Der Matilda-Effekt: Frauen, Wissenschaft und Diskriminierung

Der Matilda-Effekt: Frauen, Wissenschaft und Diskriminierung
Sara Clemente

Geschrieben und geprüft von der Psychologin und Journalistin Sara Clemente.

Letzte Aktualisierung: 14. Februar 2023

Weißt du, wie viele Nobelpreise in 120 Jahren an Männer gingen? Und wie viele an Frauen? Die Verteilung ist schockierend: 817 Preise für Männer und nur 47 für Frauen. Der Matilda-Effekt beschreibt ein Phänomen, das mit sexistischer Diskriminierung in der Welt der Wissenschaft zu tun hat. Es ist erschreckend – aber leider wenig überraschend -, dass Wissenschaftlerinnen weniger Preise und weniger Anerkennung erhalten als Männer, selbst wenn ihre Arbeit genauso bedeutsam ist.

Eine interessante Tatsache ist, dass dieser Begriff tatsächlich ein männliches Gegenstück hat.

Die biblischen Wurzeln des Matilda-Effekts

Um den Matilda-Effekt zu verstehen, musst du zuerst wissen, wie dieses Gegenstück, der Matthew-Effekt, beschrieben wird. Robert K. Merton ist der Soziologe, der den Begriff geprägt hat. Er benutzte die Worte des heiligen Matthäus, um ein Phänomen darzustellen, das verschiedene Aspekte des Lebens einbezog. Im Gleichnis der Talente gibt Matthäus eine Lektion, an die es sich zu denken lohnt:

“Nehmt ihm also das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! Denn wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.”

Matthäus 25: 14-30, Das Gleichnis der Talente

Es geht darum, wie die Arbeit von Unbekannten weniger Aufmerksamkeit, Rücksichtnahme und Anerkennung erfährt als die Arbeit, die nicht wichtiger ist, aber von Menschen erledigt wird, die bereits sozial anerkannt werden. Die Theorie versucht, zu erklären, warum weniger bekannte Personen weniger oft erwähnt werden wie bekannte Persönlichkeiten, selbst wenn die Arbeit letzterer weniger bedeutend ist.

Das ist kein Phänomen, für dessen Beobachtung wir 2000 Jahre in die Vergangenheit reisen müssen: Auch heute noch ist der schwierigste Schritt zum Erfolg der, der ins Licht der Öffentlichkeit führt.

Frauen in der Wissenschaft: der Matilda-Effekt

Der Matilda-Effekt wurde 1993 von Margaret W. Rossiter beschrieben. Rossiter sah im Matthew-Effekt eine Grundlage dafür, sich gegen die Art und Weise zu äußern, in der Frauenarbeit als weniger wertvoll angesehen wird als die Arbeit der Männer. Sie sprach sich dagegen aus, dass Entdeckungen und Forschungen von Wissenschaftlerinnen allein aufgrund ihres Geschlechts belächelt, aber nicht beachtet werden. Der Punkt ist, dass sie weniger Anerkennung bekommen als Männer, was niemandem hilft – weder der Wissenschaft noch der Gesellschaft.

Frau im Labor

In einigen Ländern können Frauen immer noch kein Studium realisieren. In den meisten anderen Ländern können sie an Universitäten gehen und promovieren, aber sie arbeiten nach wie vor nicht unter den gleichen Bedingungen wie Männer. Nicht einmal im hochentwickelten Mitteleuropa.

Rossiter wählte die Bezeichnung Matilda-Effekt zu Ehren von Matilda Joslyn Gage. Sie war Aktivistin, Freidenkerin, produktive Autorin und Pionierin der amerikanischen Soziologie. Sie war auch Vorreiterin im Kampf für die Gleichberechtigung der Frau. Sie unterstützte Victoria Woodhull, eine der ersten Frauen, die für das Amt des US-amerikanischen Präsidenten kandidierten. Sie war Mutter einer großen Familie, veröffentlichte zahlreiche Schriften, die gegen die Beschränkung der Freiheit der Frau argumentierten und forderte Chancengleichheit. Ihre Arbeit machte sie schließlich zum Präsidenten der National Woman Suffrage Association.

Victoria Woodhull

Der Matilda-Effekt in der heutigen Welt

Die traurige Wahrheit ist, dass der Matilda-Effekt ein ganz aktuelles Problem ist. Frauen werden bis heute diskriminiert. Die Arbeitswelt ist nur eines von vielen Beispielen dafür, dass Frauen immer noch als minderwertig eingeschätzt und behandelt werden.

Aber gehen wir zurück in die Wissenschaft. Männer genießen nicht nur Vorteile in Sachen Auszeichnungen, sondern auch in Einstellung, Bezahlung, Einwerbung von Drittmitteln und Publikationen. Das sind alles Bereiche, in denen Männer bevorzugt werden, nur weil sie Männer sind. Aus diesem Grund bleiben brillante Physikerinnen, Chemikerinnen, Soziologinnen und Ärztinnen auf der Strecke. Das System wertet ihre Arbeit ab oder vernachlässigt sie, ohne weitere Erklärungen zu liefern. Wundert es da, wenn die Frauen irgendwann frustriert aufgeben?

Lise Meitner und Rosalind Franklin sind zwei Beispiele für Frauen, die große Beiträge zu den Fortschritten der Naturwissenschaften geleistet haben. Meitner spielte eine Rolle bei der Erklärung der Kernspaltung; Franklin war an der Entdeckung der Doppelhelixstruktur der DNA beteiligt. Aber keine von beiden erhielt eine Anerkennung durch das Nobelkomitee. Die kam ihren männlichen Kollegen zuteil.

Es ist wahr, dass wir einen langen Weg in die richtige Richtung gegangen sind, hin zu dem Punkt, an dem Männer und Frauen gleiche Chancen haben. Aber es ist auch wahr, dass es noch viel zu tun gibt, bis Wissenschaft keine Frage des Geschlechts mehr ist. Die Welt muss zustimmen, dass der Wert der Arbeit einer Person, sich danach richten sollte, was die Arbeit aussagt, nicht welches Geschlecht ihr Autor hat.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.