Jiménez Pajares

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen Gorka Jiménez Pajares.

Letzte Aktualisierung: 28. Februar 2023

Gelegentlich erleben wir alle leichte Dissoziationen: Tagträume oder Gespräche, in denen wir abwesend sind und an deren Inhalte wir uns deshalb nicht erinnern, sind klassische Beispiele.  Dissoziative Störungen produzieren jedoch das Gefühl des Losgelöstseins vom Selbst und von der Umgebung. Betroffene erinnern sich nur bruchstückhaft an bestimmte Zeiträume und identifizieren sich nicht mit diesen Erinnerungen, Gedanken oder Eindrücken. Manche Menschen tauchen weit weg von zu Hause auf und wissen nicht mehr, wie sie an diesen Ort gelangt sind (dissoziative Fugue). Es handelt sich um eine sehr komplexe klinische Entität, doch die phasenorientierte Behandlung kann Betroffenen helfen. 

Die phasenorientierte Behandlung dissoziativer Störungen

Die phasenorientierte Behandlung dissoziativer Störungen

Stell dir vor, du hebst ein Glas auf und wirfst es auf den Boden. Danach schaust du dir das zerbrochene Glas an. Bei einer Dissoziation passiert etwas Ähnliches: Die Auswirkungen eines Traumas können einen Teil der Psyche abspalten, fragmentieren oder zerbrechen. Der Verstand hindert die Person daran, die Scherben zusammenzufügen, um ihre psychische Gesundheit zu schützen. Denn das Zusammenfügen würde tiefe Schmerzen erzeugen.

In einer Intervention wird jeder dissoziierte Teil bearbeitet und der Patient Schritt für Schritt stabilisiert. Sobald dieser Prozess abgeschlossen ist, können die Einzelteile zusammengefügt werden. Die phasenorientierte Behandlung umfasst folgende Schritte:

1. Stabilisierung des Patienten

In dieser ersten Phase geht es darum, den Patienten zu stärken und zu stabilisieren. Die Person muss in der Lage sein, ihre Emotionen und zwischenmenschlichen Beziehungen zu regulieren. Es geht grundsätzlich darum, die Selbstfürsorge, die Verbindung mit dem Körper und das Verständnis für die Symptome zu fördern. Wenn wir zu unserer Metapher zurückkehren: Wir können das zerbrochene Glas nicht reparieren, ohne zuvor die Scherben aufzuheben. Dann müssen wir die Teile ordnen, auf eine glatte Oberfläche legen und sehen, wie sie zusammenpassen.

In dieser Phase ist es ratsam, die traumatischen Erinnerungen des Patienten zu bearbeiten, um ihre Reaktivierung zu verhindern. Es müssen Voraussetzungen geschaffen werden, damit sich der Patient in einer sicheren Weise erinnern kann. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Person Angst vor ihren Erlebnissen hat, der Aufbau der Erinnerung muss deshalb progressiv erfolgen.

2. Traumaverarbeitung

In dieser Phase verarbeitet die Person Gefühle, Gedanken und Körperempfindungen, die mit dem Trauma verbunden sind. Dies geschieht durch das Wiedererleben der traumatischen Situationen und das Verbalisieren der intensiven Emotionen. Diese Übung ist mehr als eine emotionale Entladung, denn es geht darum, die Erfahrung zu verarbeiten und zu integrieren.

“Es geht darum, sich zu erinnern, zu verarbeiten und zu heilen.”

Fonseca

Das Ziel ist, sich den traumatischen Erinnerungen zu stellen, sie aufzuarbeiten und zu integrieren. Diese Phase birgt eine Gefahr: Der Patient hat Angst davor, die Erinnerungen neu zu erleben. Deshalb kommen Ansätze wie EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) oder die sensomotorische Psychotherapie zum Einsatz.

Die phasenorientierte Behandlung dissoziativer Störungen
EMDR wird von der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Behandlung von Traumata befürwortet.

3. Persönlichkeitsintegration und Rehabilitation

Manchmal ist es unmöglich, die erste Phase zu überwinden, geschweige denn die letzte zu erreichen. Das Ziel ist, eine möglichst stabile und einheitliche Identität zu erlangen. In dieser Phase hat der Patient wahrscheinlich eine Phobie vor den Auswirkungen seines Alltagslebens. Es ist eine Trauerphase, in der die traumatisierte Person um vergangene, gegenwärtige und zukünftige Verluste trauert. Sie muss lernen, im Alltag Risiken einzugehen, was die Erinnerungen an das Trauma reaktivieren kann. In diesem Fall empfiehlt es sich, die vorherigen Phasen zu wiederholen.

“Im besten Fall werden die getrennten Teile zusammenwachsen.”

Fonseca

Menschen mit dissoziativen Störungen benötigen eine individuelle Intervention. Die Therapie kann sehr lange dauern, manchmal sogar das ganze Leben lang. Die Validierung und die therapeutische Beziehung ist in diesen Fällen besonders wichtig.


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