Introvertiert ist nicht schüchtern
Introvertiert ist nicht schüchtern, trotzdem werden diese beiden Eigenschaften häufig synonym verwendet, da sie zu ähnlichem Verhalten führen. Wir sehen uns heute die Unterschiede an, denn in Wahrheit sind schüchterne und introvertierte Menschen grundverschieden.
Introvertiert oder schüchtern?
Schüchterne Menschen fühlen sich in der Gesellschaft anderer oft unwohl und gehemmt. Sie werden deshalb von manchen als unsympathisch wahrgenommen, denn es fällt ihnen schwer, die Hemmschwelle zu überwinden und sich in Gesprächen mit anderen auszutauschen. Oft haben sie Angst vor Ablehnung, glauben, sich lächerlich zu machen oder peinlich zu sein.
Introvertierte Menschen hingegen ziehen Ruhe und Einsamkeit vor, haben jedoch kein Problem damit, gelegentlich soziale Erfahrungen, Gespräche oder Aktivitäten mit anderen zu teilen. Sie lieben jedoch die Pausen dazwischen, da sie in der Stille Energie tanken. Sie beschäftigen sich lieber mit ihrer Innenwelt als mit Oberflächlichkeiten und bevorzugen deshalb tiefgehende Gespräche, denn mit Small Talk können sie nicht viel anfangen.
Schüchterne Menschen vermeiden soziale Ereignisse aus Angst, introvertierte, weil sie in der Einsamkeit Energie tanken.
Die neuronalen Grundlagen
Studien machen deutlich, dass die neuronalen Grundlagen unterschiedlich sind. Eine in der Fachzeitschrift Social Neuroscience veröffentliche Forschungsarbeit zeigt auf, dass bei schüchternen Menschen, die wütende oder verärgerte Gesichter sehen, neuronale Netzwerke im rechten dorsalen anterioren cingulären Kortex, der mit Furcht und Konfliktüberwachungsreaktionen zusammenhängt, aktiv werden. Bei introvertierten Menschen hingegen sind Regionen des anterioren cingulären Kortex, des dorsolateralen präfrontalen Kortex, des medialen temporalen Gyrus und der Amygdala aktiv.
Persönlichkeitsmerkmale oder psychische Störungen?
Es ist wichtig zu betonen, dass beide Eigenschaften Persönlichkeitsmerkmale und keine Störungen sind. Obwohl sie auf einem Kontinuum existieren und als Störungen angesehen werden könnten, wenn sie die tägliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, dürfen wir Menschen, die wenig Freude an sozialen Kontakten haben, nicht pathologisieren.
Schüchternheit und Introvertiertheit: die negativen Folgen
Beide Persönlichkeitsmerkmale haben insbesondere bei starker Ausprägung verschiedene negative Folgen. Betroffene entwickeln zum Teil soziale Ängste oder ein schwaches Selbstwertgefühl. Mit den richtigen Strategien können sie jedoch ihre sozialen Fähigkeiten verbessern und ihre Zufriedenheit in Beziehungen aller Art erhöhen. Es geht nicht darum, zu einem extrovertierten oder extrem kontaktfreudigen Menschen zu werden, sondern sich in Gesellschaft nicht unwohl zu fühlen und angenehme Erinnerungen zu schaffen.
Techniken zur Verbesserung sozialer Beziehungen
Die am häufigsten eingesetzte Therapie in solchen Fällen ist die kognitive Verhaltenstherapie. McManus et al. (2000) konnten ihre Wirksamkeit im Zusammenhang mit sozialen Ängsten und mangelndem Selbstwertgefühl nachweisen.
Handelt es sich nicht um pathologische Ausprägungen, können auch andere Strategien hilfreich sein. Viele Menschen profitieren von Achtsamkeit (Mindfulness), da diese Praxis hilft, das Selbstkonzept und Einfühlungsvermögen zu verbessern, um gesunde Beziehungen aufbauen zu können.
Betroffene müssen auch lernen, ein Gleichgewicht zwischen gewählter Einsamkeit und sozialen Aktivitäten zu erreichen. Das soziale Kompetenztraining hilft, ihre Kommunikation zu verbessern, Konflikte zu lösen und prosoziales Verhalten zu entwickeln.
Das soziale Kompetenztraining hilft Personen, die sich in Gesellschaft anderer unwohl fühlen und sich schwer tun, gesunde Beziehungen aufzubauen.
Introvertiert ist nicht schüchtern!
Introvertierte Menschen haben viele Stärken: Sie sind oft kreativ und einfühlsam, haben eine vielfältige Innenwelt, sind gute Zuhörer und wissen, wer sie sind und was sie möchten. Auch schüchterne Personen konzentrieren sich vermehrt auf ihr Innenleben, sind facettenreich und aufmerksam. Allerdings sind sie auch unsicher, konfliktscheu, selbstkritisch und wortkarg. Verschiedene Strategien können ihnen helfen, sich unter Menschen wohler zu fühlen und gesunde Beziehungen aufzubauen.
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Wenn wir die Vielfalt der Persönlichkeiten wertschätzen, erreichen wir eine friedlicher und integrative Gesellschaft. Mit Einfühlungsvermögen können wir eine tolerante Gesellschaft schaffen, in der sich alle Persönlichkeitsprofile wohlfühlen.
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