5 Mythen über das Gehirn, die du für wahr hältst

5 Mythen über das Gehirn, die du für wahr hältst
Cristina Roda Rivera

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Cristina Roda Rivera.

Letzte Aktualisierung: 12. Januar 2023

Wenn eine Idee in unserer Gesellschaft erst einmal Fuß gefasst hat, wird es sehr schwer, diese aus unseren Gehirn zu entfernen, weil wir von klein auf an sie glauben. Und wenn wir gerade von Gehirnen reden – das Gehirn ist ein Organ, zu dem besonders viele Irrglauben existieren. Die sozialen Netzwerke sind voll von Mythen über das Gehirn, und oftmals geben wir diese als vermeintliche Fakten weiter, wenn wir uns mit Freuden oder Familie treffen, um mit unsere scheinbaren Weisheit anzugeben.

Die Philosophin Elena Pasquinelli hat ein Buch darüber geschrieben, in dem sie diese Mythen über das Gehirn thematisiert. Es ist noch nicht auf Deutsch verfügbar, aber wenn du der französischen Sprache mächtig bist, kannst du Mon cerveau, ces héros, mythes et ráéalité  lesen, herausgegeben vom Verlag Le Pommier. Wenn nicht, dann beschreiben wir hier einige der im Buch angesprochenen Mythen.

Elena glaubt, dass die Verbindung von Wissenschaft und Gesellschaft noch viel zu wünschen übrig lasse. Von Zeit zu Zeit herrsche Argwohn und Misstrauen unter den Menschen, und manchmal glauben sie ohne nachzudenken, was ihnen gesagt werden. Das menschliche Gehirn scheine bei vielen dieser Kontoversen im Mittelpunkt zu stehen und ohne noch mehr Worte zu verlieren, wollen wir fünf dieser Mythen unter die Lupe nehmen.

Mythen über das Gehirn

Wir nutzen nur 10% unseres Gehirns

Es ist zwar wahr, dass Menschen sich manchmal verhalten, als hätten sie gar kein Gehirn.  Aber die „10%-Idee“ ist eine der beständigsten und rätselhaftesten Mythen über das Gehirn. Das erste Rätsel ist die Frage, woher diese Aussage überhaupt kommt – niemand weiß das so genau.

Moderne Verfahren der bildgebenden Diagnostik zeigen uns eindeutig, dass wir unser gesamtes Gehirn benutzen. Jede Region des Gehirns wird in irgendwann in irgendeiner Art aktiviert, im Rahmen der vielen Aufgaben, die wir tagtäglich erledigen.

Es ist wahr, dass wir unser Gehirn auf verschiedene Art und Weise benutzen, und dass es kognitive Fähigkeiten gibt, die bei manchen Menschen mehr ausgeprägt sind als bei anderen. Jedoch hat das nichts damit zu tun, zu welchem Prozentsatz wir unser Gehirn zu jeglicher Zeit benutzen. Dieser Mythos ist also kompletter Unsinn.

Wir haben ein linkes Gehirn und ein rechtes

Dies ist einer der bekanntesten Mythen über das Gehirn, und er wird oftmals mithilfe seltsamer Diagramme dargestellt. Tatsächlich ist dieser Mythos in unserer Gesellschaft inzwischen weitverbreitet und hat teilweise sogar die Wissenschaft erreicht. Es wird über diesen Mythos viel geschrieben wird, obwohl er gar keine Grundlage hat. Wir können begreifen, dass er Unsinn ist, wenn wir betrachten, wie das gesamte Gehirn aktiviert wird, wenn bestimmte Aufgaben ausgeführt werden, die angeblich nur von einer der Gehirnhälften gesteuert sein sollen.

Logische und kreative Hirnhälfte

Obwohl es wahr ist, dass manche Funktionen mehr von einer Gehirnhälfte gesteuert werden als von der anderen, sind die Verbindungen zwischen den beiden Hälften so vielfach und stark, dass sie nicht eigenständig oder getrennt voneinander funktionieren können.

Gehirne von Frauen arbeiten anders als die von Männern

Die Gehirne beider Geschlechter zeigen anatomische Verschiedenheiten auf. Das kann jedoch auch bei anderen Organen und körperlichen Merkmalen der Fall sein, wie z. B. bei den Hormonen und der Körpergröße. Einer jüngsten Studie zufolge, die für viel Gesprächsstoff sorgte, scheinen Männer mehr Synapsen innerhalb bestimmter Teile des Gehirns zu haben, wohingegen bei Frauen mehr Verbindungen zwischen den beiden Gehirnhälften bestehen.

Diese Ergebnisse beruhen auf statistischen Methoden, nach denen Ergebnisse voreingenommen interpretiert werden. Aber man verfolgt ja hauptsächlich das Ziel, mit der Überschrift Eindruck zu machen. Und auf diesem Weg breiten sich Mythen über das Gehirn ganz einfach aus. Die Ergebnisse dieser Studie besagen nicht, dass Männer und Frauen unterschiedliche Gehirne hätten. Sie zeigen jedoch, dass sich die Synapsen bei Männern und Frauen hinsichtlich Lokalisation und Dichte unterscheiden. Die Funktion aller Synapsen hängt jedoch davon ab, welchen Aktivitäten eine Person nachgeht, und nicht von ihrem Geschlecht.

Dank neuronaler Plastizität ist alles möglich

Unser Gehirn ist plastisch, dynamisch und sehr empfänglich für die Reize, die wir über einen Großteil des Tages empfangen. Ein Beispiel hierfür ist eine Studie, die an Taxifahrern aus London durchgeführt wurde, und die zeigte, dass sich ihre Gehirne im Laufe ihrer Berufstätigkeit veränderten. Die Bereiche, die für räumliche Orientierung zuständig sind, wurden größer und weisen mehr Verbindungen auf als in der Durchschnittsbevölkerung.

Das Gehirm beim Training

Unabhängig davon, ob wir Taxifahrer in einer Großstadt sind, oder einem anderen Beruf nachgehen – Plastizität kann zur Stärkung bestimmter Bereiche in unserem Gehirn führen, wobei andere vernachlässigt werden. Die Entwicklung ist davon abhängig, welchen Aktivitäten wir nachgehen, aber auch von Umwelteinflüssen und dem allgemeinen physischen und kognitiven Zustand der Person.

Allerdings hat diese neuronale Plastizität auch ihre Grenzen. Diesen Grenzen können wir uns nähern, je mehr wir üben. Jedes Gehirn wird seine eigene Architektur entwickeln, aber es gibt Grenzen, mit denen wir letzten Endes leben müssen.

Wir können unsere Gehirnleistung durch Gehirntraining steigern

Hier bewegen wir uns auf einem schmalen Grat. Allgemein können wir sagen, dass jegliches Gedächtnistraining, Rechenübungen oder Aktivitäten, die unsere Aufmerksamkeit steigern, eine unmittelbare positive Auswirkung auf uns haben. Hier aber stellt sich die Frage nach der Ursache. Ist diese Verbesserung tatsächlich auf das Training zurückzuführen, oder handelt es sich lediglich um einen Placeboeffekt, der mit der gerade getätigten Aktivität zusammenhängt?

Diese Frage wird umso wichtiger, wenn wir berücksichtigen, dass dieser Effekt nach Beenden der Aktivität normalerweise nicht sehr lange anhält. Auf der anderen Seite kennen wir das Sprichwort, dass Übung den Meister macht. Wie steht es also nun um die Kondition unseres Geistes: Verbessern sich unsere Fähigkeiten oder unsere Strategien?

Wenn wir zum Beispiel eine Zeit lang Schach spielen, ist es ganz normal, dass sich mit der Zeit unsere Strategien verbessern, auf die wir über unsere Gedächtnis zugreifen, nicht aber dass zugrundeliegende psychologische Prozesse anpasst werden. Wir sammeln Erfahrungen, die uns zeigen, dass manche Strategien erfolgreicher sind als andere.

Nichtsdestoweniger scheint es so, als könne die natürliche Alterung des Gehirns mit der Zeit durch kognitives Training verlangsamt werden. Darüber hinaus konnten bei Menschen mit degenerativen Erkrankungen, wie z. B. Demenz, Verbesserungen der Gedächtnisleistung nachgewiesen werden, wenn sie regelmäßig trainierten. Es scheint auch wahr zu sein, dass Training von großem Nutzen ist, wenn wir nach einer langen Untätigkeit in einem bestimmten Bereich wieder auf ein Grundniveau gelangen möchten.

Alter Mann mit Fenster im Kopf

In diesem Artikel haben wir einige der gängigsten Mythen über das Gehirn dargelegt. Es gibt jedoch noch viele andere, die wir nicht angesprochen haben, und auch jene, die Mythen bleiben, die wir noch nicht entschlüsselt haben, weil die Wissenschaft noch keinen Weg zu einer Lösung gefunden hat. Die Erforschung unseres Gehirns bleibt ein spannendes Thema, denn das Gehirn ist das erstaunlichste und komplexeste Werkzeug, das uns bekannt ist.


Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.