Musik und Alzheimer: Wenn Gefühle auf einmal erwachen
Musik und Alzheimer haben eine ganz besondere, starke und faszinierende Verbindung zueinander. Patienten, die Morbus Alzheimer im fortgeschrittenen Stadium haben, verspüren auf einmal wunderbare Emotionen, wenn sie ein Lied aus ihrer Jugend oder rhythmische Musik hören, was aus irgendeinem Grund Erinnerungen und vergessen geglaubte kognitive Fähigkeiten weckt. Sie fühlen sich wie von einem Meer an wunderbaren Gefühlen umgeben – und all das dank der Musik!
Es gibt Menschen, die sagen, dass das mehr als nur ein Mysterium sei. Neurologen bestätigen, dass unser Gehirn, aus irgendeinem bislang unbekannten Grund, jene mit dem musikalischen Langzeitgedächtnis in Verbindung stehenden Bereiche intakt halte. Psychologen sowie Therapeuten und Familienmitglieder, die sich täglich um ihre Liebsten kümmern, wissen, dass Musik diesen Menschen, die mit dieser verheerenden Krankheit leben müssen, vor allem Trost spendet.
Musik zu hören oder zu singen kann Menschen mit Morbus Alzheimer und anderen Demenzerkrankungen auf emotionaler Ebene und auf Verhaltensebene sehr helfen.
Vielleicht ist dir der Name Glen Campbell bekannt. In den sechziger und siebziger Jahren war er in den vereinigten Staaten eine Ikone der Country Music. Er ist vor noch nicht allzu langer Zeit, nachdem er schwer an Morbus Alzheimer erkrankt war, gestorben. Seine Geschichte könnte eine von vielen sein, die ein wunderbares Leben voller Erfolge, Schwierigkeiten und unvergesslicher Momente umfasst, aber auch die Herausforderung, sich irgendwann einer Krankheit zu stellen, die nach und nach Erinnerungen auslöscht.
Die Geschichte von Glen Campbell ist aus klinischer Sicht aus einem sehr bestimmten Grund aber eine Ausnahmegeschichte: Er hörte nie auf, zu singen und Gitarre zu spielen. Wenn er diesen Aktivitäten nachging, konnte er teilweise wieder klar denken, sodass er erstaunlicherweise noch ein paar Mal auf Tour gehen konnte. In bestimmten Momenten sprach er zu seinem Publikum und erzählte ihm, dass es ihm seltsamerweise gelungen wäre, sich vom Alkohol zu lösen, aber nicht von dieser abscheulichen Krankheit.
Ein Fall, der zweifellos faszinierend ist, eine Geschichte, die uns dazu einlädt, uns zu fragen, was hinter diesem Zusammenhang zwischen Musik und Alzheimer steckt.
Musik und Alzheimer: Ein Mysterium, das langsam keines mehr ist
Es ist schon seit einiger Zeit bekannt, dass es einen besonderen Zusammenhang zwischen Musik und Alzheimer gibt: die progressive Degeneration des Gehirns betrifft all jene Strukturen nicht, die mit dem musikalischen Langzeitgedächtnis in Verbindung stehen. Aber erst vor kurzer Zeit konnte man diese zuordnen, und zwar dank neuer Techniken des Neuroimaging.
Laut einer am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig (Deutschland) durchgeführten Studie konnten erstmals jene Bereiche des musikalischen Gedächtnisses lokalisiert werden und, wie erwartet, konnte gezeigt werden, dass diese (beinahe) intakt blieben.
Dr. Jörn-Henrik Jacobsen, der für diese Forschungsarbeit verantwortlich war, sagte, dass man bis vor Kurzem noch geglaubt hätte, dass unsere musikalischen Fähigkeiten in den Temporallappen lokalisiert seien. Die Diagnosetests zeigten jedoch eindeutig etwas anderes: Das musikalische Gedächtnis befindet sich in der supplementär-motorischen Rinde. In diesem privilegierten Bereich, in dieser kleinen magischen Ecke unseres Gehirns, haben Alzheimer und sein zerstörerischer Schatten keine so große Wirkung. Der Verlust von Neuronen ist geringer und die Ablagerung von Amyloidplaques ist ebenfalls vermindert. Das heißt, dieser Bereichs bleibt funktionell und arbeitet weiterhin.
Und genau dort versteckt sich ein Teil unseres Lebensmutes, der im Stillen darauf wartet, dass uns die Musik für einen Moment, einen wundervollen Augenblick lang aufweckt, in dem wir wieder wir selbst sein können.
Welche Vorteile Musik für Alzheimer-Patienten hat
Etwas, das wir über die Verbindung zwischen Musik und Alzheimer wissen, ist, dass erstere Einfluss auf unsere autobiografischen Erfahrungen hat. Im Laufe unseres Lebens gibt es Momente, die wir in Zusammenhang mit einem Lied, einer Melodie, einem bestimmten Kontext, Menschen, die daran Teil hatten, und verspürten Gefühlen bringen.
Wenn also ein Alzheimer-Patient eine für ihn bedeutungsvolle Melodie hört, die ihn an seine eigene Person und seine Vergangenheit erinnert, passiert Folgendes:
- Das Gefühl von Angst und Furcht lässt nach.
- Der Patient entspannt sich.
- Die Gemütsverfassung des Patienten verbessert sich und es gelingt ihm wieder, sich mit seinem Umfeld zu verbinden.
- Der erstaunlichste Vorteil besteht darin, dass eine emotionale Verbindung erzeugt wird, so als würden Gefühle, wie Lust am Leben und Freude, erwachen, obwohl der Patient noch vor wenigen Sekunden einen lethargischen Eindruck gemacht hat.
Wie kann ich einem geliebten Menschen, der an Morbus Alzheimer erkrankt ist, durch Musik helfen?
An diesem Punkt angekommen und in dem Wissen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Musik und Alzheimer gibt, wünschen sich bestimmt viele unserer Leser, die ein Familienmitglied mit dieser Erkrankung haben, sich eine Zeit lang mit diesem Menschen verbinden zu können. Was sie sich aber vor allem wünschen, ist, diesen Menschen lächeln zu sehen.
Mit den nachfolgenden Tipps kann uns das leichter gelingen:
- Denk an die Lieblingsmusik deines Familienmitglieds, an alle Lieder, Melodien, Balladen oder Konzerte, die Teil seines Lebens sind.
- Wähle den passenden Zeitpunkt aus. Damit meinen wir einen Moment am Tag, an dem der geliebte Mensch entspannt ist.
- Erzeuge ein angenehmes Ambiente, ohne störende Reize von außen. Das Zimmer sollte von Ruhe und Harmonie erfüllt sein.
- Setze ihm Kopfhörer auf. Das musikalische Erlebnis und die Konzentration sind dann noch intensiver, der Effekt auf das Gehirn hält länger an.
- Versuche, ihn dazu zu bringen, sich ein wenig zu bewegen. Hilf ihm dabei, dem Rhythmus zu folgen, klatsche, bewege deine Füße oder versuche sogar zusammen mit hm, zu tanzen. Dann wird dieses Erlebnis noch schöner sein.
Zu guter Letzt solltest du daran danken, seine Reaktion zu beobachten. Es kann sein, dass ihm manche Lieder nicht gefallen oder es andere gibt, die eine positivere Reaktion auslösen. So oder so ist es aber am wichtigsten, dass wir einfach für unsere Liebsten da sind, dass wir sie als Teil von uns fühlen und dass wir sie einen Moment lang einfach in den Arm nehmen und spüren, wie ihre Essenz, ihr wahres Wesen wieder zum Vorschein kommt.