Dem Tod in die Augen schauen, ist wie der Sonne ins Gesicht zu sehen
Wir erhielten einst ein kostbares Geschenk: die Fähigkeit, zu denken. Allerdings ist der Preis dafür teuer, denn das Denkvermögen wird von der Erkenntnis begleitet, dass auf uns alle der Tod wartet. Wir sind uns über unsere Endlichkeit bewusst, es gibt kein Zurück, kein anderes Schicksal. Wir wissen alle, dass wir irgendwann sterben werden. Es ist so, als würdest du der Sonne ins Gesicht schauen: Du kannst das kaum ertragen.
“Es ist nicht leicht, jeden Augenblick in vollem Bewusstsein des Todes zu leben. Das ist so, als versuche man, der Sonne ins Gesicht zu schauen.”
Irvin Yalom
Die Angst vor dem Tod
Die Angst vor dem Tod ist eine natürliche emotionale Reaktion: Unser Überlebensinstinkt warnt uns damit vor Gefahren, auch wenn wir alle wissen, dass wir sterben werden. Diese Angst nimmt neue Formen an, wenn wir älter werden, doch wir finden immer Wege, das unangenehme Gefühl des Todes zu mildern.
In der Kindheit
Die fallenden Blätter der Bäume und die beginnenden und endenden Jahreszeiten sind die ersten Kontakte, die wir mit dem Konzept des Endes haben. Im Alter von drei bis fünf Jahren verstehen Kinder den menschlichen Tod teilweise: Sie glauben, dass er umkehrbar ist und dass die verstorbene Person schläft oder auf eine Reise gegangen ist und irgendwann zurückkehren wird.
Bis zum Alter von neun Jahren personifizieren Kindern den Tod: Sie stellen sich eine Figur vor, wie ein Gespenst oder ein Monster. A neun bis zwölf Jahren wissen sie, dass es kein Zurück mehr gibt. Wenn Oma oder Opa, eine andere nahestehende Person oder auch ein Haustier stirbt, müssen die Eltern mit ihren Kindern über den Tod sprechen. Es ist wichtig, ihn als natürlichen Prozess zu definieren und eine kindgerechte Sprache zu verwenden.
In der Adoleszenz
In der Adoleszenz ist die Todesangst oft groß. Jugendliche sind sich darüber bewusst, dass er endgültig ist. Viele beschäftigen sich mit diesem Thema durch nächtliche Friedhofbesuche, Horrorfilme oder gewalttätige Online-Spile. Oft setzen sie sich sogar riskanten Situationen aus, um dem Tod zu trotzen.
Im Erwachsenenalter
Der Alltag ist im Erwachsenenalter meist herausfordernd und lässt nicht viel Zeit, um sich mit dem Tod zu beschäftigen. Die meisten empfinden keine Angst, doch mit fortschreitendem Alter nehmen die Gedanken an das Sterben kontinuierlich zu.
Krankhafte Angst vor dem Tod
Thanatophobie bezeichnet die krankhafte Angst vor dem Sterben. Es handelt sich um eine Angststörung, deren Intensität so extrem sein kann, dass sie das tägliche Leben der Person drastisch beeinträchtigt, bis hin zu dem Punkt, dass sie soziale Situationen oder den Kontakt mit potenziell gefährlichen Gegenständen komplett meidet. Eine Psychotherapie kann in diesem Fall helfen.
Dem Ende unserer Existenz ins Auge sehen
In dem Roman “Der Tod des Iwan Iljitsch” von Lew N. Tolstoi entdeckt der Protagonist, der qualvoll stirbt, dass er schlecht stirbt, weil er schlecht gelebt hat. Er erkennt, dass er sich durch den Schutz vor dem Tod auch vor dem Leben geschützt hat. Dann vollzieht er eine kurze, aber tiefgreifende Veränderung: Er beginnt, die Zeit, die ihm noch bleibt, zu genießen.
“Es reicht nicht, an den Tod zu denken, er muss uns immer vor Augen sein. Dann wird das Leben feierlicher, wichtiger, fruchtbarer und freudiger.”
Stefan Zweig
Unzählige Schriftsteller, Dramatiker, Musiker und Filmemacher haben einen großen Teil ihres Lebens der Produktion von Werken über den Tod gewidmet. Die künstlerische Darstellung der Leere und der Angst, die der Tod in uns auslöst, kommt gut an.
Andererseits gibt es Menschen, die an einer unheilbaren Krankheit leiden, sich jedoch nicht der Verzweiflung hingeben, sondern ins Positive verändern. Sie sind dankbar für das, was das Leben ihnen gibt, setzen Prioritäten und konzentrieren sich auf die wichtigen Dinge im Leben. Sie feiern jeden Moment und erreichen ihre Lieben auf eine noch nie dagewesene und tiefgreifende Weise. Manchmal ist der einzige Weg, das Leben zu genießen, die Konfrontation mit dem Tod.
“Obwohl uns die Physikalität des Todes zerstört, rettet uns die Idee des Todes.“
Irvin Yalom
Glücklicherweise gibt es auch andere, weniger extreme Ereignisse, die uns helfen können, aufzuwachen: das Ende einer Beziehung, wenn die Kinder das Haus verlassen, der Ruhestand oder ein wichtiger Geburtstag (30, 40, 90)…
Diese Situationen können nützlich sein, um uns unseres eigenen Seins bewusst zu werden, uns existenzielle Fragen zu stellen und Entscheidungen zu treffen, die unserem Wohlbefinden entsprechen und unsere Existenz sehr bereichern. Sich des Todes bewusst zu sein, ist ein Vorteil.
Alle zitierten Quellen wurden von unserem Team gründlich geprüft, um deren Qualität, Verlässlichkeit, Aktualität und Gültigkeit zu gewährleisten. Die Bibliographie dieses Artikels wurde als zuverlässig und akademisch oder wissenschaftlich präzise angesehen.
- Irvin D. Yalom (2008) “Mirar al Sol. La superación del miedo a la muerte”.