Die Lehren des Anaximenes von Milet
Anaximenes von Milet war ein bedeutender Vorsokratiker, dessen philosophische Ansichten und Theorien die antike Welt nachhaltig beeinflussten. Als Schüler von Anaximander und Mitglied der milesischen Schule suchte er nach einer grundlegenden Substanz, die den Ursprung und die Veränderungen im Universum erklären könnte. Seine innovative Ideen, insbesondere seine Lehre vom unendlichen Luftprinzip, boten eine neue Perspektive auf die Natur der Realität und die Funktionsweise des Kosmos.
Wir beleichten anschließend die zentralen Lehren dieses Gelehrten, der die westliche Philosophie maßgeblich beeinflusste.
Anaximenes von Milet und die milesische Schule
Anaximenes von Milet (ca. 590 v. Chr. – 528/25 v. Chr.), ein bedeutender Vorsokratiker, lebte im 6. Jahrhundert v. Chr. in Milet, einer Stadt in Kleinasien. Er war ein Schüler und möglicherweise auch der Nachfolger von Anaximander und gehörte zur milesischen Schule, die von Thales von Milet begründet wurde. Diese Schule gilt als die Wiege der westlichen Philosophie und Naturwissenschaft.
Die milesischen Philosophen suchten nach einer grundlegenden Substanz oder einem Prinzip, das die Grundlage aller Dinge im Universum bildet. Diese Ursubstanz nannten sie “Arché”. Sie versuchten, natürliche Phänomene ohne Rückgriff auf mythologische Erklärungen zu verstehen. Damit markierten sie den Beginn der systematischen und rationalen Untersuchung der Natur und des Universums.
Anaximenes von Milet und seine philosophischen Beiträge
Als Philosoph, der vom Wesen der Welt fasziniert war, leistete Anaximenes bedeutende Beiträge zum Konzept der Arché, die auf seiner eigenen Interpretation beruhten. Er dachte intensiv über den Ursprung von Veränderung und Bewegung im Kosmos nach und versuchte sogar, eine eigene Kosmologie zu entwerfen.
Ein Teil seiner Beiträge ist in drei Fragmenten seines Werkes mit dem Titel “Über die Natur” zusammengefasst.
Der Begriff der Arché
Anaximenes schlug vor, dass die Ursubstanz (Arché) unendlich und unbegrenzt ist. Dieses Prinzip passt gut zur sich ständig verändernden Natur der Welt. Eine weitere Eigenschaft der Arche ist ihm zufolge, dass sie trotz ihrer Variationen immer dieselbe bleibt. In diesem Sinne kann die Luft wärmer oder kälter, dichter oder leichter werden, aber es handelt sich immer um ein und dieselbe Substanz. Daher gibt die Luft als Arché, als elementares Prinzip des Universums, allem die Existenz.
Anaximenes unterschied zwischen äußerer und innerer Luft. Die äußere Luft ist die, die wir in der Natur kennen – die unsichtbare, schnelle und starke Substanz. Die innere Luft hingegen ist die Luft der belebten Wesen, also der Tiere und Menschen. Seine Beiträge zu den Konzepten des Lebens und der Seele kommen in seiner Interpretation der Arché als vitalem Atem oder Pneuma zusammen. Dieser vitale Atem bewegt sich und gibt den Wesen, deren Existenz von ihm abhängt, Leben.
Veränderung und Bewegung
Die Philosophen der milesischen Schule waren scharfe Beobachter der Natur und kamen zu dem Schluss, dass die Veränderung und Umwandlung der Dinge auf die Veränderung des elementaren Prinzips zurückzuführen ist.
Bei Anaximenes durchläuft die Luft einen Prozess der Verdünnung und Kondensation, während sie selbst unverändert bleibt. Verdünnt wird die Luft weniger dicht und verwandelt sich in Feuer. Durch Kondensation hingegen wird sie zu Wind und dann zu gasförmigen Wolken. Diese werden dann zu Wasser und gipfeln in der Bildung von Erde und Steinen.
Dieser ganze Prozess der Veränderung lässt sich in der Natur selbst beobachten und verdeutlicht ein Merkmal der vorsokratischen Philosophie: Sie ging davon aus, dass es trotz des Wandels etwas Beständiges gibt, das sich nicht verändert.
Laut Anaximenes ist die Luft das Element, das trotz seiner Verwandlungen gleich bleibt.
Die Seele und der Seelenatem
Anaximenes glaubte, dass die Seele aus derselben Substanz besteht wie das Prinzip, das das Universum belebt und steuert – die Luft. Für ihn war die Luft nicht nur ein physisches Element, sondern auch der Träger des Lebens und des Bewusstseins. Die Seele, oder der Seelenatem (pneuma), ist die Luft, die in den lebenden Organismen zirkuliert und ihnen Leben einhaucht. Diese Vorstellung war revolutionär, da sie eine Verbindung zwischen dem physischen und dem metaphysischen Bereich herstellte.
Der Seelenatem ist für Anaximenes der Lebensfunke, der in jedem Lebewesen vorhanden ist. Er betrachtete die Luft als das verbindende Element, das sowohl die äußere Welt als auch das innere Leben der Individuen durchdringt. Diese Idee spiegelt eine tiefe metaphysische Sichtweise wider, in der die Luft als das allgegenwärtige, lebensspendende Prinzip verstanden wird.
Kosmologische Deutung
Seine Interpretation des Ursprungs und der Struktur der Welt begründet Anaximenes auf sein Konzept der Arché. Nach seiner Auffassung ist die Welt ebenso lebendig und atmend wie die Lebewesen. Die Luft, als Ursubstanz, ist für die Entstehung der Erde und der Himmelskörper wie Sonne, Mond und Sterne verantwortlich.
Diese Ansicht legt nahe, dass die Erde und die Himmelskörper durch die Prozesse der Verdünnung und Verdichtung der Luft geformt wurden. Die Luft, die alles durchdringt, hält auch die Welt und ihre Bestandteile zusammen. Der Philosoph erklärt dies eindrucksvoll: “So wie unsere Seele – die Luft ist – uns zusammenhält, so umgeben Atem und Luft den ganzen Kosmos.”
Anaximenes wies auf den Unterschied zwischen dem Planeten Erde und den Fixsternen hin: Er betrachtete die Erde als flach und frei beweglich, während er glaubte, dass die Sterne fest mit dem Himmelsgewölbe verbunden sind.
Anaximenes und seine Beiträge zur Wissenschaft
Es mag kühn erscheinen zu behaupten, dass unter den vorsokratischen Philosophen bereits ein Keim des wissenschaftlichen Geistes zu finden war. Dennoch hat diese Idee eine solide Grundlage in den Überlegungen dieser Denker.
Anaximenes ging sogar so weit, ein einfaches Experiment vorzuschlagen, um seine Theorie der Verdünnung und Kondensation zu testen. Er schlug vor, den Mund zu öffnen und in die Hände zu blasen. Die Luft, die herauskommt, ist warm, was auf Verdünnung hindeutet. Wenn man jedoch die Lippen schließt und kräftig bläst, wird die Luft kälter, was auf Kondensation hinweist. Dies wird als eine der frühesten Aufzeichnungen von Experimenten angesehen.
Beiträge zur Chemie
Auch die Beiträge zur spekulativen Chemie waren bedeutend: Anaximenes widmete sich nicht nur der Kosmologie, sondern auch der Meteorologie und betrachtete geologische und himmliche Prozesse als einheitliches Ganzes. Was die moderne Chemie als Prozesse der Kompression und Dilatation versteht, beschrieb Anaximenes als Transformation der Materie.
Er betrachtete die Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer als Grundstoffe, die sich in verschiedene meteorologische Phänomene wie Hagel, Regen und Wolken umwandeln. Seine Ansichten zur Materie und ihren Veränderungen legten frühzeitig die Grundlage für das Verständnis natürlicher Prozesse und beeinflussten die spätere Entwicklung wissenschaftlicher Theorien.
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Das Erbe des Anaximenes
Anaximenes von Milet hinterließ ein bedeutendes Erbe, das weit über seine Zeit hinausreicht und das Verständnis der Natur und ihrer Prozesse maßgeblich beeinflusst hat.
Seine kosmologischen Theorien, insbesondere seine Konzepte von Luft als fundamentalem Element und seiner Theorie der Verdünnung und Kondensation, markieren einen bedeutenden Fortschritt im Denken der vorsokratischen Philosophen. Anaximenes war einer der ersten, der nicht nur über die Welt spekulierte, sondern auch Experimente vorschlug, um seine Theorien zu überprüfen, was ihn zu einem Vorläufer des wissenschaftlichen Geistes macht.
Seine Ideen zur chemischen Verwandlung der Elemente und ihre Rolle bei meteorologischen Erscheinungen prägten nicht nur die antike Philosophie, sondern legten auch den Grundstein für das Verständnis der Materie und ihrer dynamischen Natur in der späteren wissenschaftlichen Entwicklung.
Insgesamt hat Anaximenes mit seinem philosophischen Erbe dazu beigetragen, das Streben nach Erklärungen und das Verständnis der Welt auf eine rationale Grundlage aufzubauen. Seine Methoden und Theorien bleiben als frühe Beiträge zur wissenschaftlichen Erkenntnis und als wichtiger Teil der Geschichte der Philosophie und Naturwissenschaften von unschätzbarem Wert.
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