Die bunte Welt der Synästhesie
Die Musik riechen, spüren, dass Farben Töne erzeugen, und lesen, um wahrzunehmen, dass bestimmte Buchstaben blau, rot oder gelb sind. Synästhesie ist ein faszinierendes neurologisches Phänomen und ein charakteristisches Merkmal von Persönlichkeiten wie Vincent van Gogh.
Sie wird oft mit Kreativität in Verbindung gebracht, kann aber auch eine etwas beunruhigende Erfahrung sein. Diese Erfahrung ist, als ob man einen Geist mit mehreren Paralleluniversen hätte, die auf unerwartete Weise reagieren. Jeder Reiz kann aufgrund eines ungewöhnlichen Mechanismus im Gehirn plötzlich willkürliche Sinneserfahrungen hervorrufen.
Es gibt ein Übermaß an neuronalen Verbindungen, was zu Fehlern und Abweichungen bei der Informationsverarbeitung führt. Diese Eigenschaft wird “multimodale Integration” genannt und betrifft einen kleinen Teil der Bevölkerung.
Synästhesie beinhaltet jede Kombination der Sinne und das führt zu mehr als 100 Untertypen dieses neurologischen Merkmals.
Was ist Synästhesie?
Synästhesie ist ein neurologisches Phänomen, bei dem die Stimulation eines Sinnes automatisch und unwillkürlich eine zusätzliche Sinneserfahrung in einem anderen Sinnesbereich hervorruft. Diese Verschmelzung der Sinne führt dazu, dass Synästhetiker ungewöhnliche, oft miteinander verflochtene Wahrnehmungen haben. Zwischen zwei und vier Prozent der Bevölkerung haben diese Fähigkeit, wobei die genauen Ursachen bisher nicht ausreichend erforscht sind.
Genetische, neuronale und neurochemische Faktoren spielen bei diesem Phänomen eine Rolle. Auch die multimodale Integration, also der Prozess, bei dem das Gehirn Informationen aus verschiedenen Sinnessystemen (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten) zusammenführt und koordiniert, ist von Bedeutung. Die Schaltkreise im Gehirn scheinen bei Synästhetikern etwas anders verdrahtet sein.
Die Gene scheinen bei der Synästhesie eine wichtige Rolle zu spielen, denn in vielen Familien haben mehrere Personen die Fähigkeit, Geräusche zu sehen oder Farben zu hören.
Die verschiedene Arten
Es mag überraschen, aber in Untersuchungen der Universität Sussex werden über 164 mögliche Arten der Synästhesie beschrieben. Wir beschreiben anschließend die häufigsten Formen in Gruppen zusammengefasst:
Graphem-Farb-Synästhesie
Dieses Phänomen führt dazu, dass eine Person bunte Buchstaben sieht: Sie nimmt jeden Buchstaben des Alphabets mit einer anderen Farbe wahr, beispielsweise assoziiert sie “A” mit Blau oder “B” mit Grün. Forscher der Universität Edinburgh veröffentlichten in der Fachzeitschrift Frontiers in Human Neuroscience eine interessante Studie mit 600 zufällig ausgewählten Kindern, um herauszufinden, wie sich diese Art im Laufe der Jahre entwickelt. Sie stellten fest, dass relativ fließende Paarungen von Graphemen mit Farben häufig zu festeren Assoziationen führen, die Synästhesie kann jedoch im Laufe der Zeit auch verschwinden.
Auditiv-visuelle Synästhesie
Die auditiv-visuelle Synästhesie (Chromästhesie) befähigt die betroffenen Personen, Musik oder Geräusche mit Farben zu verbinden. Maler wie Paul Klee oder Wassily Kandinsky zeichneten sich durch diese Fähigkeit aus, für die unter anderem auch die Sängerin Lady Gaga bekannt ist. Die auditiv-visuelle Synästhesie verleiht diesen Personen erstaunliche Kreativität.
Schon gelesen? Schlüssel zur Steigerung deiner Kreativität
Lexikalisch-gustatorische Synästhesie
Nimmst du den Geschmack von Erdbeereis wahr, wenn du das Wort “Rot” hörst oder aussprichst? Die lexikalisch-gustatorische Synästhesie ermöglicht es, bestimmte Wörter oder auditive Reize mit Geschmackswahrnehmungen zu assoziieren.
Mirror-Touch-Synästhesie
Auch dieses Phänomen ist faszinierend: Personen mit Mirror-Touch-Synästhesie sind in der Lage zu fühlen, was sie bei anderen Personen wahrnehmen. Wenn zum Beispiel eine Freundin Bauchschmerzen hat und ihre Hand intuitiv an die schmerzende Stelle führt, können sie diese Berührung selbst an sich spüren. Ein weiteres Beispiel: Wenn sie sehen, dass eine Mutter ihr Kind streichelt, spüren sie diese Liebkosung an sich selbst.
Auditiv-taktile Synästhesie
Bei dieser Art erleben Betroffene bei bestimmten Geräuschen oder Klängen körperliche Empfindungen. Wie bei ASMR (Autonomous Sensory Meridian Response) spüren sie beispielsweise beim Hören von Musik ein “Kopfkribbeln”.
Ticker-Tape-Synästhesie
Diese Art, die ausführlich in der Fachzeitschrift Cognitive Science beschrieben wird, ist ebenfalls erstaunlich. Manche Menschen haben die Fähigkeit, “Untertitel” zu sehen, wenn sie anderen beim Sprechen zuhören. Wie auf einem inneren Monitor sehen sie die Abfolge der Wörter, auch wenn sie selbst sprechen. Diese Fähigkeit kann übrigens auch trainiert werden.
Auch interessant: Supranormale Reize, ein faszinierendes Phänomen
Menschen mit Synästhesie
Synästhetiker zeichnen sich insbesondere durch ihre divergente Kreativität aus.
Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.
- Bor, D., Rothen, N., Schwartzman, D. J., Clayton, S., & Seth, A. K. (2014). Adults can be trained to acquire synesthetic experiences. Scientific Reports, 4(1), 7089. https://www.nature.com/articles/srep07089
- Brang, D., & Ramachandran, V. S. (2011). Survival of the synesthesia gene: why do people hear colors and taste words? PLoS Biology, 9(11), e1001205. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3222625/
- Holm, S. E. H., Eilertsen, T., & Price, M. (2015). How uncommon is tickertaping? Prevalence and characteristics of seeing the words you hear. Cognitive Neuroscience, 6(2-3), 89-99. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4566903/
- Lunke, K., & Meier, B. (2019). Creativity and involvement in art in different types of synaesthesia. British Journal of Psychology (London, England: 1953), 110(4), 727–744 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6900146/
- Simner, J., & Bain, A. E. (2013). A longitudinal study of grapheme-color synesthesia in childhood: 6/7 years to 10/11 years. Frontiers in Human Neuroscience, 7, 603. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fnhum.2013.00603/full
- Tilot, A. K., Kucera, K. S., Vino, A., Asher, J. E., Baron-Cohen, S., & Fisher, S. E. (2018). Rare variants in axonogenesis genes connect three families with sound–color synesthesia. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 115(12), 3168–3173. https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.1715492115
- van Leeuwen, T. M., Singer, W., & Nikolić, D. (2015). The merit of synesthesia for consciousness research. Frontiers in Psychology, 6, 1850. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2015.01850/full
- Ward, J., & Simner, J. (2022). How do different types of synesthesia cluster together? Implications for causal mechanisms. Perception, 51(2), 91–113. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8811335/