Das Overton-Fenster

Das Overton-Fenster
Sergio De Dios González

Geschrieben und geprüft von dem Psychologen Sergio De Dios González.

Letzte Aktualisierung: 01. März 2019

Das Overton-Fenster ist ein politisches Konzept. Es beschreibt, wie die öffentliche Meinung zu einem Thema geändert werden kann. Diese Theorie besagt auch: Was zuvor als absurd angesehen wurde, kann auf lange Sicht von der Öffentlichkeit akzeptiert werden.

Wenn wir dieser Theorie Glauben schenken wollen, sind davon noch nicht einmal Tabus ausgeschlossen. Das heißt, die Meinung der Gesellschaft zu Themen wie Inzest, Pädophilie oder Kannibalismus wäre radikal änderbar. Es wäre noch nicht einmal notwendig, eine Gehirnwäsche zu betreiben oder ein diktatorisches Regime zu implementieren. Nein, man müsste nur eine Reihe fortschrittlicher Techniken entwickeln, deren Umsetzung von der Gesellschaft nicht bemerkt werden würde.

Ursprünge des Konzepts vom Overton-Fenster

Joseph Overton begründete diese Theorie. Er stellte fest, dass die öffentliche Meinung nur eine geringe Bandbreite möglicher Aussagen akzeptiere. Und diese Bandbreite ändere sich nicht, wenn Politiker ihre Meinung ändern. Stattdessen sei es die öffentliche Meinung, die die Bandbreite der Aussagen bestimme.

Overton entwickelte ein Modell, das Aussagen auf einer vertikalen Achse von „meiste Freiheit“ am oberen Rand des Spektrums bis zur „geringster Freiheit“ am unteren Rand verortet. Staatliche Eingriffe können auf diese Achse bezogen werden und seiner Hypothese zufolge befinden sich akzeptable Richtlinien innerhalb eines Fensters, das sich auf dieser Achse bewegt.

Ein Professor steht am Rednerpult, während er seine Vorlesung hält.

Die Stufen des Overton-Fensters

Grundsätzlich scheint es unmöglich, dass die Gesellschaft einige der oben genannten Tabus jemals akzeptieren würde. Die Overton-Fenster-Theorie argumentiert jedoch, dass dies passieren kann. Um zu sehen, woraus die verschiedenen Stufen des Overton-Fensters bestehen, konzentrieren wir uns auf ein bestimmtes Tabu: Kannibalismus.

Stufe 1: Vom Undenkbaren zum Radikalen

In der ersten Phase befindet sich Kannibalismus auf dem niedrigsten Akzeptanzniveau. Die Gesellschaft hält Kannibalismus für unmoralisch. Er wird als widerlich und absurd betrachtet. Zu diesem Zeitpunkt ist das Fenster geschlossen und bewegt sich nicht.

Um die öffentliche Meinung zu verändern, beginnen Wissenschaftler, dieses Tabu zu untersuchen. Für Wissenschaftler sollte es ja keine Tabuthemen geben. Daher beginnen sie, die Traditionen und Rituale einiger Stämme näher zu untersuchen. In der Folge wird der Kannibalismus wiederholt als fremde, aber doch irgendwie menschliche Tradition dargestellt.

Stufe 2: Vom Radikalen zum Akzeptablen

In der ersten Stufe ist eine undenkbare Idee zu einer radikalen Idee geworden. In der zweiten Phase beginnen die Menschen, die Idee langsam zu akzeptieren. Basierend auf den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen, betrachtet die Gesellschaft diejenigen als uneinsichtig, die sich weigern, sich das neue Wissen über das Tabu anzueignen.

Menschen, die sich gegen diese Entwicklung wehren, sind nun Fanatiker, da sie sich den neusten Erkenntnissen verschließen. Diese Intoleranz wird öffentlich verurteilt, denn die Idee verliert ihre negativen Konnotationen. Der Begriff „Kannibalismus“ kann sich dabei in etwas Annehmbareres wandeln, wie “Anthropophagie”. Die Medien helfen bei dieser Entwicklung, da sie das Essen von menschlichem Fleisch nach und nach akzeptabel und respektabel erscheinen lassen.

Stufe 3: Vom Annehmbaren zum Vernünftigen

Der Konsum von menschlichem Fleisch ist nun normal. Die Idee erscheint der Gesellschaft als sinnvoll. Diejenigen, die sich weiterhin vehement dagegen aussprechen, werden scharf kritisiert. Nun sind es diese Menschen, die als radikal angesehen werden.

Außerdem bestehen Wissenschaft und Medien darauf, dass es in der menschlichen Geschichte immer Kannibalismus gegeben habe.

Stufe 4: Vom Vernünftigen zum Trend

Nun ist Kannibalismus ein Lieblingsthema. Die Idee erscheint in Filmen und Fernsehserien als etwas Positives.Gleichzeitig werden historische Persönlichkeiten, die sich auf diese Praxis beziehen, bewundert. Das Phänomen wird vielfältiger diskutiert und sein positives Image wird gestärkt.

Ein Mann manipuliert seine Mitmenschen.

Stufe 5: Vom Trend zur Politik

Das Overton-Fenster, das zu Beginn geschlossen war, hat sich inzwischen weit geöffnet und auf der Achse nach oben verschoben. In dieser letzten Phase beginnt sich die Legislative, die das Phänomen legalisieren möchte, vorzubereiten. Anhänger des Kannibalismus konsolidieren sich in der Politik und suchen nach mehr Macht und Vertretung.

Eine Idee, die zuerst undenkbar und unmoralisch schien, hat sich im kollektiven Bewusstsein als vernünftig etabliert. Dies lässt sich durch die Verschiebung des Overton-Fenters erklären. Die Verschiebung von dem, was uns akzeptabel erscheint, könnte sogar bei etwas geschehen, dass uns heute noch total verrückt erscheint. In der Geschichte finden wir Beispiele dafür, wie eine solche Entwicklung zum sozialen Wachstum beigetragen hat (denken wir an die Rechte von Homosexuellen und Transsexuellen), aber auch dafür, wie sie Errungenschaften zunichte machen kann (als Beispiel sei die zunehmende Akzeptanz des Nicht-Impfens genannt).


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