Der historische Materialismus von Marx und Engels

Diese im 19. Jahrhundert entwickelte Theorie besagt, dass die Geschichte durch wirtschaftliche und soziale Beziehungen geprägt wird. Hier erfährst du mehr über ihre wesentlichen Merkmale.
Der historische Materialismus von Marx und Engels

Letzte Aktualisierung: 23. September 2024

Der historische Materialismus ist eine zentrale Theorie, die von Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) entwickelt wurde, um gesellschaftliche Veränderungen und historische Entwicklungen zu erklären. Im Gegensatz zu idealistischen Ansätzen, die die Geschichte als Ergebnis von Ideen, Überzeugungen oder spirituellen Kräften betrachten, argumentieren Marx und Engels, dass materielle Bedingungen – insbesondere die Art und Weise, wie eine Gesellschaft ihre ökonomische Produktion organisiert – den entscheidenden Einfluss auf den Verlauf der Geschichte haben.

Der historische Materialismus bietet eine Methode, gesellschaftliche Prozesse zu analysieren und zu verstehen, indem er die materiellen Bedingungen und den Klassenkampf ins Zentrum der Betrachtung stellt. Marx und Engels sahen darin den Schlüssel zum Verständnis der Dynamik von Geschichte und Gesellschaft, insbesondere im Hinblick auf die Transformation vom Kapitalismus zum Sozialismus.

Der historische Materialismus: ein Überblick

Karl Marx entwickelte gemeinsam mit seinem intellektuellen Weggefährten Friedrich Engels diese philosophische Theorie, die eine spezifische Perspektive auf die Geschichte und die sozialen Beziehungen bietet, indem sie die materielle Basis des menschlichen Lebens in den Mittelpunkt stellt.

Marx bezeichnet die Gesamtheit der gesellschaftlichen Institutionen, Ideen und Strukturen einer bestimmten historischen Phase als Überbau. Demnach sind es die ökonomischen Bedingungen und Produktionsverhältnisse, die das gesellschaftliche Bewusstsein und die Denkweisen der Menschen formen. Anders ausgedrückt: Die Art und Weise, wie Menschen arbeiten und leben, prägt, wie sie denken und welche Überzeugungen sie entwickeln.

Marx betont, dass es die materiellen Verhältnisse sind, die das menschliche Dasein bestimmen. Das konkrete und reale Leben, das die Menschen führen, beeinflusst somit die sozialen, politischen und geistigen Prozesse einer Gesellschaft. Der historische Materialismus interpretiert die Geschichte als einen fortlaufenden Prozess gesellschaftlicher Entwicklung, der durch Konflikte und Widersprüche innerhalb der bestehenden Produktionsverhältnisse vorangetrieben wird.

Dabei spielen soziale Revolutionen eine zentrale Rolle. Neue gesellschaftliche Kräfte, die durch veränderte Produktionsbedingungen entstehen, treten in Konflikt mit den alten, überholten Strukturen. Dieser Klassenkampf führt schließlich zu revolutionären Umbrüchen, die eine neue Gesellschaftsordnung hervorbringen. Marx sieht in diesen Revolutionen den Motor des historischen Fortschritts, der die Menschheitsgeschichte entscheidend prägt.

Die Ursprünge

Marx und Engels entwickelten diese Theorie dank der Auseinandersetzung mit den philosophischen Strömungen ihrer Zeit. Dazu zählte der Idealismus von Friedrich Hegel, dessen Dialektik Marx und Engels übernahmen, um die Dynamik der geschichtlichen Entwicklung zu analysieren.

Während Hegel jedoch die Geschichte als Ergebnis der Entfaltung von Ideen und des Geistes betrachtete, wandten sich Marx und Engels vom Hegelschen Idealismus ab. Sie lehnten die Vorstellung ab, dass politische Institutionen und der Staat primär durch Ideen oder geistige Prozesse geformt würden.

Der historischen Materialismus von Marx und Engels argumentiert stattdessen, dass alle gesellschaftlichen Phänomene auf die materiellen Lebensbedingungen und die ökonomischen Verhältnisse zurückzuführen sind. Die marxistische Theorie wurde auch durch die Einflüsse der Junghegelianer geprägt, die Hegels Idealismus in Richtung eines Materialismus weiterentwickelten und somit den Fokus auf die materielle Basis der gesellschaftlichen Entwicklung legten.

Die Freundschaft zwischen Marx und Engels entickelte sich, als sie sich 1844 in Paris trafen. 

Der historische Materialismus: die wichtigsten Merkmale

Im Mittelpunkt dieses philosophischen Ansatzes steht die Vorstellung, dass materielle Bedingungen – insbesondere die Produktionsverhältnisse – die treibende Kraft der Geschichte sind. Hier sind die wichtigsten Merkmale des historischen Materialismus:

1. Materielle Basis als Ausgangspunkt

Der historische Materialismus geht davon aus, dass die ökonomischen Verhältnisse, speziell die Art und Weise, wie Güter produziert und verteilt werden, die Grundlage jeder Gesellschaft bilden. Diese materielle Basis bestimmt die sozialen Strukturen und Institutionen.

2. Überbau und Basis

Die ökonomische Basis prägt den Überbau, zu dem politische, rechtliche, kulturelle und ideologische Strukturen gehören. Der Überbau stützt und legitimiert die bestehenden Produktionsverhältnisse, wirkt aber auch auf die Basis zurück.

3. Geschichte als Klassenkampf

Marx und Engels sehen die Geschichte als eine Abfolge von Klassenkämpfen. Gesellschaftliche Veränderungen entstehen durch Konflikte zwischen den herrschenden und den unterdrückten Klassen. Diese Konflikte resultieren aus den Widersprüchen in den Produktionsverhältnissen, etwa zwischen Kapital und Arbeit im Kapitalismus.

4. Dialektischer Prozess

Die Geschichte entwickelt sich dialektisch, d. h., sie ist geprägt von Widersprüchen und deren Auflösung. Aus diesen Widersprüchen entstehen neue gesellschaftliche Formen. So führt der Konflikt zwischen den alten und neuen Produktionsverhältnissen zu revolutionären Veränderungen.

 5. Revolutionäre Transformation

Gesellschaftliche Veränderungen vollziehen sich nicht graduell, sondern oft in Form von revolutionären Umwälzungen. Wenn die bestehenden Produktionsverhältnisse die Entwicklung der Produktivkräfte behindern, kommt es zu sozialen Revolutionen, die neue Gesellschaftsordnungen hervorbringen (z. B. der Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus).

6. Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse

Der historische Materialismus unterscheidet zwischen den Produktivkräften (wie Technologie, Arbeitskraft, Wissen) und den Produktionsverhältnissen (den sozialen und ökonomischen Beziehungen, die die Produktion organisieren). Wenn die Produktivkräfte weiterentwickelt sind, aber von den Produktionsverhältnissen eingeschränkt werden, entsteht ein revolutionärer Druck, der Veränderungen in der Gesellschaft bewirkt.

7. Gesellschaftliche Entwicklungsstufen

Marx und Engels identifizierten verschiedene historische Epochen, die durch bestimmte Produktionsweisen und Klassenverhältnisse gekennzeichnet sind, wie Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus, Kapitalismus und letztlich der angestrebte Sozialismus/Kommunismus.

8. Ablehnung des Idealismus

Im Gegensatz zu idealistischen Theorien, die die Geschichte als Ergebnis von Ideen oder geistigen Prozessen betrachten, sieht der historische Materialismus die materielle Welt als primären Motor der Geschichte. Ideen, Kultur und Religion sind im Wesentlichen Reflexionen der materiellen Verhältnisse.

9. Internationale Perspektive

Marx und Engels betonten, dass der historische Materialismus nicht auf eine einzelne Nation beschränkt ist, sondern die gesamte Menschheitsgeschichte betrifft. Sie betrachteten den Kapitalismus als globales System, das die gesamte Weltwirtschaft und alle Gesellschaften beeinflusst.

10. Zukunftsvision

Der historische Materialismus zielt letztlich darauf ab, den Kapitalismus zu überwinden und eine klassenlose, kommunistische Gesellschaft zu schaffen. Dieser Prozess wird als geschichtliche Notwendigkeit gesehen, da der Kapitalismus durch innere Widersprüche schließlich an seine Grenzen stoßen wird.

Hauptkritikpunkte

Einer der Hauptkritikpunkte am historischen Materialismus ist, dass einige vereinfachte und dogmatische Interpretationen der Theorie zu einer Verengung des theoretischen Ansatzes geführt haben. In solchen Lesarten wurde der Materialismus oft dazu verwendet, die gesamte Gesellschaft auf rein dialektische Weise zu erklären – selbst für Phänomene, die sich nur schwer oder gar nicht historisch deuten lassen.

Diese Entwicklung führte ironischerweise dazu, dass der historische Materialismus zu dem wurde, was Marx und Engels selbst scharf kritisiert hatten: eine Art Idealismus, der in seiner starren Auslegung das Primat der materiellen Bedingungen aus den Augen verliert. Eine weitere häufige Kritik am marxistischen Ansatz besagt, dass er unzureichend sei, um die enorme Komplexität der modernen Welt zu erklären.

In diesem Zusammenhang wird argumentiert, dass viele von Marx’ Prophezeiungen nicht eingetroffen sind. Die heutige Realität ist weit entfernt von den Vorhersagen, die Marx im 19. Jahrhundert gemacht hat: Es kam weder zu einem unabwendbaren Untergang des Kapitalismus noch zu einer weltweiten Übernahme durch Arbeiterregierungen.

Zwar gab es im 20. Jahrhundert wiederholt Versuche, diese marxistischen Ideen in die Praxis umzusetzen, doch die meisten dieser Versuche blieben entweder erfolglos oder führten zu Ergebnissen, die nicht den ursprünglichen Vorstellungen entsprachen.

Historischer Materialismus anhand von Beispielen

Um den von Marx und Engels vorgeschlagenen historischen Materialismus zu verstehen, genügt ein Blick in die Geschichte. Diese Theorie bietet ein mächtiges Werkzeug, um die Entwicklung menschlicher Gesellschaften sowie die antagonistischen Beziehungen, die sich innerhalb dieser Gesellschaften bilden, zu analysieren.

Ein entscheidender Wendepunkt war die Industrielle Revolution, die das alte feudale Wirtschaftssystem ablöste. Laut Marx und Engels führt die Entwicklung neuer Produktivkräfte zwangsläufig zu Veränderungen in den Produktionsverhältnissen. So entstand mit dem Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus eine neue soziale Ordnung, die zwei zentrale Klassen hervorbrachte: die Bourgeoisie und das Proletariat.

Der Konflikt zwischen diesen beiden Klassen führte zu revolutionären Spannungen, die in Ereignissen wie der Russischen Revolution ihren Ausdruck fanden. Ein weiteres prägnantes Beispiel für die Wirkungsweise des historischen Materialismus ist die Französische Revolution von 1789. Hier führte die feudale Gesellschaft zu Spannungen zwischen der aufstrebenden Bourgeoisie und der herrschenden Feudalelite. Verschärft wurde die Situation durch eine umfassende Krise, bei der die Monarchie unfähig war, sich an die neuen ökonomischen Realitäten anzupassen.

Das Resultat war ein tiefgreifender sozialer Umbruch, der die politische und wirtschaftliche Landschaft Europas nachhaltig veränderte.

Das Erbe und die Bedeutung des historischen Materialismus

Der historische Materialismus von Marx und Engels war eine derart einflussreiche Theorie, dass sie sowohl zeitgenössische als auch spätere Philosophen und Denkschulen herausforderte. Auf dieser Grundlage wurde eine tiefgreifende Analyse der Gesellschaft, der Ökonomie und der Klassenverhältnisse entwickelt, die bis in die Moderne hineinwirkt.

Viele Ideen von Marx und Engels prägten soziale Bewegungen und Revolutionen, die sich gegen die Ungerechtigkeiten des kapitalistischen Systems richteten. Auch wenn Marx’ Vorhersagen über den unaufhaltsamen Niedergang des Kapitalismus nicht in der Form eintrafen, wie er sie beschrieb, bildeten sie doch die Grundlage für eine kritische Theorie der modernen Welt, in der wir leben. Ihre Schriften halfen, die Mechanismen von Ausbeutung und Klassenherrschaft zu verstehen und den Weg für Diskussionen über gerechtere Gesellschaftssysteme zu ebnen.


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