Selektiver Mutismus bei Erwachsenen: die Sprache des Schweigens
Selektiver Mutismus ist eine Angststörung, die in der Regel bei Kindern vorkommt, jedoch auch bei Erwachsenen auftreten kann. Betroffene sind unfähig, in bestimmten sozialen Situationen zu sprechen, obwohl sie in anderen Umgebungen durchaus in der Lage sind, zu kommunizieren. Wir gehen anschließend den Ursachen und Symptomen dieser Störung auf den Grund.
Selektiver Mutismus bei Erwachsenen
Ein in der Zeitschrift Psychiatria Polska veröffentlichter Artikel weist auf eine wichtige Änderung in der neuesten Version des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-V) hin: Der selektive Mutismus ist nicht mehr in der Kategorie “Störungen im Kindes- und Jugendalter” sondern unter “Angststörungen” zu finden. Es gibt bei der Diagnose keine spezifischen Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen, da die Symptome ähnlich, wenn auch nicht gleich sind.
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Diagnose
Selektiver Mutismus wird bei Erwachsenen anhand von bestimmten Verhaltensmustern diagnostiziert, die im DSM-V festgelegt wurden. Dazu gehören eine spürbare Beeinträchtigung der akademischen, sozialen oder beruflichen Leistung und die anhaltende Unfähigkeit, in bestimmten Situationen zu sprechen.
Voraussetzung für die Diagnose ist, dass diese Störung mindestens einen Monat lang anhält und nicht auf eine andere Kommunikationsstörung oder mangelnde Vertrautheit mit der gesprochenen Sprache zurückzuführen ist.
Ursachen
Ein Artikel in Nervenarzt beschreibt, dass der selektive Mutismus meist in der frühen Kindheit mit dem Verstummen in bestimmten Situationen beginnt. Solche Episoden können sich bis ins Erwachsenenalter hinziehen.
Die Ursache ist multifaktoriell, denn genetische, psychologische und sprachentwicklungsbedingte Einflüsse spielen dabei eine wesentliche Rolle. Diese Störung geht oft mit anderen Störungen oder Erkrankungen wie Autismus, Angst oder sozialer Phobie und Depression einher.
Das Schweigen ist in der Regel keine bewusste oder freiwillige Entscheidung, sondern eine Angstreaktion in bestimmten Situationen.
Symptome
Die diagnostischen Kriterien umfassen bei Erwachsenen unter anderem folgende spezifischen Symptome:
- Tendenz, soziale Begegnungen zu vermeiden und sich von anderen zu isolieren.
- Übermäßige Schüchternheit und Angst vor Ablehnung, was die soziale Interaktion zusätzlich erschwert.
- Erwachsene mit selektivem Mutismus fühlen sich oft wohler, wenn von ihnen nicht erwartet wird, dass sie sprechen, wie zum Beispiel im Kino oder im Theater.
- Körperliche Angstsymptome wie Herzklopfen, übermäßiges Schwitzen, Zittern und Muskelanspannung in Situationen, die selektiven Mutismus auslösen.
- Unfähigkeit, bei Arbeitstreffen, gesellschaftlichen Veranstaltungen oder an öffentlichen Plätzen zu sprechen, obwohl sie ganz normal mit Menschen, denen sie vertrauen, oder in einem Umfeld, das sie für sicher halten, kommunizieren.
In diesem komplexen Szenario ist es wichtig zu erwähnen, dass Stress, Frustration und allgemeines Unbehagen häufige Reaktionen dieser Menschen sind und die Situation zusätzlich verschlimmern.
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Selektiver Mutismus im Alltag
Selektiver Mutismus kann das alltägliche Leben stark beeinträchtigen. Am Arbeitsplatz stehen Betroffene vor einer schwierigen Herausforderung, denn sie sind oft nicht in der Lage, in Meetings, bei Präsentationen oder im Umgang mit Kollegen zu sprechen.
Auch das soziale Leben ist für Menschen mit dieser Störung kompliziert. Viele geraten in einen schädlichen Kreislauf, der sie dazu bewegt, sich zu isolieren. Sie verpassen viele Chancen, neue Beziehungen aufzubauen und verlieren mit der Zeit das Vertrauen in jede Kommunikation.
Andererseits führt selektiver Mutismus häufig auch zu erhöhtem Stress und depressiven Zuständen. Schüchternheit und Angst vor Missbilligung können die persönliche Entwicklung und das Selbstwertgefühl einschränken.
Selektiver Mutismus hat erhebliche Auswirkungen auf verschiedene Aspekte des täglichen Lebens. Deshalb ist es wichtig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um dieses Problem zu lösen.
Selektiver Mutismus bei Erwachsenen: Therapiemöglichkeiten
Die Behandlung richtet sich nach den spezifischen Begleiterkrankungen oder den Ursachen der Störung. Der therapeutische Ansatz muss dabei individuell auf die Bedürfnisse jeder einzelnen Person zugeschnitten sein. Manche Menschen leiden zusätzlich an einer Sozialphobie, andere an Depressionen oder an einer generalisierten Angststörung.
Eine Psychotherapie zählt jedoch in allen Fällen zu den wichtigsten Maßnahmen, um Betroffenen zu helfen. Ein in der Fachzeitschrift Nordic Journal of Psychiatry veröffentlichter Forschungsbericht beschreibt die kognitive Verhaltenstherapie als eine der wirksamsten und am häufigsten verwendeten Therapieform. In manchen Fällen ist zusätzlich eine pharmakologische Therapie erforderlich. Professionelle Hilfe ist auf jeden Fall grundlegend, um diese Störung zu bewältigen.
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