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Kreativität und Krise: Warum Musiker oft psychisch leiden

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Die Lebensgeschichten von Künstlern wie Kurt Cobain, Amy Winehouse, Avicii und Sinéad O’Connor zeigen eindrucksvoll: Hinter großem Ruhm können tiefe seelische Abgründe liegen – Erfolg und emotionales Leid schließen sich nicht aus, sie gehen oft Hand in Hand. Ein Beitrag von Juan Manuel Orjuela, Neuropsychiater und Professor für Neuromusik im Masterprogramm der NUS Agency.
Kreativität und Krise: Warum Musiker oft psychisch leiden
Geschrieben von Redaktionsteam
Letzte Aktualisierung: 21. Juni 2025

Für viele Künstlerinnen und Künstler – vielleicht auch für dich – ist Musik ein Ventil, um intensive Gefühle zu verarbeiten und das auszudrücken, was sich nur schwer in Worte fassen lässt. Diese tiefe emotionale Verbindung und der ständige Anspruch an Authentizität machen Musiker jedoch besonders anfällig für psychische Belastungen.

Hinzu kommen ein hoher Selbstanspruch, Perfektionismus, permanenter öffentlicher Druck, ein unregelmäßiger Lebensstil, finanzielle Unsicherheiten – und nicht selten auch Drogenkonsum, um das Tempo durchzuhalten oder überhaupt schlafen zu können. Eine toxische Kombination, die im schlimmsten Fall sowohl Leben als auch Karriere zerstören kann.

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Erhöhtes Risiko für Depressionen

Untersuchungen zeigen: Musikerinnen und Musiker leiden im Vergleich zu anderen Berufsgruppen deutlich häufiger unter psychischen Erkrankungen. Zwei Professoren der University of Westminster fanden heraus, dass Musiker dreimal so häufig von Depressionen betroffen sind wie die Allgemeinbevölkerung.

Laut der britischen Stiftung Help Musicians gaben bereits 2016 über 70 % der befragten Künstler an, mit psychischen Problemen zu kämpfen oder gekämpft zu haben. Musik kann zwar heilsam sein – sie kann aber auch tief verborgene, ungelöste Konflikte an die Oberfläche bringen.

Neurowissenschaftliche Studien belegen, dass kreative Menschen eine stärkere Vernetzung zwischen Hirnregionen haben, die mit Emotionen, Gedächtnis und kreativem Denken in Verbindung stehen. Das führt dazu, dass du Gefühle intensiver erlebst – und damit auch verletzlicher wirst.

Musikerinnen und Musiker haben oft eine außergewöhnliche emotionale Durchlässigkeit. Diese Sensibilität ist ein Teil ihres Talents – aber auch ein Risikofaktor. Ständige Kritik, der Druck der Branche und die Angst, vergessen oder ersetzt zu werden, können Beziehungen belasten und zu chronischer emotionaler Erschöpfung führen.

Ruhm, Drogen und Selbstmord

Bühnenangst, soziale Unsicherheit, Panikattacken und das Gefühl innerer Leere nach einem Konzert – all das ist kein Einzelfall. Viele bekannte Künstler haben offen über ihre Depressionen gesprochen. Leider werden diese Probleme durch Dauerstress und Substanzmissbrauch oft noch verschärft.

Manche Musiker greifen zu Drogen, da sie glauben, damit ihre Nervosität und Ängste zu verlieren. Andere konsumieren Stimulanzien wie Kokain, um sich emotional zu pushen – oder um der totalen Erschöpfung auf Tour entgegenzuwirken. Wieder andere versuchen, ihr kreatives Hoch künstlich aufrechtzuerhalten.

Das Problem ist: Viele geraten dadurch in eine Abhängigkeit, die die psychische Gesundheit massiv schädigt. Im schlimmsten Fall führt sie in eine schwere Depression – bis hin zu Suizidgedanken, besonders dann, wenn keine rechtzeitige professionelle Hilfe erfolgt.

Ein bekanntes Beispiel: Adele schrieb einige ihrer größten Hits nach Beziehungskrisen. Emotionale Krisen können kreative Prozesse auslösen – aber wenn du an einer schweren Depression leidest, dich zurückziehst oder deine Selbstfürsorge aufgibst, ist psychologische Unterstützung dringend notwendig.

Die zwei Gesichter der Musik

Musik ist kraftvoll. Sie kann trösten, motivieren, heilen. Die Musiktherapie kann Emotionen regulieren, Glücksgefühle auslösen und das seelische Gleichgewicht fördern.

Aber als Berufsmusiker ist deine Beziehung zur Musik oft eine ganz andere. Der Druck, Leistung abzuliefern, kreativ zu bleiben, gleichzeitig finanziell über die Runden zu kommen – all das kann die schützende Wirkung der Musik überlagern.

Fachleute bestätigen: Wer in der Musikbranche arbeitet, hat ein signifikant höheres Risiko für Angststörungen und Depressionen. Trotzdem scheuen sich viele davor, Hilfe zu suchen – aus Angst, als schwach oder instabil zu gelten.

Doch es gibt auch Hoffnung: Immer mehr Stars wie Selena Gomez, J. Balvin oder Chris Martin sprechen offen über ihre psychischen Probleme. Sie zeigen: Du bist nicht allein. Auch erfolgreiche Künstler kämpfen – und gerade diese Verletzlichkeit macht sie menschlich.

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Psychologische Hilfe kann schützen – und retten

Musik ist ein mächtiges Mittel. Doch die hohe emotionale Sensibilität, die du als Musiker oder Musikerin mitbringst, kann dich auch in eine dichte, innere Welt führen, die schwer zu durchdringen ist.

Über psychische Gesundheit in der Musik zu sprechen, bedeutet, den Blick hinter den Vorhang zu werfen – auf die inneren Kämpfe, die oft zwischen den Zeilen eines Songs liegen. Diese Kämpfe verdienen Gehör. Und manchmal brauchen sie professionelle Hilfe, um wirklich verarbeitet zu werden.

Autor: Neuropsychiater Juan Manuel Orjuela, Professor an der NUS Agency.


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Dieser Text dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Fachmann. Bei Zweifeln konsultieren Sie Ihren Spezialisten.