Der Sandmann und das Konzept des Unheimlichen in der Psychoanalyse

Das Konzept des Unheimlichen erklärt uns, warum Menschen Angst vor etwas empfinden, das es gar nicht gibt, oder auch vor etwas, das ihnen gar nicht bekannt ist.
Der Sandmann und das Konzept des Unheimlichen in der Psychoanalyse
Gema Sánchez Cuevas

Geprüft und freigegeben von der Psychologe Gema Sánchez Cuevas.

Geschrieben von Edith Sánchez

Letzte Aktualisierung: 13. Juni 2023

Der Sandmann ist eine Geschichte von E.T.A. Hoffmann. Sigmund Freud nahm diese als Bezugspunkt für die Konstruktion des Konzepts des Unheimlichen in der Psychoanalyse. Auch Jacques Lacan verweist in seinem Seminar Die Angst auf diese Geschichte. Sie ist ein Teil des Werkes Nachtstücke und gehört dem Genre der gotischen Horrorliteratur an.

Die Psychoanalyse geht davon aus, dass das Unheilvolle oder das Unheimliche eine Variante der Qual ist. Eine “störende Fremdheit”, durch die das, was uns bereits bekannt ist, komisch wird, oder das Komische sich in das bereits Bekannte verwandelt, oder aber auch beide Realitäten sich gleichzeitig verändern.

“Die unausgesprochenen Gefühle sterben niemals. Sie werden lebendig begraben und kommen später auf viel schlimmere Art und Weise wieder zum Vorschein.”

Sigmund Freud

Das Konzept des Unheimlichen erklärt uns, warum Menschen Angst vor etwas empfinden, das es gar nicht gibt, oder auch vor etwas, das ihnen gar nicht bekannt ist. Ein gutes Beispiel hierfür wäre der berühmte “schwarze Mann” (im Engl. boogeyman).

Er ist ein Wesen, das in vielen Kulturen vorkommt, obwohl es nicht einmal eine genau physische Darstellung von ihm gibt. Viele Menschen werden erwachsen und haben immer noch Angst vor der Dunkelheit. Dies liegt den Geschichten aus der Kindheit zu Grunde, in denen immer die Rede vom “schwarzen Mann” war.

Doch wovor fürchten wir uns hierbei eigentlich genau? Was auch immer es sein mag, es existiert nicht in unserer Umwelt, sondern nur in uns selbst.

Der Sandmann

Die Erzählung des Sandmanns beginnt mit den Kindheitserinnernungen von Nathaniel. Als Kind sagte seine Mutter immer vor dem Schlafengehen zu ihm, dass es Zeit sei nun ins Bett zu gehen, ansonsten würde der Sandmann kommen und ihm Sand in die Augen werfen, um diese zu schließen. Eben diese Mutter sagte auch zu ihm, dass es sich bei dieser Geschichte nur um eine Fantasie handle, doch eines der Dienstmädchen erklärte ihm, dass es eine wahre Geschichte sei.

Laut diesem Dienstmädchen war dieses Wesen sehr böse. Es schleicht sich an Kinder heran, die nicht einschlafen wollen. Dann wirft es ihnen eine Hand voll Sand in die Augen, bis diese bluten und aus ihren Höhlen fallen. Diese steckte der Sandmann dann in einen Sack und brachte sie zum Mond, wo diese Augen als Nahrung für seine Kinder dienten.

Kind, das mit großer Angst im Bett liegt - Sandmann

Nathaniel assozierte den Sandmann mit einem Freund seines Vaters. Als dieser starb dachte der Junge also, dass er dieses schreckliche Wesen sein muss. Viele Jahre später glaubte er, dass er diese Figur über einen Verkäufer von Barometern wieder finden kann. Noch einige Jahre später verliebt er sich schließlich in Olympia, einen Automat, ein lebloses Wesen, das er mit einer Frau verwechselte.

All dies versetzt ihn in eine Spirale des Wahnsinns und er endet schließlich in einer Anstalt. Als sich sein Zustand scheinbar verbessert hat, glaubt er in einem bestimmten Moment jedoch wieder, den Sandmann zu sehen und dies veranlasst ihn dazu, aus großer Höhe hinunterzuspringen, was schließlich seinen Tod zur Folge hat.

Freuds Analyse

Basierend auf der Geschichte von Der Sandmann formte Sigmund Freud das Konzept des Unheilvollen oder des Unheimlichen. Er begann damit eine sprachliche und etymologische Analyse dieses Konzepts durchzuführen. Auf diese Art und Weise kam er zunächst zu dem Schluss, dass es sich hierbei um das äußerste Gegenteil des Vertrauten und Intimen handelt.

Bei der Vertiefung dieses Themas wird ihm jedoch auch klar, dass dieses Wort auf das Verborgene oder das Versteckte, ebenso wie auf das Wort “Zuhause” anspielt.

Durch diese Analyse gelangt er zur Bedeutung, die auch Schelling dem Unheilvollen gab. Hierbei handelt es sich darum: Was dazu bestimmt ist, versteckt zu bleiben, ist ans Licht gekommen. Somit erscheint die Mehrdeutigkeit des Unheimlichen: Es fühlt sich vertraut an (Zuhause) und zugleich jedoch auch versteckt. Auf diese Art und Weise nimmt das Unheimliche eine Form der Qual an.

Licht am Ende einer Höhle - Sandmann

Freud entdeckt, dass im Unheimlichen ein Mechanismus wirkt, durch den etwas uns Bekanntes zu etwas Seltsamen wird. Das geschieht zum Beispiel auch, wenn jemand stirbt: Zuvor war es eine Person, die uns nahe stand und jetzt ist es eine Leiche, die sich in einem Zustand befindet, der für uns unbegreiflich ist. Genau daraus entstanden die finsteren Dämonen und Geister des “Jenseits”.

Im Sandmann hat der Protagonist schließlich Angst, die Augen zu verlieren. Freud assoziiert diese Angst mit der Verstümmelung, die in Verbindung mit dem Komplex der Kastration steht. Ebenso findet er auch eine klare Übereinstimmung zwischen dem Konzept der Unterdrückung und dem Thema des Unheimlichen. Letzteres wäre die Rückkehr des Unterdrückten, das Versteckte, das ans Licht kommt. Er kommt zu dem Schluss, dass das Unheimliche all das ist, was durch den Komplex der Kastration zur Qual des Kindes wird.


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  • Cattaneo Rodríguez, G. (2012). Lo ominoso y el artefacto de la mirada. Affectio Soc.(Medellin), 8(15), 81-98.

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